Читать книгу Das letzte Schwurgericht - Günter Huth - Страница 12
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ОглавлениеSimon Kerner verließ das Justizgebäude in der Erthalstraße in Aschaffenburg gegen 14 Uhr. Über zwei Stunden hatte das Gespräch mit seinem Amtskollegen Schmiedinger gedauert. Gegenstand der Unterredung war ein Personalproblem. Das Amtsgericht Gemünden hatte massiven Personalbedarf im Rechtspflegerbereich, während das Amtsgericht in Aschaffenburg nach der Personalstatistik hier einen leichten Überhang verzeichnete. Die Personalabteilung beim Oberlandesgericht Bamberg hatte den beiden Direktoren freigestellt, sich über einen möglichen Personaltransfer zu einigen. Nach Abwägung aller Möglichkeiten hatte man schließlich einen gangbaren Kompromiss gefunden. Kerner war darüber sehr erleichtert. Sein Defender parkte in der Tiefgarage der Stadthalle am Schlossplatz, zu Fuß nur wenige Gehminuten vom Justizgebäude entfernt. Kerner überlegte einen Augenblick, ob er in der Fußgängerzone noch eine Kleinigkeit essen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Über die Einfahrt Treibgasse betrat er das Parkhaus und zahlte am nächsten Parkautomaten die Gebühr. Kerner näherte sich seinem Auto von der Rückseite, da er nach vorne eingeparkt hatte, öffnete die hintere Fahrzeugtür und warf seinen Aktenkoffer auf den Rücksitz. Diesem folgte die Krawatte, die er sich aufatmend mit einer zügigen Bewegung vom Hals zog. Heute würde er nicht mehr ins Büro fahren. Gerade als er die Fahrertür öffnen wollte, nahm er an der Windschutzscheibe eine dunkle Silhouette wahr. Mit wenigen Schritten war Kerner an der Frontseite. Über seinen Rücken fuhr ein Schauer. Mitten auf der Windschutz scheibe hing, mit ausgebreiteten Schwingen und mit breitem, durchsichtigen Klebeband dort befestigt, eine Rabenkrähe!
Kerner stieß einen Fluch aus. Was hatte das, verdammt noch mal, zu bedeuten? Hastig ließ er seinen Blick durch den einsehbaren Bereich der Tiefgarage gleiten. Wurde er beobachtet? Es musste ihm ja jemand gefolgt sein, woher sonst hätte der Täter wissen sollen, dass er hier parkte. Das Parkdeck um ihn herum war aber im Augenblick menschenleer. Wütend hastete er die Parkreihe entlang und starrte durch die Windschutzscheiben der abgestellten Fahrzeuge. Alle Wagen waren verlassen.
Kerner lief zu seinem Defender zurück. Mit zusammengebissenen Zähnen beugte er sich über den Motorraum und kratzte mit den Fingernägeln das gut haftende Klebeband los. Einige Minuten später hielt er die tote Krähe in den Händen. Im Zwielicht der Garagenbeleuchtung musterte er den Vogel. Wie bei der ersten Krähe waren auch diesem Tier die Augen ausgestochen worden, und es hatte ein kleines Einschussloch. Das Blut war völlig eingetrocknet, am Gefieder haftete Erde, und der Vogel roch ziemlich streng nach Verwesung. Kerner befiel ein schwerer Verdacht. Das sah ja ganz so aus, als wäre das dieselbe Krähe, die er vor ein paar Tagen an der Jagdhütte eingegraben hatte. Das bedeutete aber doch … Wieder sah er sich in der Tiefgarage um. Es gab offenbar jemanden, der ihn im Wald beobachtet und, nachdem er gegangen war, die Krähe wieder ausgegraben hatte. Außerdem musste ihm derjenige hierher nach Aschaffenburg gefolgt sein, um ihm in einem geeigneten Moment das Tier an die Windschutzscheibe zu kleben. Wie pervers war das denn? Bei der Leere dieses Parkhauses war das Risiko der Entdeckung für den Unbekannten allerdings recht gering. Kerner packte den Vogel, öffnete seinen Kofferraum und warf den Kadaver hinein. Dann setzte er sich hinter das Steuer. Nachdem sein Zorn wieder einer gewissen Ernüchterung gewichen war, zwang er sich zu rationalem Denken. Mit Spessarter Bauernvoodoo hatte das nichts zu tun. Hinter der Sache steckte mehr! Kein verärgerter Spessartbewohner würde sich die Mühe machen, diesen Aufwand zu betreiben. Es sei denn … Ob ihm ein Stalker auf der Fährte saß? Mit einem äußerst unguten Gefühl startete Kerner den Motor des Geländefahrzeugs und lenkte es aus der Tiefgarage. Auf dem Weg zur Ausfahrt sah er ständig in den Rückspiegel, ob ihm jemand folgte. Für die Heimfahrt nach Partenstein wählte er bewusst die Landstraße. Auf dieser relativ wenig befahrenen Strecke wäre ihm ein Verfolgerfahrzeug sicher aufgefallen. Kerner hatte keine Ahnung, was er von diesen beiden Aktionen halten sollte. Wer auch immer dahintersteckte, hatte jedenfalls erreicht, dass er ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung empfand.