Читать книгу Geliebt, gehasst, gefürchtet … - Glenn P. Webster - Страница 14
9. Kapitel
ОглавлениеDas Grab lag am Fuß einer riesigen Felsmauer. Ein dunkler Erdhügel und ein aus Holzpflöcken gezimmertes Kreuz waren alles, was noch an Hank Jones erinnerte. Behutsam legte Mary-Lou einen Strauß Bergblumen auf die von einem Spaten geglättete Erde und blieb mit gesenktem Kopf stehen. An diesem sonnenhellen Morgen trug sie Männerkleidung, ein buntes Wollhemd, enge Jeans, halbhohe Reitstiefel und um die Hüften geschnallt einen patronenbespickten Gurt mit einem 38er Remington-Revolver im Holster. Ihr langes schwarzes Haar wurde im Nacken von einem roten Band zusammengehalten. Der flachkronige Hut hing an der Windschnur auf ihrem Rücken.
Sie blickte erst auf, als sich eine Männerhand sachte auf ihre weichgerundete Schulter legte. »Die Jungs sind fertig!«, sagte Jim Santana glatt. »Kommst du?«
Sie atmete tief durch und wandte sich vom Grab ab. Santanas Männer schlenderten über die freie Grasfläche zum Korral hinüber. Das Quartier der Bande, ein moosüberwuchertes altes Blockhaus, duckte sich zwischen hohen windzerzausten Douglasfichten. In der offenen Tür tauchte Amarillos hagere Gestalt auf. Er musste sich gegen das morsche Holz lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Santana!« Der scharfe Klang seiner Stimme riss die Köpfe sämtlicher Männer herum. Der große sehnige Mann neben Mary-Lou erstarrte, als er den langläufigen Fünfundvierziger in Amarillos Faust entdeckte.
»Höllenfeuer! Bist du übergeschnappt, lebensmüde, Amarillo?«
Die Anstrengung trieb dem lederhäutigen Desperado den Schweiß auf die Stirn. »Lass das Mädel zurück, Santana! Reite ohne Mary-Lou!«
»Was redest du da?«
»Mary-Lou!«, rief Amarillo keuchend. »Gehen Sie weg von ihm! Bleiben Sie hier!«
Mary-Lous Blick flog zwischen Amarillo und Santana hin und her. »Ich weiß nicht, was Sie wollen!«
»Aber Santana weiß es! Santana, warum hast du es ihr nicht gesagt?«
»Was gesagt?« Ein gefährliches Glitzern war in Santanas Augen.
»Er wird Sie direkt mit ins Verderben reißen, Mary-Lou!«, rief der Verwundete Jones’ Tochter zu. »Was ihr vorhabt, ist nichts für eine Frau!«
Mary-Lous schlanke Gestalt straffte sich. Ihre Miene wurde abweisend. »Jim reitet auf meinen Wunsch gegen die K-Star-Ranch. Ich habe keine Angst vor Kellock. Ich will nur eines – Dad rächen. Dafür riskiere ich gern mein Leben.«
»Sie setzen mehr als Ihr Leben aufs Spiel!«, warnte Amarillo. »Vielleicht wird alles nur schlimmer für Sie, wenn Sie ihr Ziel wirklich erreichen. Dann sind Sie Seite an Seite mit einer Desperadobande geritten, Mary-Lou. Und was Kellock auch verbrochen hat, Sie haben kein Recht, ihn auf eigene Faust dafür mit dem Tod zu bestrafen. Das Gesetz wird in Ihnen ebenfalls eine Mörderin sehen!«
Mary-Lou stampfte heftig mit einem Fuß auf. »Nehmen Sie dieses Wort nicht mehr in den Mund! Seien Sie still, Amarillo!«
»Nein, Sie müssen mich anhören! Sie müssen über meine Worte nachdenken! Mary-Lou, wenn Sie jemals Ihre Rache vollstrecken – mit Satanas Hilfe – dann gibt es kein Zurück mehr für Sie in ein geordnetes Leben!«
»Es ist genug!«, knurrte Jim Santana. »Was fällt dir ein! Ich warne dich!«
Amarillo beachtete ihn gar nicht. »Wollen Sie eine Frau werden, hinter der die Sheriffs und Marshals herjagen? Die Frau eines Verbrechers? Mary-Lou, das ist …«
Sie starrte ihm kalt ins Gesicht. »Einem ehemaligen Bandenführer steht es schlecht an, über Recht und Gesetz zu sprechen und Belehrungen zu erteilen. Finden Sie nicht?«
Amarillo seufzte. Der Colt wankte in seiner Faust. »Mag sein! Aber Sie sind Hanks Tochter. Hank war der einzige Freund, den ich je hatte. Ich bin es Ihnen schuldig, die Wahrheit …«
»Sie haben getan, was Sie konnten! Die Entscheidung müssen Sie mir überlassen!« Ihre Stimme klirrte. »Komm, Jim, wir reiten!« Sie wandte sich einfach ab. Santana lächelte Amarillo gehässig an.
Amarillos Colt ruckte. »Stehenbleiben! Mary-Lou, ich werde Ihren Verbündeten Santana auf der Stelle niederschießen, wenn Sie nicht auf mich hören!« Sein Gesicht war grau und eingefallen und glänzte jetzt nur so von Schweiß.
Santanas Faust klatschte auf den Revolvergriff. Amarillo zischte: »Nur zu! Du bist nicht schnell genug!« Und Santanas Leuten rief er drohend zu: »Ihr haltet euch da raus! Mein Eisen zielt genau auf euren Boss!«
»Verdammter Coyote!«, schnaufte Santana, und sein scharfgeschnittenes Gesicht verzerrte sich. »Das werde ich dir noch heimzahlen!«
»Gehen Sie von ihm weg, Mary-Lou!«, wiederholte Amarillo drängend. »Wenn ihr unbedingt einen Schlag gegen Kellock führen wollt, dann lassen Sie es ihn allein tun!«
»Und Sie nennen sich einen Freund meines Vaters?«, murmelte das Mädchen herb. »Beinahe glaube ich, Sie wollen Bruce Kellock schützen und nicht mich! Amarillo, weg mit dem Colt! Oder haben Sie vergessen, dass Sie mir wahrscheinlich Ihr Leben verdanken? Sie wären verloren gewesen, wenn ich Sie nicht mitgenommen hätte!«
»Ich bin dabei, meinen Dank abzustatten!«, flüsterte Amarillo bitter. »Nur begreifen Sie das noch nicht! Weg von Santana, Ma’am – oder ich schieße ihm mitten in den Kopf!«
»Dieser Lump!«, ächzte Santana erbittert. »Dieser dreimal verfluchte Lump!«
Mary-Lou setzte sich ruckartig in Bewegung, trat genau vor Santana und ging so auf Amarillo zu. Der Verwundete zuckte zusammen. »Um Himmels willen, Mary-Lou, aus der Schusslinie!« Sie ging schneller, das blasse Gesicht gestrafft, ein entschlossenes Funkeln in den Augen. Hinter ihr lachte Santana wild auf und holte seinen Revolver aus dem Holster. Shorty Ridler kam vom Korral herüber. »Mary-Lou, hör auf ihn! Amarillo hat recht!«
Amarillos Gestalt erschauerte vor Erschöpfung und Enttäuschung. Er ließ den Colt herabsinken. »Warum haben Sie das getan, Mary-Lou? Begreifen Sie doch! Es ist gerade noch Zeit für Sie zum Umkehren!«
Sie streckte ihm eine Hand hin. »Geben Sie die Waffe her!«
»Sie sind blind vor Hass und Schmerz, Mary-Lou. Sie werden zu spät aufwachen.« Er reichte ihr müde den Colt. Sie warf ihn ins Gras. Amarillo murmelte mit halb geschlossenen Augen:
»Vielleicht sollten Sie hören, wie ich zum Desperado geworden bin. Es war ebenfalls Rache. Ein angesehener Bürger einer Stadt in Texas war schuld am Tod meines Bruders. Ich ritt hin, forderte ihn zum Duell und erschoss ihn. Er zog zuerst, aber es war niemand da, der das bezeugen konnte. Die ganze Stadt machte Jagd auf mich. Ein Steckbrief wurde herausgegeben. Das war der Anfang. Ich suchte Zuflucht bei einer Bande. Und von da aus gab es kein Zurück mehr für mich. Ich musste …«
»Mir kommen fast schon die Tränen!«, mischte sich Santana ein, trat neben Mary-Lou und schlug seinen Revolver auf Amarillo an. »Vielleicht solltest du jetzt lieber noch schnell ein Gebet sprechen, ehe ich dich …«
»Jim!«, sagte Mary-Lou schnell. »Das nicht! Er ist keine Gefahr mehr!« Widerstrebend ließ Santana die Waffe in das Holster zurückgleiten. Shorty Ridler krächzte aufgeregt:
»Meine Freundin Jenny und ich sind auch noch mit von der Partie! Mary-Lou, Amarillo hat mir aus der Seele gesprochen! Kehr um, ehe es zu spät ist!«
»Bully!«, knurrte Santana. »Nimm ihm den Schießprügel ab!«
Der wulstlippige Hüne löste sich aus dem Banditenrudel und kam mit wiegenden Schritten auf den kleinen Oldtimer zu. »Endlich! Dein vorlautes Maul wollte ich schon lange mal zum Schweigen bringen!«, grinste er breit.
»Jenny Parker wird dich in Stücke reißen, wenn du mir zu nahekommst, Gorilla!«
»Shorty! Weg mit der Waffe!«, rief Mary-Lou energisch. »Du bleibst hier bei Amarillo, kümmerst dich um seine Wunde und bist ganz friedlich!«
Shortys Adamsapfel ruckte auf und ab. »Mädel, warum musst du dauernd in diesem Ton mit einem armen alten Mann sprechen? Ich bin …«
»Wenn du bei mir bleiben willst, dann hörst du auf meine Befehle! Weg mit der Flinte, Shorty!«
»Na, wird’s bald, du Zwerg!«, grinste ihn Bully höhnisch an. Er streckte seine Pranke nach der Parker-Gun aus.
Shorty wand sich. »Mary-Lou, du weißt nicht, was du da von mir verlangst! Ich soll ihm meine Freundin Jenny …« Bullys Faust schnappte bereits zu und entriss ihm die Flinte. Im ersten Moment sah es aus, als würde sich der kleine Oldtimer mit bloßen Fäusten auf ihn stürzen. Mary-Lou rief scharf seinen Namen, und Shorty Ridler erschlaffte.
Santana befahl grimmig: »Bully, du bleibst bei diesen beiden komischen Vögeln zurück und passt auf, dass sie keine Dummheiten machen.« Er zwinkerte Bully bedeutsam zu, und die Wulstlippen des Hünen grinsten noch breiter.
Santana legte seinen Arm um die Schultern Mary-Lous.
»Du bist ein Prachtmädel! Wir beide werden noch die ganze Welt aus den Angeln heben! Weißt du, dass ich ganz verrückt nach dir bin?« Er zog sie mit festem Griff an sich und neigte sein Gesicht zu ihr hinab. Die Bande starrte grinsend herüber.
Mary-Lous biegsamer Körper wurde in Santanas Arm ganz steif.
»Jim, ich verlange, dass du dich an die Abmachung hältst! Kellock lebt noch auf freiem Fuß!«
Ein gieriges Flackern war in seinen dunklen Augen. Seine Hände krallten sich in ihre Schultern. Sein Atem ging schneller. Sekundenlang schien es, als würde er sie gegen ihren Willen küssen. Sie starrte ihm nur unverwandt und eiskalt in die Augen. Da ließ Santana sie los.
»Gut!«, sagte er heiser. »Die Abmachung gilt! Erst Kellock! Ich hoffe nur, du vergisst dann nicht den zweiten Teil unseres Geschäfts!« Sein Tonfall war drohend geworden.
Ruhig hielt Mary-Lou seinem durchdringenden Blick stand. »Ich habe noch immer mein Wort eingelöst!«
Die Härte in Santanas Gesicht lockerte sich zu einem scharfen Grinsen. Dann herrschte er seine Crew an: »Zum Teufel! Was steht ihr da und glotzt wie die Ochsen! In die Sättel, Jungs! Kellock wartet auf unseren Besuch!«
Während Bully den alten Ridler und Amarillo in die Blockhütte drängte, holten die Desperados ihre bereits gesattelten Gäule aus dem Korral, saßen auf und ritten in geschlossener Formation aus dem Felskessel fort, indem ihr verborgenes Camp lag. Steigbügel an Steigbügel galoppierten Mary-Lou und Jim Santana an der Spitze.