Читать книгу Die Chinesische Mauer - Günter Billy Hollenbach - Страница 33

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Als wir in ihrem Mercedes sitzen, atmet Nancy laut seufzend aus.

„Na, was meinst Du?“

Sie macht keine Anstalten, loszufahren.

„Oh je, Nancy. Dafür dürfte die Nacht kaum reichen.“

„Großartig. Wie wäre es mit der Kurzfassung. Am liebsten würde ich jetzt zwei Meilen laufen. Aber nicht in dem Outfit. Blöd, ich kenne keine Bar, wo man in Ruhe reden kann; und ohne Alkohol.“

„Dann lass uns ein Stück weiter zum Wald vor Lands End fahren.“

So hübsch die Gegend über der Mündung der Bucht mit der erleuchteten Golden-Gate-Brücke selbst bei Nacht sein mag; draußen ist es windig und unangenehm kalt. Also bleiben wir im Wagen sitzen, sprechen im Dunkeln.

Ich hätte gern Nancys Gesicht gesehen.

„Was war das vorhin? Meine Tochter Lehrerin an der Desert Highschool in Phoenix?“

„Desert Vista Highschool. Eine frühere Freundin arbeitet dort. Reine Vorsicht, intuitiv; liegt wohl in der Familie. Du kannst nie wissen, wer mit wem tratscht, und dabei etwas weitergibt, was die falschen Leute auf falsche Gedanken bringt. Ich kenne die Methoden in bestimmten Kreisen. Wenigstens sollst Du keine Angst um deine Tochter und ihre Familie haben müssen.“

Huh! Ich erstarre für zwei Augenblicke. Jemand könnte Claudia schaden, wegen etwas, mit dem sie nicht das Geringste zu tun hat?! Um mich zu treffen. Widerlich. Etwas Ähnliches haben Corinna und ich im vergangenen Juli erlebt.

„Ich bin nur vorsichtig, Robert. Wenn die Leute so übel sind, wie ich befürchte, muss man sich auf Schändlichkeiten einstellen.“

„Welche Leute?“

„Allgemein gesprochen. Nebenbei, Du hast bestimmt einen guten Eindruck hinterlassen bei meinem alten Herren.“

„Dank deiner Mithilfe. Ich wollte ja nicht um deine Hand anhalten.“

„Oh, Mann, erinnere mich nicht daran.“

Sie lacht bitter.

„Gott, nein; Francis. Du hast ja gehört, was Daddy von meinem grandiosen Gatten hält. Dabei war er anfangs von ihm begeistert, ... genau wie ich. Bis zu Brians Geburt war ich selig mit ihm. Dann verwandelte sich das Abenteuer Ehe in Verantwortung. Anders als meine Mutter fühle ich mich nicht zur Erziehung des Ehemanns berufen. Das habe ich jetzt davon. Francis himmelt meinen Alten bis heute an, eifert ihm immer noch als Geschäftsmann nach. Obwohl der ihm das Format dazu abspricht. Und, wie findest Du meinen Vater?“

„Beeindruckend, gut in Form, geistig und körperlich. Er ist dein Vater.“

„He? Wie soll ich das verstehen?“

„Ihr habt viele Gemeinsamkeiten. Er sagt zwar „mein Mädchen“, behandelt dich aber als Gleichwertige, mit viel Anerkennung. Wer solch eine Tochter hat, soweit ich dich bis jetzt kennen gelernt habe ...“

„Danke bestens,“ fällt sie mir ins Wort. „Du meinst, ich ... von ihm ... wie er? Schlimm? Ich meine, unangenehm?“

„Zumindest im Badezimmer fand ich deine direkte Art ganz erfreulich.“

Sie knufft mir kichernd gegen den Oberarm:

„Vorsicht, mein Lieber, sonst setze ich dich vor die Tür. Gib mir eine ehrliche Antwort.“

„Na schön, wie Du ... befiehlst.“

„Ich weiß, ich weiß. Ich bin ein herrschsüchtiger Drache.“

Nein, Nancy, denke ich, du wirst immer mehr eine liebe Freundin.

„Also, ernsthaft geantwortet? Bei sachlichen Dingen verhaltet ihr euch sehr ähnlich. Erst Informationen sammeln, anschließend entscheiden und danach handelt. Sein Vortrag über die Autowelt war in der Hinsicht aufschlussreich. Gestern in der Küche mit den beiden Polizisten hast Du das auch gemacht.“

Nancy schweigt lange.

„Gut beobachtet, Sir Berkamp,“ beginnt sie schließlich. Und legt los.

„Das ist sehr chinesisch: Geduld und Sorgfalt am Anfang, Dinge im Zusammenhang verstehen, die wichtigen Leute anhören, in Ruhe entscheiden, dann entschlossen ausführen. Auf diese Weise ziehen alle Beteiligten leichter mit. Die meisten westlichen Manager machen das Gegenteil, entscheiden kurzfristig, selbstbezogen und oberflächlich. Später wundern sie sich, wenn bei der Umsetzung jede Menge abweichende Meinungen und Widerstände auftauchen. Oh nein, entschuldige, Robert, ich predige wie vor meinen Mitarbeitern.“

„Ziemlich anschaulich erklärt. Was arbeitest Du eigentlich, Nancy?“

„Mann, dazu würde die Nacht ebenfalls nicht reichen. Keine Sorge, wir finden bestimmt eine Gelegenheit. Du machst doch nicht nur Workshop, oder? Dann lernst Du mich besser kennen, triffst auch Francis. Was hältst Du von Miriam?“

„Oh je, schwierig. Sie sieht passabel aus, ist aber nicht mein Typ. Sie wirkt nicht stimmig, irgendwie unecht.“

„Unecht ist gut. Sonst noch etwas?“

„Miriam hat sehr aufmerksam geschwiegen. Ich glaube, sie wäre gern mehr als seine Hausdame. Offen gesagt, ich fand, Du warst ziemlich hart zu ihr.“

„Das behauptet Francis auch. Ausgerechnet der nimmt sie vor mir in Schutz. Soll er doch, wenn er ihr Spiel nicht durchschaut. Miriam tut schön, will es jedem recht machen. Meine Kinder gnadenlos verwöhnen, das gefällt ihr. Damit ich wie die strenge Spielverderberin dastehe. Mehr hat sie nicht zu bieten. Sie lebt von Vaters Geld, will überall mitreden, hat aber nicht genug auf dem Kasten. Wenn es zur Sache geht, stört die Frau nur.“

Mein Eindruck von Miriam Jennings ist ein anderer.

„Vorsicht, Nancy. Vordergründig mag sie schöntun; aber dahinter steckt Berechnung. Die Frau mag manches einstecken, aber sie vergisst nicht. Nebenbei, Stichwort Familie; da neigst Du zur Empfindsamkeit, oder täusche ich mich?“

„Kann sein. Miriam und mein Vater sind die letzten, die mir in der Hinsicht etwas zu sagen haben. Oder in meine Kindererziehung reinreden. Ersatzmutter brauche ich keine mehr.“

„Was mich überrascht hat, bei der Begrüßung, wie Du ...; zumindest Miriam denkt jetzt, wir treiben es miteinander.“

Nancy macht ein Geräusch, das sich wie Kotzen anhört.

„Diese Schlange! Kann sie gern denken. Ne, mein Lieber. Ich befinde mich auf der Höhe der Zeit. In manchen Dingen bin ich mehr Cheyenne als Chinesin. Wenn es sein muss, kämpfe ich und liebe es. Familiensinn!? Scheiße! Schau mich doch an! Mit einem Ehemann, der mehr unterwegs ist als zuhause und mir schamlos predigt, Scheidung kommt nicht in Frage. Da passt er zu meinem Vater. Beide reden dauernd den gleichen Mist. Statt dessen „auf dass der Tod euch scheidet“, wie wäre das? Meine Mutter Lorna kann das unwiderlegbar bezeugen.“

Nancy spricht zunehmend erregt, schnauft wütend.

Schwerhörig bin ich nicht, nur ab und zu etwas langsam im Verstehen.

Vorsicht, Robert! Alarmstufe Orange! Oder schon Feuerrot? Besuch bei Vater Wong – gut und schön. Ganz beiläufig wird hier gerade der Zustand von Nancys Ehe verhandelt. In einer Tonart, die sehr nach höchst unerfreulich klingt. Wie sie sich vorhin bei mir eingehakt hat? Vielleicht ein Hinweis zum Stand der ehelichen Dinge? Den ihr Vater und Miriam besser deuten können als ich?

Solche Äußerungen bringen meine Phantasie auf Trab. Francis oft auf Reisen? Allein? Abends im Hotel? Der vielbeschäftigte, erfolgreiche Geschäftsmann? Eine attraktive Sekretärin, stets zu Diensten? Geschichten wie im richtigen Leben. Bei denen es am Ende kaum noch um Treue geht sondern um den Ruf, Geld und Geschäfte.

Ihr habt Sorgen, Leute. Was habe ich damit zu tun?

Ich mag Nancy, bin aber klug genug, die entscheidende Grenze zu achten. Sie bestimmt auch. Sie verhält sich mir gegenüber nur freundschaftlich, nicht zweideutig. Oder verstehe ich es bloß noch nicht?

Irrtum! Was kapiere ich denn? Dass neben mir eine Frau sitzt, die sich seit längerem über den gewöhnlich kümmerlichen Zustand ihrer Ehe hinwegmogelt? Und wenn es jetzt um mehr geht? Wenn ich eine willkommene Schachfigur bin in einem verbissenen Beziehungsspiel?

Dann durchzuckt mich ein ekelhafter Gedanke.

Ob Nancy Angst hat? Wie gefällt dir das, Robert?! Dass es ihr ähnlich ergehen könnte wie ihrer Mutter? Bis dass der Tod ...

Ich sitze stumm da, erst erschrocken, dann betroffen. Das könnte mir echt Angst machen ... Oh, Mann, ... ich habe Angst ... um Nancy. Wenigstens kann sie Karate und hat einen Waffenschein; bestimmt auch eine Pistole.

Ihre Stimme lässt mich zusammenzucken.

„Tja, Robert, es bleibt wenig vom schönen Schein. ... Nette Aussichten für mein eigenes Leben. ... Scheiße! Wieder ein gelungener Abend, was mich betrifft. Wenigstens dir hat er etwas gebracht, das reicht. Okay, wir kümmern uns um dich, versprochen.“

Sie schaltet die Zündung ein, schaut auf die Wagenuhr.

„Ende des Liebesgeflüsters. Wenn wir uns ranhalten, kommen wir noch vor Mitternacht ins Bett.“

Im Widerschein der Armaturenbrettbeleuchtung sehe ich ihr flüchtiges Lächeln, als sie ergänzt:

„Jeder in sein eigenes. Damit Du nicht wieder auf falsche Gedanken kommst, mein Lieber.“

Sie startet den Motor, wendet vorsichtig. Als wir die California-Straße entlang rollen, tippt Nancy mir auf den Oberschenkel. Wie um einen früheren Gedanken zu Ende zu bringen, fordert sie mit gespielter Mädchenstimme:

„Und Du musst mir jetzt etwas Nettes sagen, bitte, Robert. Als krönender Abschluss eines gelungenen Abends.“

In Gedanken hänge ich noch ihren verächtlichen Bemerkungen in Sache Familie nach und meiner Angst um sie. In wenigen Minuten stehe ich vor dem Hotel, sehe ihr nach, wie sie davonfährt. Jetzt möchte ich sie nur in den Arm nehmen und ihre seidigen Wangen streicheln.

Zum Glück erinnere ich mich an einen passenden Spruch; gebe mir Mühe, einen launigen Unterton zu finden, sage betont langsam:

„Ähem. Liebe Nancy, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, Worte könnten das Anwachsen meiner Sympathie für dich angemessen ausdrücken, seit wir uns begegnet sind.“

Kurze Pause.

„Ich würde es sehr schätzen, wenn sich diese Entwicklung fortsetzen ließe. War das nett genug?“

Sie lacht hell los, schlägt mir mit der flachen Hand auf die Schulter:

„Gut genug! Das war hochgradig nett. Nimm dich in Acht, mein Lieber. Ab jetzt nehme ich mir das Recht, offener und kratzbürstiger als bisher mit dir umzugehen.“

Drei Minuten später hält sie vor meinem Hotel.

„Danke für deine Geduld mit mir heute Abend. Schlaf gut, Robert.“

„Dir auch Danke, Nancy, schlaf gut. Du bist ein Schatz.“

„Dann muss es wohl stimmen!,“ ruft sie mir nach, während ich die Wagentür öffne und aussteige.

Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, gibt sie Gas.

Ich schaue dem Wagen nach und fühle mich einsam wie selten in San Francisco.

Die Chinesische Mauer

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