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Carla Moretti stieg aus einem dunkelblauen Polizeiwagen, kam auf Simon zu, der sie auf dem aufgeheizten und überfüllten Parkplatz von Ronco schon erwartete, und begrüßte ihn herzlich. Sie trug eine riesige Sonnenbrille in ihrem schmalen Gesicht, trotz der Hitze ihre Uniformjacke, und Simon fand, dass sie aussah wie ein Carabiniere in einem italienischen Spielfilm. Die junge Polizistin gefiel ihm, und er bildete sich ein, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber sie waren nicht mehr als gute Bekannte, einander freundlich zugewandt. Carla war alles Kokette fremd, und Simon war nicht charmant, in dieser Hinsicht war er zweifellos ganz und gar nicht italienisch. Das passte.

In ihrem Auto war es kühl, eine für Simon ungewohnte Wohltat, denn sein alter Peugeot, den er vor Jahren aus Frankfurt mitgebracht hatte, hatte keine Klimaanlage. An sehr heißen Tagen hatte Simon diesen Mangel schon oft verflucht, aber er hing an dem alten Wagen, den sein Bruder ihm vor langer Zeit vermacht hatte und der zu den wenigen Dingen gehörte, die ihn noch mit seiner früheren Heimat verbanden.

Carla hielt sich wie immer nicht lange mit Begrüßungsfloskeln auf, startete ihren Fiat, und sie fuhren zügig die Uferstraße entlang, beide ziemlich wortkarg. Die Hitze, die Trockenheit, der bevorstehende Feiertag genügten ihnen als Gesprächsstoff.

Pella lag ausgestorben in gleißendem Licht, nur vor Linos Bar saßen ein paar Leute unter Sonnenschirmen. Es war Simon ein Rätsel, wie der verschlafene kleine Ort so unberührt vom Massentourismus sein Dasein fristen konnte. Trotz der phantastischen Lage am Seeufer gab es keinen Souvenirladen, noch nicht mal eine Taucherbrille oder eine Luftmatratze waren hier zu bekommen. Auch das schöne Schwimmbad, mit hohen Bäumen, einem weißen Sandstrand und türkis leuchtendem Wasser, hatte vor geraumer Zeit dichtgemacht. Dafür hatte vor wenigen Monaten ein kleines Luxushotel an der Piazza am Hafen eröffnet. Die Hotelbar stand allen offen, was in dieser Liga eine Ausnahme war, aber Simon hatte noch nie einen Fuß hineingesetzt. Die Bar war zweifellos sehr schön, aber an Linos Plastiktischen fühlte er sich einfach wohler.

Hinter Pella, an der Südspitze des Sees, passierten sie in Gozzano die riesigen Bemberg-Fabrikanlagen. Das Unternehmen war vor einigen Jahren in Konkurs gegangen, die Gebäude standen seither leer und verrotteten zusehends. An einer der verwitterten Industriehallen war noch der Schriftzug Ortalion zu lesen. Unter diesem Namen hatte die Bemberg vor fast hundert Jahren begonnen, Kunstseide herzustellen, aus der dann Damenstrümpfe gefertigt wurden. Tausende Arbeitsplätze waren mit dem Werk in die damals darbende Region gekommen, seine Chemieabfälle aber hatten den See verseucht, für lange Zeit. Und viele Metallbetriebe hatten es der Bemberg später nachgetan. Kaum zu glauben, dass der See sich wieder hatte regenerieren können, dachte Simon immer wieder.

Auf der östlichen Seeseite angekommen, fuhren sie in eine andere, glanzvollere Welt. Hochgewachsene Palmen, rosa und blaue Hortensien, Oleander und Magnolien, hier und da Bananen säumten die in sanften Kurven entlang des Sees verlaufende Straße; stets das Wasser im Blick. Hinter der üppigen Vegetation und hohen Mauern versteckten sich herrschaftliche Anwesen, Palazzi mit häufig sehr großen Parks. Mächtige Zedern, vor mehr als hundert Jahren nach Europa verschifft, zeugten vom Reichtum der früheren Besitzer und von ihrem generösen Zeitbegriff, der über ihr eigenes kurzes Menschenleben weit hinausgereicht hatte.

In einem dieser Palazzi lebte Davide Longhi. Er hatte ihn geschmacklos renoviert, die Patina des alten Hauses wegsaniert, es in ein seelenloses, protzig wirkendes Anwesen mit einem riesigen Carport verwandelt. Übertroffen an Stillosigkeit hatte ihn allerdings noch sein Bruder Claudio, der auf der anderen Seeseite, ganz in der Nähe seiner Fabrik, ein modernes Haus in die Hügel gebaut hatte, das wie ein Ufo über dem See schwebte und dessen rundum verglaster salotto sich mit der Sonne drehte.

An der nächsten Kreuzung kam ein altes, in dieser Gegend ebenfalls ungewöhnliches Gebäude in Sicht, die in maurischem Stil gestaltete Villa Crespi. Sie beherbergte ein Luxusrestaurant, in das Hochzeitsgesellschaften gerne einkehrten – wenn die Familien es sich leisten konnten. Hier führte die Straße links ab auf die Halbinsel, auf der das wundersame Städtchen Orta San Giulio lag, das als einziges am See im Sommer Ausflügler und Touristen in Scharen anlockte. Moretti ließ Orta links liegen und bog rechts ab. Sie verließen den See und fuhren hoch in die Berge, hinter deren Rücken, noch weiter im Osten, sich riesig der Lago Maggiore erstreckte.

Simon wusste, was jetzt kam. Es war jedes Mal aufs Neue spektakulär. Sie hatten erst wenige Kurven hinter sich, waren vielleicht hundert Meter höher gefahren, und nun ging der Blick über den in der Sonne glitzernden See hinweg nach Westen auf die weißen Gipfel des Monte Rosa, weit entfernt und doch gewaltig. Für eine Weile würde das imposante Gebirge sie auf ihrer Fahrt begleiten.

Sie passierten kleine Ortschaften und fuhren dann noch etwa zwanzig Minuten weiter bergan, über eine enge, sehr kurvenreiche Straße durch die von der Hitze ausgelaugte, aber noch immer grüne Landschaft. In den Serpentinen schützten Leitplanken vor dem Absturz in das seitliche Tal, wo mittlerweile nur noch ein nahezu ausgetrockneter Bach dahinfloss. Schließlich tauchte das Dorf vor ihnen auf. Um einen Hügel herum gruppierten sich eng ineinandergeschachtelte Häuser, überragt von der Dorfkirche, malerisch und beschaulich wie auf einer Postkarte.

Auf den letzten Kilometern vor Coiromonte hatte Carla Moretti doch noch das Gespräch mit Simon gesucht. Nach Nicola gefragt. Und nach Luisa. Und hatte schnell das Thema gewechselt, als sie merkte, dass sie sich mit ihren Fragen auf heikles Terrain begeben hatte. Simon war ohnehin einsilbig, wenn es um Persönliches ging, selbst Luisa gab er wenig von seinem Innenleben preis. Und obwohl er jeden Tag mit Sprache arbeitete, kam es vor, dass ihm dann die Worte fehlten.

Carla war noch auf den ermordeten Arzt zu sprechen gekommen, jenen Fall, bei dem sie sich vor zwei Jahren kennen und schätzen gelernt hatten. Auch dieses Gespräch war schnell versiegt, als die Polizistin den großen Wagen behutsam, aber zielstrebig durch die engen Gassen Coiromontes steuerte. Sie schien genau zu wissen, wo es langging. Auch Simon kannte das Dorf, war von hier schon einige Male zu Wanderungen aufgebrochen. Fast immer war Luisa dabei gewesen, fiel ihm schmerzlich ein. Aber wo die jungen Leute lebten, zu denen sie unterwegs waren und bei denen sich auch Nico oft aufhielt, wusste er nicht.

Lago Mortale

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