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»Da war ich ja doch ziemlich nutzlos«, stellte Simon etwas frustriert fest, als sie wieder im Auto saßen.

»Tut mir leid, aber das konnte man ja vorher nicht wissen. Was war denn Ihr Eindruck?«

»Netter Junge.«

»Ja, fand ich auch.«

»Haben Sie auch Hunger, Simone? Wollen wir noch schnell etwas zusammen essen?«

»Gerne.« Simon hatte keinen Moment mit der Antwort gezögert, obwohl Carlas Frage ihn überraschte. Sie waren bisher noch nie irgendwo zusammen eingekehrt, nicht einmal auf einen Espresso.

»Nicht weit von hier gibt es ein wunderbares Restaurant, das Forno d’Oro, kennen Sie das?«

Simon hatte schon von dem Restaurant gehört, das früher in einer der engen Gassen von Orta seinen Platz gehabt hatte und vor einiger Zeit in die Hügel oberhalb, nach Miasino, gezogen war, nur ein paar Kilometer vom See entfernt.

»Sie werden sehen, man isst dort sehr gut, klassische piemontesische Küche, und das Ambiente wird Ihnen auch gefallen.«

Eine halbe Stunde später waren sie da. Sie fuhren in den Ort hinein, der in einer trotz der Dauerhitze sattgrünen Mulde lag. In Miasino war man immer noch gut fünfhundert Meter hoch, und es war hier frischer als unten am See. Das Restaurant befand sich nahe der Piazza Beltrami auf dem Parkgelände der Villa Nigra, einem riesigen, ehemals aristokratischen Landsitz. Mit seinen filigranen Arkaden und Fresken in Gelb- und Goldtönen, die sich über die ganze Fassade zogen, gehörte es wohl zu den schönsten Anwesen am See. Das Restaurant lag in einem flachen Seitenflügel und fügte sich ganz ungekünstelt in das Ensemble ein.

Es war früh am Abend, und die paar Tische, die draußen im Hof vor dem Restaurant standen, waren fast alle noch unbesetzt. Sie bestellten geräucherten Schinken aus dem Val Vigezzo, dann Forelle, die, wie die sympathische Wirtin versicherte, fangfrisch war. Carla bestellte Wasser, Simon einen Chardonnay. Es war eine ungewohnte Situation, mit der Polizistin im Restaurant beim Abendessen zu sitzen. Aber Carla nahm das ganz unbefangen, fragte ihn neugierig über Frankfurt aus, wo sie noch nie gewesen war. Sie kannte München, wohin sie mal mit einem Freund zum Oktoberfest gefahren war, wie sie erzählte. Das bayerische Bierspektakel faszinierte die Norditaliener, so sehr, dass sie inzwischen an allen möglichen Orten selbst kleine Oktoberfeste veranstalteten.

Als die Platte mit dem Schinken vor ihnen stand, wechselte Carla abrupt das Thema.

»Simone, Sie waren doch in Frankfurt Polizeireporter, da haben Sie bestimmt noch ein paar gute Kontakte, oder?«

»Bei der Polizei, meinen Sie?«

»Ja. Ich frage Sie wegen eines Kollegen, der im Februar dieses Jahres in Frankfurt spurlos verschwunden ist.«

Simon sagte nichts, er war überrascht von ihrem so plötzlich vorgetragenen Anliegen und blickte sie nur fragend an.

»In Frankfurt findet doch alle zwei Jahre um diese Zeit die Sanitärmesse statt, da sind auch die ganzen Fabrikanten hier aus der Gegend. Und natürlich auch die Konkurrenz. Und dass die nicht immer mit sauberen Methoden arbeitet, wissen Sie ja bestimmt. Auch dass die Chinesen der hiesigen Industrie mit ihren viel billigeren Produkten und Raubkopien das Leben schwer machen. Die deutschen Zollbehörden haben aber ein waches Auge und führen Kontrollen durch. Mein Kollege sollte sie dabei unterstützen, weil er die regionalen Hersteller und ihre Produkte kennt.«

Sie machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser.

»Und was ist dann passiert?«

»Er ist verschwunden. Niemand weiß, wohin. Er hat aus seinem Hotel ausgecheckt und angeblich einen Flug nach Mexiko gebucht und ihn auch angetreten, sagen die Kollegen von der deutschen Polizei. Sie haben die Ermittlungen inzwischen eingestellt. Sie denken wohl, dass er sich aus dem Staub gemacht hat, womöglich mit Bestechungsgeld.«

»Und Sie glauben, dass es nicht so war?«

»Ich weiß, dass es nicht so war. Ich kannte ihn gut.«

Bei den letzten Worten war ihre ohnehin tiefe Stimme noch etwas tiefer gerutscht. Simon war ein wenig enttäuscht. Offenbar war sie doch nur deshalb mit ihm in dieses Restaurant eingekehrt, weil sie hoffte, seine Kontakte in Frankfurt anzapfen zu können. Außerdem vermutete er, dass sie mit diesem verschwundenen Kollegen mehr verbunden hatte als der Beruf. Aber was ging ihn das eigentlich an? Er schluckte sein Missbehagen herunter.

»Ich kann mal nachfragen. Ich bin natürlich schon lange aus Frankfurt weg. Aber es gibt einen Kommissar, mit dem ich hin und wieder noch Kontakt habe, an den kann ich mich mal wenden und ihn nach dem Stand der Dinge fragen. Aber wenn die Ermittlungen eingestellt wurden, kommt da bestimmt nicht viel bei heraus.«

»Es wäre nett, wenn Sie trotzdem nachfragen könnten«, sagte Carla und strahlte ihn mit ihren faszinierenden grünen Augen an. Sie hatte wohl seine Enttäuschung bemerkt und wollte etwas wiedergutmachen. Wahrscheinlich wechselte sie jetzt auch deshalb schnell das Thema und kam auf ihren Besuch in Coiromonte zurück.

»Es war sehr nett, dass Sie mich begleitet haben, auch wenn Ihre Übersetzungshilfe nicht benötigt wurde. Aber auch Ihre Intuition kann ich gut gebrauchen, das wissen Sie ja. Ist Ihnen denn irgendetwas aufgefallen?«

»Dieser Paolo macht wirklich einen sehr vernünftigen Eindruck. Und der Schweizer kann jedenfalls nicht der zweite Mann auf dem Boot mit Marco Zanetti gewesen sein, denn Paolo hat ja gesagt, dass er ihn an dem fraglichen Vormittag gegen elf Uhr noch in Coiromonte gesehen hat. Da war Marco schon längst auf dem Boot unterwegs. Um zehn Uhr haben ihn ja die Ruderer in Omegna starten sehen, allein.«

»Da haben Sie recht, das kann er nicht. Moritz Wehrli scheint aber tatsächlich der Letzte gewesen zu sein, der mit Zanetti vor seinem Tod zu tun hatte. Außer diesem dubiosen zweiten Mann natürlich«, sagte Carla, spießte mit der Gabel ein Stück Schinken auf und trank einen Schluck Wasser.

»Yogalehrer ist der also. Wussten Sie vorher eigentlich, dass es hier ein Ayurveda-Hotel gibt und ein spirituelles Zentrum und ein Blues Festival, und was weiß ich, was sonst noch alles in der Art?«

»Vergessen Sie nicht, Simone, dass ich Polizistin bin. Da sollte ich schon wissen, was sich rund um den See alles tut. Haben Sie schon mal vom Monte Verità gehört?«

»Sie meinen diese Aussteigerkolonie, die es mal oberhalb von Locarno gegeben hat?« Simon hatte erst kürzlich im Reiseteil der Frankfurter Nachrichten einen Artikel über die lebensreformerische Gemeinschaft gelesen, zu der ein paar Bohemiens Anfang des letzten Jahrhunderts am Lago Maggiore zusammengefunden hatten.

»Ja, die meine ich. So etwas in dieser Tradition finden Sie heute hier an unserem See. Das mag ein bisschen hoch gegriffen sein, aber ein wenig davon hat es. Junge Leute, die auf Sinnsuche sind, nach ihren eigenen Regeln leben wollen, ohne gesellschaftlichen Zwang. Und ältere Leute, auch auf der Suche, meist nach spirituellen Erfahrungen. Sie alle finden hier, was sie suchen. Der Lago d’Orta ist ein magischer Ort. Natur, Kultur und Geist kommen hier auf ganz besondere Weise zusammen. Das Wasser, das Licht, der Stein, das Grün – das alles hat eine ungeheure Strahlkraft. Wenn Sie nicht so ein nüchterner Typ wären, hätten Sie das selbst schon längst gespürt.«

Simon blickte Carla verwundert an. Er kannte sie als ungewöhnliche und kultivierte Polizistin. Er hatte sie jedoch bisher für mindestens so nüchtern gehalten wie sich selbst.

»Gucken Sie nicht so erstaunt.« Carla lächelte ihm zu. Inzwischen hatte man ihnen den Fisch serviert. Als die mit Mandeln garnierte Forelle vor ihm auf dem Teller lag und ihn aus silbrigen Augen anblickte, dachte Simon, dass sie da genau den passenden Gang zum Thema bestellt hatten. Womöglich fing der Fisch gleich an zu leuchten. Aber er hielt sich mit ironischen Bemerkungen zurück und ließ Carla fortfahren, die währenddessen ihre Forelle geschickt filetierte.

»Sie haben recht, ich bin dafür auch nicht besonders empfänglich. Aber es werden Ihnen viele Leute am See sagen, auch die ganz vernünftigen, dass es hier eine besondere Spannung gibt. Sagt Ihnen der Name Peter Benenson etwas?«

»Vielleicht habe ich den schon mal gehört. Aber nein, ich glaube, eher nicht.«

»Er ist der Gründer von Amnesty International. Ein Engländer, der in den sechziger Jahren oft hier am Lago d’Orta war. Und später hat er in seinen Erinnerungen über den See geschrieben, dass es ein mystischer See sei, der jedem etwas von seinem tiefen Innern widerspiegele. Diese mystische Kraft des Sees, die Benenson gespürt hat und die ihn offenbar auch zu seiner Menschenrechts-Kampagne inspiriert hat, zieht natürlich auch Leute an, die einen Sinn für Spirituelles haben. Meditation, Yoga, Ayurveda, Magie, Musik, Tanz, Körpererfahrungen – das ist hier alles im Angebot. Seriös und weniger seriös, da bin ich allerdings nicht wirklich kompetent und als Polizistin gottlob auch nicht zuständig.«

Sie hatten noch einen köstlichen piemontesischen Schokoladenkuchen gegessen, waren inzwischen beim Espresso angelangt und brachen dann bald auf. Es war noch hell, und Carla kurvte schnell die Strecke zum See hinunter. In einer Biegung musste sie scharf abbremsen, als sie von einem entgegenkommenden Motorradfahrer geschnitten wurden, der seine Maschine im letzten Moment herumreißen und ausweichen konnte.

Den Rest der Strecke fuhren sie schweigend. Erst kurz bevor sie in Ronco ankamen, nahm Carla das Gespräch wieder auf. »Morgen ist Moritz Wehrli also wieder im Centro Luna d’Oro. Ich werde dann noch einmal versuchen, mit ihm zu sprechen. Er war ja offenbar der Freund von Marco Zanetti. Vielleicht kann er einen Hinweis liefern, was auf dem Boot geschehen ist. Fahren Sie mit mir dorthin? Ich hole Sie gegen vierzehn Uhr wieder hier ab, va bene?« Sie wartete Simons Antwort, die sie zu kennen schien, nicht ab und fuhr fort: »Er scheint ja nicht besonders gut Italienisch zu sprechen, und vielleicht kommen Sie dann doch noch als Übersetzer zum Einsatz. Und womöglich entdecken Sie bei der Gelegenheit ja auch Ihre spirituelle Ader …«

Lago Mortale

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