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In wenigen Minuten war Simon mit seiner Vespa in Pella. Aber es war noch zu früh. Schon als er seinen Roller vor der Bar abstellte, sah er durch die Glastür, dass noch nichts los war. Es war Ferienzeit. Die umliegenden Fabriken machten in der Woche vor Ferragosto fast alle dicht. Der schnelle Espresso und die warme Brioche vor Arbeitsbeginn waren im Moment nicht gefragt.

Wie jeden Morgen hatte Lino einen Ständer mit den Aufmachern der Regionalnachrichten von Il Giorno vor die Tür gestellt: Die Brände infolge der anhaltenden Hitze weiteten sich aus; ein Motorradunfall auf der Seeuferstraße hatte ein Todesopfer gefordert. Die Nachricht vom Tod Marco Zanettis hatte die Presse offenbar noch nicht erreicht.

Simon betrat die Bar und wurde von Lino lauthals begrüßt. Seine Zeitung lag schon für ihn bereit, und auch der Fernseher lief wie immer. Simon hatte den Barchef im Verdacht, dass er ihn nie abschaltete. Lino hantierte an der Espressomaschine, und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er den Cappuccino mit Schwung vor ihn auf die Theke stellte. Simon war dort stehen geblieben, hatte wenig Lust verspürt, sich an einen der Tische in der verwaisten Bar zu setzen – wie bestellt und nicht abgeholt. Was für ein komischer Ausdruck das war. Ob es ein italienisches Pendant gab? Es fiel ihm keines ein.

Simons Repertoire an idiomatischen Redewendungen im Italienischen war durchaus groß, aber er vermied sie im Allgemeinen. Er fand, dass man sich damit lächerlich machte, wenn man kein Muttersprachler war und eine Sprache nicht vollkommen perfekt beherrschte. Sein Italienisch war zwar inzwischen sehr gut und fast akzentfrei, aber wenn er es sprach, kam er sich noch immer ein wenig vor wie ein Schauspieler.

»Tutto a posto, giornalista?«, fragte Lino.

»Sì, tutto a posto.«

Lino empfing ankommende Gäste gerne mit einem Wortschwall, bei Simon hielt er sich jedoch zurück. Obwohl sie sich schon seit Jahren kannten, fast jeden Tag sahen, flößte ihm der wortkarge Journalist, der aus der deutschen Metropole an den See gekommen war, wohl noch immer Respekt ein. Oder Lino findet mich einfach nur seltsam, dachte Simon. Er nahm seine Zeitung und vertiefte sich in den Sportteil.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis drei Frauen in die Bar kamen. Eine von ihnen kannte Simon vom Sehen. Catarina, wie immer sehr elegant in einem hellen Leinenkleid, war Sekretärin in der Werft in Pella, wohin er häufig mit seinem Motorboot zum Tanken fuhr und die wie Linos Bar ein Umschlagplatz für Informationen am See war. Catarina winkte Simon freundlich zu und bestellte Cappuccino für sich und ihre Begleiterinnen.

Die beiden Frauen, mit denen sie gekommen war, beide von etwas fülligerer Statur, in engen Jeans, die eine platinblond und kurzhaarig, die andere dunkel und sehr braun gebrannt, steuerten schon laut miteinander palavernd einen der Plastiktische am Fenster an. Catarina kam dazu, ein Tablett mit den Cappuccino-Tassen vor sich, setzte es vorsichtig ab, sagte etwas, und alle drei lachten. Simon verstand nicht, worum es ging, der Tisch der Frauen war zu weit weg, aber der tote Segler war sicher nicht das Thema. Nach einer Weile wurde das Gespräch der Frauen leiser und ernster, und Simon schnappte den Namen Marco Zanetti auf. Er spitzte die Ohren.

Auch Lino hatte offenbar nur auf das Stichwort gewartet, um an den Tisch der drei Frauen zu eilen und sich endlich einzumischen. »Marco Zanetti ist tot, oder? Beim Segeln verunglückt, habe ich gehört. In der Zeitung steht aber heute noch nichts. Wisst ihr denn Genaueres?«

»Nein, keine Ahnung.« Das war Catarina. »Die Carabinieri waren gestern am Abend noch bei uns in der Werft und wollten wissen, ob wir etwas mitbekommen haben, Marco oder sein Boot gesehen haben. Er ist wohl von hier in Richtung Omegna gesegelt. Jedenfalls ist sein Boot auf der Strecke fast mit der Azalea zusammengestoßen. Die ist im letzten Moment noch ausgewichen. Die Carabinieri sind dann mit dem Schnellboot hin und haben Marco gefunden. Tot. Mehr weiß ich nicht. Die Carabinieri wollten nicht sagen, was passiert ist. Es sah ganz so aus, als ob sie es selbst nicht wüssten.«

»Wie alt war der denn eigentlich?«, fragte die Braungebrannte.

»Keine Ahnung, vielleicht um die dreißig. Ein attraktiver Kerl … Der hätte mir gefallen.« Das war jetzt die Platinblonde.

»Ich weiß nicht, ob der sich für dich interessiert hätte, bellissima«, sagte Lino grinsend. »Es gab da so Gerüchte …«

»Basta, hör auf.« Das kam schneidend von Catarina. »Deine Tratscherei kann einem wirklich auf die Nerven gehen.« Sie erhob sich und forderte ihre Begleiterinnen mit einem schnellen Blick ebenfalls zum Gehen auf. »Ich muss sowieso los. Wir haben alle Hände voll zu tun in der Werft. Im Moment ist es total voll am See, und alle wollen ein Boot ausleihen. Und dann auch noch der Cusio Cup an Ferragosto …«

»Stimmt, der Cusio Cup«, meldete sich Lino unbeirrt wieder zu Wort. »Da wäre der Marco doch mitgesegelt. Und bestimmt hätte er wieder gesiegt, er war ja ein super Segler. Vielleicht hat sich da ja jemand einen Konkurrenten vom Hals geschafft … Und wer weiß, ob das Ganze jetzt nicht abgesagt wird.«

»Glaube ich nicht«, fiel ihm Catarina wieder ins Wort, legte ein paar Euro auf die Theke und verließ die Bar, ihre Freundinnen im Schlepptau.

»Hai capito, giornalista? Marco Zanetti ist tot, ist verunglückt«, wandte sich Lino jetzt an Simon, nicht bereit, das Thema so schnell aufzugeben.

Simon stand noch an der Theke, hatte seine Zeitung weggelegt. Aber auch er hatte keine Lust mehr auf das Gerede von Lino. Ein wenig fühlte er sich allerdings durch Catarina ertappt. Neugierig zu sein und Gebrauch zu machen von Indiskretionen hatte nun mal immer zu seinem Reporterleben gehört. Ein solches Unbehagen an der eigenen Rolle war aber nie von Dauer, dafür war er schon zu lange Journalist.

»Sì, Lino, ho capito. Fa un caldo mortale«, beendete Simon kurzerhand das Gespräch. Mit dieser Bemerkung über die mörderische Hitze war ihm schließlich doch eine idiomatische Redewendung herausgerutscht.

Er bezahlte seinen Cappuccino und verließ die Bar. Fast wäre er auf dem Bürgersteig mit einem jüngeren Mann zusammengestoßen, der gerade einen der Tische draußen unter den Sonnenschirmen ansteuerte. Wallende schwarze Mähne, tief in den Nacken gekämmt, obenauf eine Schirmkappe, verspiegelte Sonnenbrille. Davide Longhi. Wie immer sehr gut und teuer gekleidet, was seine halbseidene Ausstrahlung nur unterstrich. Ihm und seinem älteren Bruder Claudio war Simon von ganzem Herzen abgeneigt. Davide war Anfang dreißig und managte die Tourismusorganisation der Region, während Claudio den Familienbetrieb übernommen hatte und einer der großen Wasserhahnproduzenten am See war. Er stellte Luxusarmaturen her, die er unangefochten von der Krise und der chinesischen Konkurrenz in Showrooms in New York und Paris ausstellte und die sich nach wie vor sehr gut verkauften.

Die fratelli Longhi gehörten zur hiesigen Prominenz, und sie verkörperten alles, was Simon an einem bestimmten Typus von italienischen Männern provozierte. Die Cleverness, die Vetternwirtschaft, den blendenden Charme. Er hätte nicht sagen können, wem der beiden Brüder er lieber aus dem Weg ging. Was wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Simon hatte einmal auf einer Veranstaltung vehement das Wort gegen die Pläne Davides ergriffen, aus einer brachliegenden Fabrik am Seeufer ein Luxusresort zu machen, und er hatte sich damit viel Sympathie bei den Zuhörern und zugleich die Feindschaft des Managers eingehandelt. Aus dem Resort war bisher nichts geworden, und ein klein wenig war das wohl auch der am See vielbeachteten Brandrede Simons geschuldet.

»Ciao, tedesco. Come va?« Das war Davides Standardbegrüßung, wenn sie aufeinandertrafen. Was sich für einen Außenstehenden freundlich anhören mochte, aber nicht so gemeint war.

»Bene«, antwortete Simon, ging mit schnellen Schritten an Davide vorbei zu seinem Roller und fuhr nach Hause.

Lago Mortale

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