Читать книгу Geliebt, gehasst, gefürchtet … - Glenn P. Webster - Страница 11
6. Kapitel
ОглавлениеMitten in der Nacht schreckte Mary-Lou aus dem Schlaf. Bleiches Mondlicht füllte das kleine Zimmer. Durchs halboffene Fenster wehte dumpfes Grollen über die Hügel, das sich der Ranch am Turkey Creek immer mehr näherte – das Geräusch vieler eiliger Pferdehufe. Mary-Lou schlüpfte aus dem Bett und zog hastig ihr leichtes Sommerkleid an. Der Korridor vor der Tür lag in pech-schwarzer Finsternis.
»Dad!«, rief Mary-Lou gedämpft. »Dad!«
Keine Antwort! Unaufhaltsam dröhnten die Hufe aus der Mondnacht heran. Mary-Lou lief den Korridor entlang. Die Haustür war nicht verriegelt, nur angelehnt. Das Gehämmer der vielen Hufe verschluckte das leise Geräusch, als sie diese vollends öffnete und ins Freie huschte. Heiße Besorgnis malte sich auf ihrem schmalen Gesicht. Über die strauchbesäumten Hügel kam mit dem anschwellenden Donnern der Hufe eine Gefahr heran, die sie nur ahnen konnte.
Hank Jones stand neben dem lehmummauerten Ziehbrunnen mitten im Mondschein auf dem Ranchhof. Er hielt ein Gewehr in der Armbeuge und spähte wachsam in die Richtung, aus der die Reiter jeden Augenblick aus den Schatten auftauchen musste. Mary-Lou lief zu ihm.
»Dad! Was ist geschehen?«
Der Klang ihrer hellen Stimme riss ihn herum.
»Zurück ins Haus! Schnell, Mary-Lou!« Schweiß perlte auf seiner Stirn, harte Linien hatten sich um seinen Mund gegraben. In seinen Augen brannte es.
Mary-Lou blieb stehen. »Dad, um Himmels willen, ich verstehe nicht, was …«
Das Hufgetrappel hatte den Rand der Hügel erreicht. Dort, wo die Korrals am Ufer des Turkey Creeks endeten, tauchte die Kavalkade als kompakte schwarze Masse auf. Gleich darauf flogen auf dem Ranchhof vom Mondlicht versilberte Staubbällchen unter den Pferdehufen. Groteske Schatten wanderten daneben her. Eine Front von Gewehr- und Revolverläufen blinkte. Jones keuchte wieder: »Ins Haus, Mädel!«
Doch Mary stand, die Hände vor der Brust verkrampft, wie festgenagelt. Die üppige Flut ihres dunklen Haares umrahmte ihr angespanntes Gesicht. Ihre Augen waren ganz groß. Eine harte Stimme drang durch das Heranpochen der Hufe: »Jones, ein einziger Schuss aus deiner Knarre – und du wirst den Sonnenaufgang nicht mehr erleben! Ich warne nur einmal!«
»Kellock!«, brummte der schnurrbärtige Kleinrancher grimmig. »Wenn du aufs Ganze gehst, werde ich mich bis zum letzten Atemzug wehren!«
Die Reiter schwärmten aus, verteilten sich zwischen den Nebengebäuden, die Hufschläge kamen zum Verstummen. Neben Kellocks massiger Gestalt erschien ein anderer Reiter, bei dessen Anblick Mary-Lou zusammenfuhr. »Chad!« Sie wollte zu ihm laufen.
Er hob schnell eine Hand. Sie sah den silbernen Glanz eines Revolverlaufes und verharrte wie gelähmt. Mit heiserer Stimme sagte Chad Harbin: »Es tut mir leid, Hank. Du hast mir keine andere Wahl gelassen!«
Jones’ Miene wurde ausdruckslos. »Du und Kellocks Partner?«
»Du weißt am besten, wie die Dinge liegen, Hank!«, erwiderte Chad heftig. »Ich bin nicht als Kellocks Freund hier, sondern als Sheriff dieses Countys. Dass Kellock und seine Reiter mir ihre Hilfe angeboten haben, ist ganz in Ordnung.«
»Findest du? Nun gut, mach es kurz, Chad! Was wollt ihr?«
»Amarillo! Gib ihn heraus!«
»Ich weiß nicht, was du meinst!«
»Sei vernünftig, Hank!«, drängte Chad heiser. Jeder Nerv in ihm war zum Zerreißen gespannt. Er fühlte förmlich Mary-Lous Blicke auf seiner Haut brennen. Er liebte sie. Aber der Stern, den er an seiner ärmellosen Weste trug, zwang ihn, ihrem Vater als unerbittlicher Gegner gegenüberzutreten. Er redete schnell weiter: »Du weißt, dass ich mich gut aufs Spurenlesen verstehe, Hank. Die Fährte war ganz deutlich. Amarillo wurde auf dem kürzesten Weg hierhergebracht. Gib ihn heraus, Hank, und ich will versuchen, das Beste für dich noch daraus zu machen. Mary-Lous wegen!«
»Nimm den Namen meiner Tochter nicht mehr in den Mund, Sheriff!«, grollte ihn Jones an. »Verschwinde! Und nimm diese wilde Meute mit, ehe ich die Geduld verliere!«
»Du hast dir verteufelt große Stiefel angezogen, Jones!«, lächelte ihn Bruce Kellock finster an. »Harbin versucht es immer noch auf die sanfte Tour. Erwarte das nicht von mir. Ich gebe dir genau zehn Sekunden. Wenn wir dann Amarillo nicht haben, wirst du …«
»Überlassen Sie das mir!«, unterbrach ihn Chad scharf. »Hank, ich warte!«
»Chad!«, rief da Mary-Lou wieder. »Es muss ein Irrtum sein. Dad war nicht in der Stadt. Er hat nicht …«
»Sei still, Mädel!«, knurrte Jones. »Es ist wirklich besser, du ziehst dich ins Haus zurück! Ich werde mit diesen Burschen schon fertig!«
Das Mädchen hörte nicht. Langsam, als koste ihr jeder Schritt Mühe, ging sie auf den Sheriff zu. Das Mondlicht zeichnete weich die Konturen ihrer Gestalt nach. »Chad, sag diesen Leuten, dass sie von hier verschwinden sollen. Kellock ist nicht der Mann, auf den du bauen solltest. Heute Nachmittag hat er versucht …«
Der scharfe Ruf eines Kellock-Reiters kam aus dem Schatten der breitästigen Sykomore, die zwischen Haupthaus und Scheune einen klobigen Schatten warf. »Boss, Sheriff! Seht euch an, was ich da gefunden habe!«
Er führte ein staubbedecktes Pferd an der Leine in die Helligkeit. Der linke Steigbügelriemen war mit Blutspuren bedeckt. Um das Sattelhorn war lose ein alter verwaschener Regenumhang geschlungen – genau wie ihn die vermummten Mörder im Sheriffs-Office getragen hatten. Dazu schwenkte der Cowboy ein schwarzes Halstuch in der freien Hand. Chads Haltung versteifte sich. Kellock flüsterte wild: »Jetzt bist du geliefert, Jones!«
Jones war herumgeruckt, sekundenlang stand blankes Erschrecken in seinen Augen. Mary-Lou ächzte: »Dad, mein Gott …« Da riss Hank Jones sein Gewehr hoch und sprang geradewegs auf Kellock und Sheriff Harbin los.
Kellock wollte sofort schießen. Chad drückte ihm den Arm nach unten.
»Hank, Schluss damit!«, brüllte er verzweifelt und stieß seinen eigenen Fünfundvierziger über den Pferdehals vor. Der Schuss dröhnte.
Das Gewehr wurde Jones aus den Fäusten geprellt. Chad seufzte vor Erleichterung, dass seine Kugel trotz der Hast das richtige Ziel gefunden hatte. Jones fluchte und wollte sich sofort nach der Waffe bücken.
Ein dünnes Pfeifen war in der Luft, und schon legte sich eine Lassoschlinge um Jones’ Oberkörper, presste ihm die Arme an den Leib und riss ihn aus dem Gleichgewicht. Staub wolkte hoch. Emmet Leach, der Kellock-Ranch-Vormann, lachte wild, schlang das Lassoende um den Sattelknauf und lenkte seinen Gaul zur Seite, sodass Jones vom Ziehbrunnen weg über den Hof geschleift wurde.
»Verdammtes Lumpenpack!«, krächzte da eine wütende Stimme vom dunklen Küchenanbau her. »Schätze, da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden!« Die dünne Brettertür flog knallend auf, und der alte kleine Shorty Ridler, der auf Jones’ Ranch die Stelle des Kochs und einzigen Cowboys versah, stürzte heraus.
In seinem verrunzelten Gesicht zuckte es nur so. Er hatte sich in aller Hast angekleidet und keine Zeit mehr gefunden, das buntkarierte Baumwollhemd in die Hose zu schieben. Die breiten, vielfach geflickten Hosenträger baumelten lose herab. In den knotigen Fäusten schwang er eine schwere doppelläufige Parker-Schrotflinte, die im Vergleich zu seiner kleinen krummbeinigen Gestalt doppelt wuchtig wirkte.
»Shorty!«, keuchte Jones durch den quirlenden Staub. »Mary-Lou – bring das Mädel in Sicherheit!«
Der kleine alte Cowboy rannte mit flatterndem Hemd und rutschender Hose quer über den Hof. In seinen kleinen Augen sprühte es vor Aufgeregtheit. »Ihr Höllensöhne! Nennt ihr das fair, ein Dutzend Kerle gegen einen einzelnen Mann? Fällt euch nichts Besseres zum Zeitvertreib ein? Verdammt und zugenäht, wird Zeit, dass meine gute alte Freundin Jenny Parker mal ein Wörtchen mit euch redet, ihr …« Er verstummte und blieb ruckartig stehen, als sein Blick auf Chad fiel.
»Heiliger Rauch! Seh ich richtig, oder brauchen meine entzündeten Adleraugen tatsächlich schon eine Brille? Der Sheriff? Harbin, Mann, was …«
Er kam nicht weiter. Ein Kellock-Reiter hatte unbemerkt sein Pferd hinter ihn getrieben. Mary-Lous schriller Warnschrei kam zu spät. Gnadenlos sauste der Winchesterlauf auf Shorty Ridler herab. Der kleine Weidereiter sackte lautlos zusammen. Die Mehrzahl der Kellock-Leute war inzwischen abgesessen, hatte einen dichten Ring um Jones gebildet und den Kleinrancher, den die Lassoschlinge noch immer an jeder Bewegung hinderte, auf die Beine gestellt.
Mary-Lou drängte sich zu ihm. Auf Kellocks Wink hielt sie ein kräftiger Cowboy fest. Verzweifelt versuchte das Mädchen, im Gesicht ihres Vaters zu lesen. Jones vermied es, ihrem Blick zu begegnen. Kellock baute sich breitbeinig vor ihm auf.
»Wird Zeit, dass du redest, Freundchen!«
»Fahr zur Hölle, du Lump!«
Kellock holte zum Schlag aus. Da war Chad zur Stelle und hielt ihn fest. »Hank! Leugnen hat keinen Sinn mehr. Amarillo ist hier. Hank, als er befreit wurde, hat man meinen Deputy erbarmungslos zusammengeschossen. Er ist tot. Wenn du wenigstens einen Teil gutmachen willst, dann …«
»Tot?«, krächzte Jones und wurde aschfahl. »Drover tot? Chad, um Himmels willen, damit habe ich nichts zu tun!«
»Wer hat ihn dann herausgeholt?«, fauchte ihn Kellock höhnisch an. »Amarillo hat nur einen Freund in dieser Gegend. Dich!«
»Nein!«, schnaufte Jones. »Nein, Chad, ich habe es nicht getan. Er ist allein hier aufgetaucht. Völlig am Ende seiner Kräfte. Er murmelte etwas von zwei Maskenreitern, aber …«
»Wo ist er?«
Jones senkte den Kopf, presste die Lippen hart zusammen und schwieg.
»Hank, es ist die einzige Möglichkeit, dich aus der Schlinge zu ziehen!«
Jones sagte nichts. Chad seufzte: »Durchsucht die Gebäude, Leute!«
»Nein!«, brummte Kellock sofort. »Wir haben genug Zeit verloren. Jungs, steckt die ganze Burg hier in Brand, dann wird dieser Hundesohn Amarillo schon aus dem Bau kriechen. Verlasst euch darauf!«
Jones’ Blick flammte über das eckige Gesicht des K-Star-Ranchers. »Dreckskerl!«
»Du brauchst nur die Klappe aufzumachen!«, sagte Kellock grimmig.
Jones versuchte das Lasso abzustreifen, aber Leach und noch ein paar kräftige Cowboys der K-Star-Ranch hielten ihn mit eisernen Fäusten am Fleck. Chad sagte schnell: »Ich trage den Stern. Die Kommandos gebe hier ich. Kellock, Sie gehen zu weit …«
»Ich gehe noch viel weiter!«, flüsterte Kellock wild und richtete plötzlich seine Revolvermündung gegen Chads Bauch. »Von Ihrer dämlichen Rücksicht gegen diesen Banditen wird mir fast schon schlecht! Jetzt bringe ich die Sache auf meine Weise zu Ende, ob es Ihnen nun passt oder nicht!« Er gab den Cowboys hinter Chad einen herrischen Wink. Sie entrissen dem Sheriff die Waffe.
»Den Richter möchte ich sehen, der mich verurteilt, weil ich mit einem hartgesottenen Verbrecher auf die richtige Tour umgesprungen bin!«, sagte Kellock hart. »Los, Jungs, ich will das Feuer sehen!«
Vier Cowboys lösten sich aus dem Ring, verteilten sich im Haupthaus, dem Stall und der Scheune. »In fünf Minuten brennt hier alles lichterloh!«, sagte Kellock mit einer Stimme, die Chad erschauern ließ.
Der Druck von Emmet Leachs Coltmündung zwischen seinen Schulterblättern hinderte ihn daran, noch etwas zu unternehmen. Er konnte den Anblick von Mary-Lous verzweifelter Miene kaum noch ertragen.
»Dad!«, flüsterte das Mädchen mühsam. »Willst du nicht …«
»Sei ruhig, mein Kind!«, murmelte Jones tonlos. »Ich kenne Kellock! Er ist so oder so nicht aufzuhalten. Du weißt, wie wenig Amarillo ihn im Grunde interessiert. Er ist nur ein Alibi für ihn. – Nein, Kellock, du Schuft, du wartest umsonst! Ich liefere dir Amarillo nicht aus!«
Aus den Fenstern des balkengezimmerten Ranchhauses zuckte plötzlich roter Feuerschein. Mary-Lou schrie leise auf. Dann war es totenstill auf der Ranch. Nun leuchtete es auch drüben beim Stall und bei der Scheune. Ein Knistern und Prasseln setzte ein, das von Sekunde zu Sekunde lauter wurde. Rauchgeruch breitete sich aus. Die ersten dunklen Schwaden verdunkelten das Silberlicht des Vollmondes.
»Aufgepasst, Männer!«, befahl Kellock. »Wenn ihr nur die Nasenspitze von Amarillo seht, dann schießt, was das Zeug hält!«
»Elende Halunken!«, knirschte Jones. »Kellock, du Lump, deine Rechnung geht nicht auf!«
Kellock starrte zu den Häusern hinüber, aus deren Fenstern und Türen jetzt grelle Lohen schlugen. Gierig fraßen sich die Flammen über das zundertrockene Holz voran. Funken rieselten, Ascheteilchen wirbelten, von der erhitzten Luft mitgerissen, über den ganzen Ranchhof. Ein dumpfes Sausen entstand, und immer höher loderte das Feuer. Brennendes Gebälk krachte zusammen. Die Scheune hatte sich bereits in eine einzige riesige Fackel verwandelt. Das Dach des Ranchhauses begann langsam in der Mitte durchzubrechen. Blutroter flackernder Schein überflutete den Hof und verwandelte die Gesichter der Männer in unheimliche Masken.
Die Cowboys hatten sich mit schussbereiten Waffen im weiten Kreis aufgestellt, wachsam, lauernd, sprungbereit wie Wölfe.
Alles raue Burschen, die besser mit dem Colt als mit Lasso und Brenneisen umzugehen verstanden – Männer, die für den hohen Lohn, den ihnen Bruce Kellock zahlte, bedingungslos jeden Befehl ihres Bosses ausführten. Sie warteten vergeblich! Weit und breit war nichts von Amarillo zu sehen und zu hören!
Kellock starrte wieder Jones an, und dieses wilde, verzweifelte Lächeln spielte noch immer um dessen Lippen. Da schlug ihm Kellock links und rechts mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Jones wäre gefallen, wenn ihn Kellocks Leute nicht mit stählernem Griff gehalten hätten. Er sagte kein Wort.
Kellock atmete tief durch. »Schafft ihn zur Sykomore! Setzt ihn auf einen Gaul und legt ihm einen Strick um den Hals!
Die Revolver-Cowboys stießen ihren Gefangenen sofort vorwärts. »Nein!«, gellte Mary-Lous Schrei. »Das nicht! Lasst ihn in Ruhe!«
Sie wollte hinter ihrem Vater her stürzen. Ein Kellock-Mann drückte ihr so brutal die Arme auf den Rücken, dass sie sich zusammenkrümmte. Sie stöhnte, nach Atem ringend: »Chad, hilf ihm! Lass das nicht zu!«
Leach flüsterte an Chads Ohr: »Du brauchst nur eine falsche Bewegung zu machen, Harbin, dann fährst du dem Satan mitten in den Rachen! Das verspreche ich dir!« Chad kannte diesen flachshaarigen knochigen Vormann gut genug, um zu wissen, wie ernst er es meinte. Kellocks Schießer waren schlimm genug, aber Leach war am schlimmsten. Ein Mann, der nur das Gesetz der Stärke und Gewalt anerkannte.
Jones wurde auf ein Pferd gezerrt. Man band ihm die Hände auf den Rücken. Er wehrte sich nicht mehr.
Kellock kommandierte: »Slim, nimm du den Gaul. Jesse, du kümmerst dich um das Lasso.« Die Schlinge baumelte gleich darauf von einem dicken Sykomorenast. Der Cowboy Slim führte das Pferd des Gefangenen unter den Baum. Die Schlinge schaukelte dicht vor Jones Gesicht.
Kellock schaute aus engen Augen zu dem Gefesselten hinauf. »Dir bleibt nur noch verdammt wenig Zeit. Also?«
»Bring es zu Ende, Kellock, und sei verflucht dafür!«, murmelte Jones tonlos.
»Jesse, streif ihm das Seil über!«
Mary-Lou schrie verzweifelt: »Dad! Er wird dich ermorden, Dad! Gib es auf! Sage ihm, wo er Amarillo finden kann! Dad, du darfst nicht sterben!« Sie wehrte sich wild gegen den Griff des Kellock-Cowboys, trat und zerrte und versuchte den Mann zu beißen, doch der stand wie ein Felsklotz.
»Es hat keinen Sinn!«, sagte Jones laut und fest. »Ich würde nur erreichen, dass Amarillo neben mir hängen würde. Kellock will mich ermorden. Deshalb ist er gekommen, Mary-Lou.«
Das Mädchen erschlaffte. Tränen liefen über Mary-Lous Wangen. »Oh, Dad …«
»Kellock!«, schrie Chad. »Das ist glatter Mord! Dafür werde ich Sie an den Galgen bringen!«
»Den mächtigsten Mann im County?«, fragte Bruce Kellock spöttisch. »Darauf bin ich gespannt! Jones, du willst nicht reden? Nun gut! Slim, lass den Klepper los!«
Slim wich vom Pferd zurück. Sofort drängte das unruhige Tier einen Schritt vorwärts. Die Schlinge zog sich um Jones’ Hals zusammen. Der Gefesselte, musste den Oberkörper nach hinten neigen, um überhaupt noch Luft zu bekommen.
»Nein!«, zitterte Mary-Lous gellender Schrei durch das Prasseln und Tosen des Brandes. »Nein, nein! Dad … Dad …«
Chad vergaß die tödliche Gefahr von Emmet Leachs Revolver. Wie ein Panther wirbelte er herum und riss beide Fäuste in die Höhe. Leachs Augen waren zur blutig beleuchteten Sykomore gerichtet. Das war Chads Chance. Mit verzweifelter Wildheit schlug er zu. Leach ging zu Boden. Sein Schuss jagte zum Nachthimmel empor. Chad trat ihm die Waffe aus der Faust und wollte sich danach bücken. Ein Kellock-Mann, der noch im Sattel saß, sprengte von der Seite her auf ihn zu. Ehe sich Chad wieder aufrichten konnte, rammte ihn die Pferdeschulter und schleuderte ihn der Länge nach in den Sand.
Vom Sattel aus sprang ihm der Cowboy auf den Rücken und drückte ihn mit seinem Gewicht nieder. Chad wollte sich herumwälzen, da wurde ihm der kalte Stahl einer Revolvermündung ins Genick gepresst. Gleichzeitig sah er, dass Bruce Kellock seinen Hut vom Kopf riss und damit wuchtig auf die Hinterhand von Jones’ Pferd einschlug.
Chad schloss die Augen. Mary-Lous Entsetzensschrei war so durchdringend und schrecklich, dass ihn Chad nie mehr vergessen würde. Als er die Augen aufschlug, war alles still bis auf das gleichbleibende Knistern und Knacken des Brandes. Der Revolver wurde ihm vom Nacken genommen. Niemand hinderte ihn daran aufzustehen.
Der Kellock-Cowboy hatte Mary-Lou losgelassen. Sie war auf die Knie gesunken, ihr Kopf herabgefallen. Die Flut ihres dunklen Haares verdeckte ihr Gesicht. Chad starrte zur Sykomore, und da sah er Mary-Lous Vater wie ein großes Stoffbündel am Seil hin und her schaukeln. Der verzerrte Schatten wanderte unheimlich auf dem purpurn angestrahlten Sand.
»Jesse«, hörte er Kellock mit immer noch ungerührter Stimme sagen, »mein Pferd! Wir haben hier nichts mehr verloren!«
Da stürzte Chad einfach vorwärts, geradewegs auf den verbrecherischen Großrancher zu. »Kellock, Sie verdammter Mörder!«
Zwei, drei Cowboys sprangen ihm in den Weg. Chad fegte einen mit einem schmetternden Fausthieb zu Boden. Die Fäuste der anderen trafen ihn voller Wucht. Von hinten wurde ihm ein harter Gegenstand zwischen die Schulterblätter geschlagen. Er stürzte.
Als er keuchend wieder auf die Füße kam, saßen Kellock und seine Männer bereits in den Sätteln. Emmet Leach hatte seinen Gaul dicht neben Chad gelenkt. Sein Colt zielte genau auf den Kopf des Sheriffs.
»Boss«, sagte er dabei mit schmalen Lippen, »ist es nicht besser, er kommt nie mehr nach Greenhill zurück? Jones hat ihn umgebracht, das ist doch ganz einfach.«
»Lass nur!«, winkte Kellock ab. »Jones genügt. Harbin ist keine Gefahr. Ein einzelner Mann gegen die K-Star-Ranch? Das gibt es nicht! Er tut gut daran, alles zu vergessen. Haben Sie verstanden, Sheriff? Wir sind als Ihre Helfer hierher geritten. Sie hatten die Führung. Wir handelten auf Ihren Befehl. Jeder einzelne Mann aus meiner Crew wird das vor Gericht beschwören, wenn Sie es wirklich darauf anlegen sollten. Aber für so dumm halte ich Sie nun doch wieder nicht.«
Chads Gesicht war grau. »Es wird dir noch leidtun, Mörder!«, flüsterte er heiser.
Kellock lachte hart. »Wir haben einem Sheriff geholfen und einen Verbrecher bestraft. Alles ist in bester Ordnung.« Er winkte seinen Reitern zu. Sie wollten ihre Pferde vom Ranchhof treiben.
Da stand plötzlich Mary-Lou vor den halb niedergebrannten Gebäuden, und die gierig züngelnden Flammen verstärkten noch den Schmerz und die Wildheit in ihren Augen. »Kellock!«, schrie sie.
Der Großrancher starrte sie düster an. »Verschwinden Sie so schnell wie möglich aus dem Land. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe.«
Mary-Lou zitterte am ganzen Körper. Ihre schmalen Hände waren zu kleinen Fäusten geballt. »Mörder!«, schrie sie ihn verzweifelt an. »Verfluchter Verbrecher! Wenn ich eine Waffe zur Hand hätte, würde ich Sie, ohne zu zögern, vom Pferd schießen!«
»Nehmen Sie den Mund nicht zu voll! Seien Sie froh, dass Sie eine Frau sind und deshalb noch leben!«, knurrte Kellock. Links und rechts ritten sie staub aufwirbelnd an dem Mädchen vorbei.
Mary-Lou drehte sich und schaute Kellock flammend nach.
»Triumphieren Sie nicht zu früh!«, schrie sie mit wilder Stimme. »Sie haben Dad ermordet, um diese Ranch zu bekommen. Aber das Jones-Land wird Ihnen kein Glück bringen, Sie Verbrecher! Sie haben mich am Leben gelassen, und das wird Ihr Verhängnis! Wie groß und mächtig Sie sich auch fühlen, Kellock – ich werde Dad rächen! Jawohl, das schwöre ich! Wenn Sie mich wiedertreffen, werde ich Ihr Leben fordern! Ihr Leben!«
Fluchend gab Kellock seinem Gaul die Sporen. Dicht geschlossen sprengte die Kavalkade vom Hof, über den Turkey Creek und in den Schatten der strauchbewachsenen Hügel hinein. Mary-Lous Schultern waren eingesunken. Am Ende ihrer Kräfte, ging sie zur Sykomore hinüber. Der kleine alte Shorty Ridler hatte sein Bewusstsein wiedererlangt, kein unnützes Wort verloren und den Ermordeten vom Ast geschnitten.
Die Gebäude hatten sich in glühende Trümmerhaufen verwandelt. Die Flammen sanken herab, und Schatten breiteten sich allmählich wieder unter dem breitästigen Baum aus. Mary-Lou und Shorty kauerten stumm neben dem Toten.
Erst als Chad Harbin zaghaft näherkam, zuckte Mary-Lous Kopf herum. Das unheimliche Glitzern in ihren Augen ließ ihn stocken.
»Was willst du noch?« Ihre Stimme war leise, tonlos.
Er schluckte, suchte nach Worten. »Mary-Lou, es …«
»Geh mir aus den Augen, Chad!«, stieß sie hervor.
»Mary-Lou, du darfst nicht denken, dass …«
Sie erhob sich mit einem Ruck. »Shorty, dein Gewehr!«
Der alte Ridler zögerte, starrte auf seine schwere doppelläufige Schrotflinte hinab und murmelte unsicher: »Mary-Lou, ich weiß nicht, ob das…«
»Das Gewehr!«, wiederholte sie mit einer Stimme, die Chad völlig fremd vorkam. Ridler gab ihr die Waffe. Sie spannte beide Hähne und richtete die Doppelmündung auf den Sheriff.
»Du hast sie hierher geführt. Du hast Kellock zu deinem Helfer gemacht. Jetzt ist Dad tot. Die Vergangenheit ist für mich ausgelöscht, Chad Harbin. Vergiss ganz schnell, was einmal zwischen uns war. Ich habe Kellock Rache geschworen. Ich werde diesen Schwur halten. Und dann, Chad, wenn ich mit Kellock fertig bin, wäre es besser für dich, du hättest das Greenhill-County weit hinter dich gebracht!«
»Um Himmels willen, Mary-Lou, sei nicht zu vorschnell. Ich verstehe, wie dir zumute ist. Aber …«
»Ich brauche dein Verständnis nicht! Verschwinde jetzt! Ich gebe dir zehn Sekunden, dann drücke ich ab!«
Chad starrte sie betroffen an. Er fühlte sich plötzlich zerschlagen und wie ausgebrannt.
Langsam, mühevoll drehte er sich ab und ging zum Creekufer, wo die Kellock-Mannschaft sein Pferd zurückgelassen hatte. Mary-Lou behielt die Parker-Gun im Anschlag, bis sich Chad in den Sattel geschwungen und seinen Gaul in die dunklen Hügel hineingetrieben hatte. Dann erst reichte sie Ridler die Flinte zurück.
»Hol die Pferde aus dem Korral. Wir reiten.«
»Wohin?«
»In die Berge. Wir nehmen Dad mit.« Ihre Stimme war ausdruckslos. Shorty setzte sich krummbeinig in Bewegung. Plötzlich stockte er. »Mary-Lou! Da ruft jemand!«
Sie hatte die seltsam gedämpfte Stimme ebenfalls gehört. Ein Zucken lief über ihr Gesicht. Schon setzte sie sich in Bewegung.
»Der Brunnen! Mein Gott! Sie haben den Brunnen vergessen!«
Shorty beugte sich neben ihr über die Lehmmauer des Ziehbrunnens. Unten in der pechigen Finsternis war eine Bewegung. »Hank, hallo, Hank! Bist du es da oben?«
»Amarillo!«, krächzte der kleine alte Cowboy und griff sich an die Kehle.
Mary-Lou hatte bereits das Seil gepackt. Shorty griff nach dem Hebel der schweren Holzwinde. Sie zogen und zerrten angestrengt fast fünf Minuten, bis der Mann aus dem schwarzen Schacht auftauchte. Das Seil war ihm mehrmals um den Körper geschlungen. Seine langen Beine tropften vor Nässe. Er war völlig erschöpft, als sie ihn über die Brunnenmauer zogen, und ließ sich in den Sand sinken. Benommen starrte er auf die verkohlten Gebäude, zwischen denen nur noch spärliche Flammen geisterten.
»Ich verlor die Besinnung, als Hank mich da unten versteckte. Großer Himmel, was ist da nur passiert? Wo ist Hank?«
»Ermordet!«, sagte Mary-Lou dumpf und schaute dem lederhäutigen Desperado fest ins Gesicht.
Amarillo fuhr zusammen. »Er ist meinetwegen …? Nein, Himmel, sagen Sie, dass es nicht wahr ist!« Er wollte aufstehen, sank jedoch wieder matt gegen den Brunnenrand zurück.
Mary-Lou und Shorty starrten ihn an. »Nein!«, ächzte er. »Nein, das wollte ich nicht!«
Mary-Lou fragte tonlos: »Hat Dad Sie befreit? Hat er den Deputy erschossen?« Amarillo stöhnte: »Nein, nein! Zwei Fremde. Sie trugen Masken. Ich kannte sie nicht. Alles ging so schnell. Und ich war versessen darauf, frei zu sein. Der Galgen drohte mir doch. Sie nahmen mich mit. Ich wusste nicht, wohin es ging. Plötzlich hatten wir Hanks Ranch vor uns. Sie sagten mir, ich sollte zu ihm reiten, er würde mir helfen, machten kehrt und verschwanden in der Nacht. Ich tat es. Hank war wie vor den Kopf geschlagen. Er wusste nichts von meiner Befreiung. Er ist nicht der Mann, der sich eine Maske umbindet und skrupellos auf einen anderen schießt. Nein, nein, wenn ich dran denke, dass er …« Er sank plötzlich auf die Seite.
Shorty kniete hastig bei ihm nieder. »Bewusstlos. Was machen wir mit ihm?«
»Er war Dads Freund. Das allein zählt für mich. Wir nehmen ihn mit. Gegen Kellock brauchen wir jeden Verbündeten. Binde ihn auf ein Pferd, Shorty.«
Der kleine Weidereiter räusperte sich. »Du willst im Ernst gegen Kellock kämpfen? Gegen den mächtigsten Mann im County?«
»Wenn es sein muss, ganz allein!«, sagte Mary-Lou entschlossen. Da stand Shorty seufzend auf und holte die Pferde aus dem Korral.