Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 30

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Als höflicher Mensch warte ich in der kleinen Lobby meines Hotels. Kurz vor halbsieben taucht der goldschimmernde Mercedes GL 450 vor der Eingangstür auf. Nancy Wong schaut geradeaus, als ich hinaustrete und zur Beifahrerseite gehe. Dafür mustert sie mich um so genauer, nachdem ich die Wagentür schließe.

„Hey, Jackett statt Bomberjacke. Ich gebe zu: Man kann sich mit dir sehen lassen. Gut, dass Du keine Krawatte umgebunden hast. Die hätte ich dir sofort abgenommen. Zuviel Ehre für meinen Vater."

Sie selbst trägt ein hellgraues Seidenjackett über einem leichten dunkelgrünen Sweatshirt mit V-Ausschnitt, weiße Halskette und mittelblaue Jeans – eine Schönheit, geübt in dezenter Untertreibung.

Als ich den Sicherheitsgurt anlege, fallen mir die ungewöhnlich dicken Scheiben und die breiten Fensterrahmen des Wagens auf. Dank meiner früheren Arbeit im Autozulieferbereich habe ich einen Blick für Panzerglas und verstärkte Seitenpfosten.

Nancy bemerkt mein genaues Hinschauen. Während der Wagen zügig die Pine-Straße hinauf beschleunigt, meint sie:

„Leider liefert Mercedes den Wagen nicht mit einer Drehkanone auf dem Dach. Könnte mir gefallen. Damit ließen sich dem Berufsverkehr ein paar heitere Seiten abgewinnen.“

Im Auto ist es zu dunkel, um ihr Mienenspiel zu verfolgen. Jedenfalls fühlt es sich gut an, neben ihr zu sitzen, ihre Stimme zu hören.

„Müssen wir vorher einen Abstecher in mein Badezimmer machen?,“ fragt sie unvermittelt.

Ich brauche ein paar Sekunden.

„Dein Badezimmer... ? Ach ja, klar, ich bitte darum. Allerdings fordere ich dieses Mal von dir die gleiche rückhaltlose Offenheit.“

Sie lächelt hörbar.

„Bedaure, das widerspricht meinem neugewonnenen Selbstverständnis als Domina. Es sei denn, Du möchtest, dass ich dich wieder auf versteckte Wanzen oder andere empfindliche Wesen untersuche.“

„Nancy! Du bist verheiratet; und ich bin nicht lebensmüde. Wie das,

keine Kinder zum Besuch bei Opa?“

„Bitte, halte Du dich da raus,“ kommt unerwartet schroff zurück.

Nach kurzer Pause erklärt sie in verbindlicherem Ton:

„Natürlich wollten sie mit zu Opa. Und er hat mir Pech und Schwefel auf meinen Model-Kopf gewünscht, wenn ich ohne sie komme.“

Hat sie ,Model-Kopf’ gesagt?

„Meine Erziehung geht den Alten nichts an. Seit gestern Abend weißt Du, warum. Wenn der Vorfall auf der Treppe erörtert wird, dann ohne die Kinder. Die sollen die Sache möglichst schnell vergessen.“

„Würde ich genauso machen. Kinder sind verblüffend widerstandsfähig, stecken so etwas leichter weg als viele Erwachsene glauben. Das aufgeregte Getue der Alten schadet ihnen meist mehr als das Erlebnis selbst. Solange Du keine Alarmzeichen findest, ungewohnte Schüchternheit, Albträume oder Bettnässen, ist alles im grünen Bereich.“

„Genau meine Überlegung.“

Während sie die Fahrbahn wechselt, fragt sie nach.

„Kennst Du dich aus damit?“

„Ab und zu begegnet mir das Thema Trauma. Meine Freundin ist Chief Detective bei der Kriminalpolizei in Frankfurt. Wir hatten unsere eigenen Trauma-Erlebnisse.“

„Auch in Verbindung mit einer Entführung?“

„Zufällig ja, und mit dem Gebrauch von Pistolen.“

„Oh! Hast Du geschossen?“

Obwohl die Dunkelheit im Wagen wenig von ihrem Gesicht erkennen lässt, spüre ich Nancys waches Interesse.

„Ja.“

„Du hast dabei nicht auf Blechdosen gezielt, denke ich?“

„Auf ihren Kollegen und dessen Kumpel.“

Sie macht ein Geräusch wie leises Pfeifen.

„Sag das noch mal!? ... Hey, Du verscheißerst mich doch nicht? Bist Du ein Bulle in Deutschland?“

„Nein, ich arbeite als Verhaltenscoach. Der Schusswechsel war reine Notwehr bei einer privaten Abrechnung. Der Bulle und sein Kumpel wollten die Kommissarin, seine Chefin, entführen.“

„Wann war das?“

„Ende August in Frankfurt.“

Die Ampel vor uns springt auf Rot, Nancy lässt den Wagen ausrollen.

„Wo sind wir?“

„Noch ein ganzes Stück, das hier ist erst Van Ness-Straße. Und wieso hattest Du eine Pistole? Kriegt man die leicht in Deutschland?“

„Nein, ziemlich schwer sogar. Ich sollte ebenfalls entführt werden. Der Kerl stand dicht neben mir. In meiner Panik habe ihm mit der Handkante den Hals zermatscht und seine Pistole mitgenommen.“

Als die Ampel auf Grün springt und der Wagen anrollt, gibt Nancy ein kräftiges „Pah!“ von sich.

Ich fühle ihren musternden Blick, während der Wagen beschleunigt.

„Hey, Mann! So Sachen ... Gestern hast Du dem Kidnapper die Nase gebrochen. Das gefällt mir. So siehst Du gar nicht aus! Ich stelle fest, Du hast Mut in den Knochen, kannst mit Pistolen umgehen. Schätze, Janey hat Glück gehabt, dir in die Arme zu laufen.“

Als ich schweige, fügt sie mit hörbarem Lächeln hinzu:

„Vor allem bewegst Du dich auf der richtigen Seite. Du erinnerst dich: Der Feind im Inneren, der Kollege deiner Frau Detective. Mister Berkamp, Du steigst zusätzlich in meiner Achtung. Bleibst Du länger in der Stadt?“

„Danke, ich fühle mich geehrt. Noch fast zwei Wochen. Darf ich dir eine private Frage stellen, Nancy?“

„Jederzeit!“

„Du bist verheiratet, hast aber den gleichen Nachnamen wie dein Vater. Wie kommt das?“

„Einfach chinesische Kultur. In dem ganzen Riesenreich gibt es nur ungefähr einhundert gebräuchliche Familiennamen. Die meisten sind einsilbig: Lee, Jen, Ma, Wu. So ähnlich wie hier in Amerika viele Familien Smith, Davis oder Miller heißen. Da kann es leicht, wie mir, passieren; Du heiratest jemanden mit dem gleichen Namen, ohne mit ihm verwandt zu sein. Außer Du gehst zurück zu Adam und Eva. Nebenbei ist es sehr praktisch; erspart das Umschreiben von Führerschein, Sozialversicherungskarte, Waffenerlaubnis und Bankkonten. Und jetzt, wollt ihr heiraten, deine Polizistin und Du?“

Oh, sie hat eine Waffenerlaubnis!? Wundert es dich, Robert?

„Wir haben noch nicht entschieden, wer von uns beiden der hartnäckigere Single ist. Sie, Corinna, ist doppelt so lange geschieden wie ich. Enger sind wir erst seit ein paar Monaten. Wir merken gerade, dass wir Beziehung wieder lernen müssen.“

„Corinna, hübscher Name. Ist sie jung?“

„Sie wird fünfzig, knapp zehn Jahre jünger als ich.“

„Nein?! Du bist wirklich so alt? Ziemlich gut gehalten. Aber Vorsicht! Polizistin – wenn Du mich fragst, das wird nichts. Wer ihn bis zu dem Dienstgrad durchgestanden hat, ist mit dem Job verheiratet. Verdorben für ein geruhsames Alltagsleben. Erst recht als Frau. Hat sie wenigstens eine attraktive Tochter, die noch frei ist?“

Beachtlich, ihre Gedankengänge. Und freimütig ihr Mundwerk. Das verschafft ihr mindestens fünfhundert Punkte mehr an Wertschätzung.

„Oh, Mann! Nancy, Du bist eine Marke! Stimmt, sie hat eine Tochter, eine ganz passable junge Frau.“

„Warte mal ab, wann sie dich auf ’s Kreuz legt. Single-Mutter? Wetten, die Tochter fällt für gestandene Männer. Und ältere Männer zieht es mit Macht zu jungen Frauen. Mutter Natur will das so. Aber Du hast ja noch Zeit hier. Wer weiß; bei uns kann noch viel geschehen.“

„Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?“

Wir reden miteinander wie ...? Ich sitze da und freue mich mal wieder.

„Kann beides sein. Hör zu, Robert, sag nichts über Vaters Haus. Es ist ein toskanischer Palast, viel zu groß für den Mann. Mit einem Makel, über den er sich jeden Morgen ärgert. Er hat keinen freien Blick auf die Bucht und die Golden-Gate-Brücke. Wenn er dürfte, würde er die paar Häuser dazwischen wegsprengen.“

„Ist er herrschsüchtig?“

„Früher ja, impulsiv und gewohnt, sich durchzusetzen. Inzwischen ist er gelassener geworden. Er wird fürsorglich bewacht. Ziemlich sicher ist Miriam Jennings jetzt da; seine Hausdame, Mätresse, Unterhalterin; was weiß ich. Er verwöhnt sie gelegentlich mit einem exklusiven Auto und teuren Reisen, denkt aber nicht daran, sie zu heiraten. Sie rächt sich mit anschaulichen Erzählungen über reale Kriminalfälle, in denen dem männlichen Haupttäter seine Dummheit zum Verhängnis wird. Sehr treffend. Was soll ’s, das ist deren Leben. Mein Mann ... Francis ... kommt mit ihr besser zurecht als ich. Die Kinder mögen sie einigermaßen, das reicht mir.“

Die Chinesische Mauer

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