Читать книгу Geliebt, gehasst, gefürchtet … - Glenn P. Webster - Страница 10

5. Kapitel

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Chad Harbin kam von seinem Rundgang durch die nächtliche Stadt zurück, betrat sein Office und sah auf den ersten Blick, dass alles umsonst gewesen war. Deputy Sheriff Walt Drover stand mit erhobenen Armen an der fensterlosen Seitenwand. Im trüben Schein der Petroleumlampe wirkte sein sommersprossiges Gesicht krankhaft blass. Drei Schritte vor ihm verharrte geduckt ein Mann mit einem Revolver in der Faust. Seine linke Hand zog eben den Schlüsselbund vom Schreibtisch. Trotz der warmen Sommernacht hatte er einen Regenmantel umgehängt, der seine Kleidung bis zu den Stiefeln hinab verhüllte. Der Stetson war tief in die Stirn gerückt, die untere Gesichtshälfte von einem schwarzen Tuch verdeckt.

Ohne Drover aus den Augen zu lassen, knurrte er gedämpft unter dem Halstuch hervor: »Nur herein, Sheriff, und schließen Sie die Tür hinter sich zu! Keine Dummheiten, sonst ist Ihr netter Deputy ein toter Mann!«

Chads Hand war sofort auf den Kolben seines Colts gefallen. Jetzt nahm er sie mit einer zähflüssig wirkenden Bewegung zurück, trat über die Schwelle und warf hinter sich die Tür ins Schloss. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er sah Amarillo mit vor Spannung gestrafftem Gesicht an den Gitterstäben des Jails stehen.

Drover krächzte: »Keine Rücksicht auf mich, Chad! Alles ist meine Schuld! Hör zu, während du fort warst, bin ich eingenickt! Chad, Amigo, es tut mir furchtbar leid. Ich könnte mir den Schädel an der Wand einschlagen!«

»Warte damit ruhig, bis wir fort sind!« Das Grinsen war aus der Stimme des Vermummten herauszuhören. Die Schlüssel rasselten in seiner Linken, als er quer durchs Office zur Zelle ging. Die Coltmündung zielte immer noch auf Drover.

Der junge Deputy keuchte verzweifelt: »Chad, er ist nicht schnell genug, um uns beide zu erwischen. Ich weiß, wie fix du mit dem Eisen bist. Denk nicht an mich, Chad! Versuch es! Halt ihn auf, ehe er …«

»Selbstmordgedanken, was?«, murrte der Maskierte. »Ich hoffe, Sheriff, wenigstens in Ihrem Kopf ist noch ein Rest von Vernunft!«

Die durchs Halstuch verzerrte Stimme kam Chad eindringlich bekannt vor. Seine Gedanken jagten sich, während er wie festgenagelt am Fleck verharrte und jede Bewegung des Banditen mit funkelnden Augen verfolgte. Dieser Mann war kein Fremder. Er war entweder in Greenhill oder in der näheren Umgebung zu Hause. Er hatte genau den richtigen Zeitpunkt abgepasst, als Chad auf seinem Routinegang durch die dunkle Stadt unterwegs war. Er wusste zweifellos Bescheid.

»Amarillo«, fragte er mit verstellter Stimme, »werden Sie reiten können?«

»Um mich vor dem Galgen zu retten, werde ich sogar auf den Händen quer durch Colorado laufen!«, stieß der Gefangene heiser hervor. »Machen Sie voran, Mann!«

»Nur nicht die Nerven verlieren! Alles klappt wie am Schnürchen. In einer Stunde sind Sie längst in Sicherheit, Amarillo. Welcher Schlüssel?«

Er war vor der Zelle angelangt. Amarillo streckte die knochigen Hände durch das Gitter. »Geben Sie her!«

Er nahm dem Maskierten den scheppernden Schlüsselbund aus der Faust, suchte nur ein paar Sekunden und steckte dann von draußen einen langen, angerosteten Schlüssel ins Schloss. Das Kreischen war durchdringend. Im nächsten Moment schwang die Gittertür knarrend auf.

»Chad!«, schrie Drover wild auf. »Lass es nicht zu!«

Er stieß sich von der Wand ab und schnellte zum Schreibtisch, wo quer über Papierbögen und Munitionsschachteln der siebenschüssige Spencer-Karabiner lag. Wie Raubvogelkrallen schossen seine Hände nach vorn.

Der Maskierte feuerte sofort. Drover fiel über die Schreibtischplatte, krampfte jedoch wie gierig die Hände um das Gewehr. Es gelang ihm, sich von der Tischplatte weg zu stemmen und wieder auf die Füße zu kommen. Groß und verzerrt malte das Lampenlicht seinen schwankenden Schatten an die Bretterwand.

»Chad!«, ächzte er. »Deine Chance!« Chad Harbin war tiefer ins Office gesprungen und hatte seinen Fünfundvierziger aus dem Holster gerissen. Als er die Waffe auf den Verbrecher anschlug, spürte er gleichzeitig mit dem leisen Knarren der Officetür einen Luftzug im Genick. Jemand stürmte keuchend von hinten auf ihn zu. Chad drehte sich halb, sah einen zweiten vermummten Banditen mit hochgeschwungenem Gewehr auf sich zuschnellen und feuerte verzweifelt.

Da erwischte ihn bereits der niedersausende Stahl an der rechten Schulter und verriss seine Kugel. Der Schmerz war flammend und lähmte seine ganze rechte Körperseite. Gleichzeitig hörte er den zweiten Schuss des ersten Verbrechers krachen. Während er sich zähneknirschend anstrengte, den so plötzlich zentnerschwer wirkenden Revolver abermals in die Höhe zu bringen, füllte Walt Drovers dumpfer Aufschrei das Office.

Der Deputy ließ den Karabiner auf die Bodenbretter poltern. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine zitternden Hände tasteten verzweifelt nach Halt. Dann brach er zusammen, wischte ein paar Munitionsschachteln vom Schreibtisch und rollte bis zum Zellengitter hinüber. Eine Flut goldschimmernder Patronen ergoss sich über den Boden.

Chad sah wieder den schwingenden Gewehrlauf auf sich zukommen und duckte sich gerade noch rechtzeitig darunter weg. Schwerfällig ließ er sich einfach gegen den Angreifer fallen. Der Mann fluchte, verlor das Gleichgewicht und klammerte sich an ihm fest. So stürzten sie beide zu Boden. Chad merkte, wie die Kraft in seinen Arm zurückkehrte. Zorn und Verzweiflung erfüllten ihn mit wilder Energie.

Er drückte dem unter ihm liegenden Verbrecher die Revolvermündung gegen die Kehle und versuchte ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. Der Mann rammte ihm das Knie in den Leib. Chad flog zurück. Dann war der skrupellose Revolverschütze zur Stelle und hieb ihm den Coltkolben schräg über den Kopf. Chad rollte kraftlos auf den Rücken.

Wie aus weiter Ferne hörte er eine wütende Stimme schnaufen: »Verwünscht, das war so laut, dass man es bis nach Denver hören konnte! Los, Amarillo, raus mit dir! Und dann nichts wie weg!« Stiefel polterten, die verstreuten Patronen auf den Brettern klirrten, dann wurde es schwarz vor Chad Harbins Augen. Er wusste von nichts mehr.

Als er erwachte, brannte die Flamme unter dem Lampenzylinder ganz ruhig. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen. Von einem dünnen Riss an der Schläfe war ihm das Blut in die Augenwinkel gesickert. Etliche Sekunden lag er benommen und völlig ausgepumpt auf dem Rücken. Dann streifte sein Blick die offene Zellentür, und da kam die Erinnerung wie ein Schwall eisigen Wassers. Alle Benommenheit war wie weggewischt. Er stemmte sich hoch. Sekundenlang war es wieder dunkel um ihn, er taumelte und musste sich am Zellengitter festhalten. Deputy Walt Drover lag nur zwei Schritte neben ihm. Die wächserne Blässe seines Gesichts versetzte Chad einen Schock.

Draußen auf der nächtlichen Main Street war das Durcheinander aufgeregter Stimmen. Hufe trappelten, Stiefel hämmerten auf den Gehsteigbohlen. Männer stürmten die Veranda herauf und rissen die Officetür auf. Chad beachtete sie nicht. Langsam ließ er sich bei Drover auf die Knie.

»Walt!«, raunte er kratzend. »Walt, alter Junge …«

Das matte Lampenlicht brach sich in den glasigen Augen des jungen Deputy. Chad verkrampfte die Fäuste. Er spürte das Pochen seines Herzens bis in die Kehle.

»Großer Himmel! Walt, Amigo …« Das wachsbleiche, erstarrte Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Der Gedanke an die beiden maskierten Banditen, die Amarillo aus dem Jail befreit hatten, weckte ein mörderisches Brennen in ihm.

Stimmengewirr und Schrittescharren füllten jetzt das ganze Office. »Ein Doc!«, schrie jemand schrill. »Verdammt noch mal, so holt doch den Doc!«

Chad erhob sich steif. »Sinnlos!«, murmelte er tonlos. »Er ist tot!«

Sporengeklirr kam durch die hin und her wogende Menge auf ihn zu. Bruce Kellock bahnte sich mit seinen breiten Schultern ungeduldig einen Weg. Er starrte betroffen auf den toten Deputy hinab.

»Höllenfeuer! Da sind wir zu spät gekommen! Meine halbe Crew sitzt draußen im Sattel, um das zu verhindern, was …« Er schüttelte grimmig den Kopf. »Ich habe es doch geahnt! Hank Jones hat keinen Zweifel an seinen Absichten gelassen!«

»Jones?« Chads Kopf ruckte hoch. Kellock starrte ihm hart in die Augen. »Zweifeln Sie etwa daran? Harbin, Sie wissen doch hoffentlich jetzt, was Ihre Pflicht ist! Und wenn Sie mich noch so wenig mögen – bei der Jagd nach Amarillo und dem Mörder werden Sie sich felsenfest auf mich und meine Männer verlassen können. Der Mond ist aufgegangen. Es ist hell genug, um eine Spur verfolgen zu können.«

Chad bückte sich nach seinem Revolver, steckte ihn ins Hoster und sagte kein Wort. Stille breitete sich im Office aus. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Und in das Schweigen fielen Kellocks nächste Worte schwer wie Hammerschläge: »Sie können auch den Stern ablegen, Harbin! Dann reiten meine Cowboys und ich allein!«

Chad warf einen letzten Blick auf Walt Drover. Seine Miene versteinerte sich. »Ich bin bereit, Kellock!«

Ruckartig setzte er sich in Bewegung. Eine Gasse öffnete sich vor ihm, als er mit langen Schritten zur Tür steuerte. Sporenklirrend, die buschigen Brauen grimmig gefurcht, folgte ihm Bruce Kellock dicht auf den Fersen.

Geliebt, gehasst, gefürchtet …

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