Читать книгу Das letzte Schwurgericht - Günter Huth - Страница 17
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ОглавлениеEs war später Freitagnachmittag. Der Tag der Aussegnung Dr. Wilhelm Kürschners. Seit seiner Ermordung war einige Zeit vergangen, da der Tote zu Untersuchungszwecken im Institut für Rechtsmedizin gelegen hatte. Vorgestern hatte ihn die Staatsanwaltschaft nun zur Bestattung freigegeben.
Simon Kerner parkte seinen Defender auf dem Parkplatz des Würzburger Waldfriedhofs. Mit ihm im Fahrzeug saß Roswitha Memmel, Richterin am Amtsgericht Gemünden am Main und seine ständige Vertreterin im Amt des Direktors dieses Gerichts.
Kerner sah sich kurz um. Der Parkplatz war fast voll. Zwischen den Fahrzeugen konnte er viele bekannte Gesichter erkennen. Die Justiz war mit vielen hochkarätigen Persönlichkeiten vertreten.
Immer wieder nach der Seite grüßend und viele Hände schüttelnd, näherten sich Kerner und seine Kollegin der Aussegnungshalle. Kurz vor dem Eingang entdeckte er Eberhard Brunner. Kerner entschuldige sich bei seiner Begleiterin, die schon mal die Halle betrat, und näherte sich dem Kommissar.
»Du bist auch hier?«
»Bei Mordopfern gehe ich gerne mal mit zur Beisetzung. Vielleicht kann man doch die eine oder andere Beobachtung machen, die einem weiterhilft. Geh ruhig rein, ich werde mich im Hintergrund halten.«
Kerner nickte. »Sehen wir uns noch nach der Zeremonie? Ich habe allerdings meine Vertreterin dabei und muss Rücksicht auf sie nehmen.«
»Simon, vielen Dank, aber ich habe keine Zeit. Es gibt einen zweiten Mord, der uns ziemlich auf Trab hält. Wir telefonieren.«
Sie schüttelten sich die Hände, dann ging Kerner in die Aussegnungshalle. Bei einem kurzen Rundblick stellte er fest, dass für die Mitglieder der Justiz drei Stuhlreihen hinter der ersten Reihe reserviert waren, in der die Angehörigen Platz genommen hatten. Frau Memmel winkte ihm dezent zu, sie hatte einen Platz für ihn freigehalten.
Die Aussegnungsfeier nahm geraume Zeit in Anspruch, denn es wurden diverse Reden gehalten. Alle Redner gingen mehr oder weniger ausführlich auf den brutalen Tod des Verstorbenen ein. Nachdem der Priester die letzten Gebete gesprochen hatte, versank der Sarg des Verstorbenen zu den Klängen von Mozarts Requiem im Boden der Aussegnungshalle. Der letzte Weg Dr. Kürschners würde ins Krematorium führen.
Langsam verließen die Trauergäste den sakralen Raum und traten ins Freie. Die ernste Stimmung welche die würdige Zeremonie erzeugt hatte, löste sich im strahlenden Sonnenschein, der die Menschen außerhalb der Halle erwartete. Viele Juristen, die sich schon längere Zeit nicht mehr gesehen hatten, standen in Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Überall war der gewalttätige Tod des Verstorbenen Gegenstand des Gesprächs. Andere wiederum, die weniger Zeit hatten, eilten zu ihren Fahrzeugen und fuhren davon. Auch Brunner lenkte sein Fahrzeug vom Parkplatz, wie Kerner beiläufig beobachten konnte.
In diesem Augenblick wurde Kerner von der Würzburger Landgerichtspräsidentin und dem Leitenden Oberstaatsanwalt Armin Rothemund, seinem ehemaligen Mentor, angesprochen.
»Wie ich gesehen habe, ist Kollegin Memmel auch hier«, stellte die Landgerichtspräsidentin fest. Sie blickte sich dabei suchend um.
»Eben hat sie sich noch mit einem Kollegen aus Bamberg unterhalten«, erklärte Kerner, während er die Menschen in der Nähe musterte.
Da entstand an der Seite der Aussegnungshalle, die von Kerner nicht eingesehen werden konnte, plötzlich Unruhe. Erregte Stimmen ertönten. Kerner und seine beiden Gesprächspartner blickten sich erstaunt an, dann eilten sie in stiller Übereinstimmung zum Ort des Geschehens.
Um den Zugang zu den Toiletten hatte sich eine Menschentraube gebildet, die ständig größer wurde. Kerner drängte sich nach vorne.
Durch die geöffnete Tür konnte man innerhalb der Toilette eine menschliche Gestalt erkennen, die regungslos auf den Fliesen des Raumes lag.
Kerner trat einen Schritt näher und beugte sich über den mit einem schwarzen Anzug bekleideten Mann. Erschrocken richtete er sich wieder auf. Trotz der Verletzungen erkannte er den Mann. Es handelte sich um den jungen Rechtsanwalt Konrad Redelberger. Sein Jackett war offen, und man konnte in der Brust zwei Einschusslöcher erkennen. Seine Augen waren zwei blutige Seen.
»Ich habe schon den Notarzt verständigt«, erklärte ein Trauergast von draußen, der ein Mobiltelefon in der Hand hielt.
»Vielen Dank«, erwiderte Kerner, »aber da dürfte nichts mehr zu machen sein. Der Mann ist tot.«
Durch die Gruppen der Umstehenden ging ein Raunen.
Der Leitende Oberstaatsanwalt erfasste die Situation sofort und wandte sich an die umstehenden Menschen.
»Meine Herrschaften, würden Sie bitte zurücktreten, das ist ein Tatort.«
»Ich rufe Brunner an, damit er zurückkommt«, erklärte Kerner und verließ die Toilette. Der Kriminalbeamte war sicher erst auf halbem Weg in die Stadt. Er erreichte Brunner sofort. Mit wenigen Sätzen informierte er seinen Freund, der daraufhin umdrehte. Zehn Minuten später rollte er wieder auf den Parkplatz. Um die Toilette hatte sich mittlerweile eine kleine Menschentraube gebildet.
»Brunner, Kriminalpolizei, bitte machen Sie Platz! Lassen Sie mich durch!«, rief der Leiter der Mordkommission in die Menge, die sich daraufhin teilte und den Blick auf die offene Tür der Herrentoilette freigab. Kerner war seinem Freund gefolgt.
Brunner zog sich Gummihandschuhe an und beugte sich über den Toten. Auf der Brust des Mannes hatte sich mittlerweile ein großer Blutfleck gebildet, der sich noch immer ausdehnte und einen schaurigen Kontrast zu dem weißen Hemd bildete, das er trug. Die umstehenden Menschen traten langsam zurück und gingen auf Distanz. Es entstanden heftige Diskussionen. Brunner hatte mittlerweile sein Handy am Ohr und verständigte die Spurensicherung und seine Mitarbeiter. Nachdem er geendet hatte, trat er vor die Tür und rief: »Meine Damen und Herren, wenn Sie sich bitte zur Verfügung halten, wir müssen jeden von Ihnen vernehmen. Jede Aussage kann uns weiterhelfen.«
Kerner war in der Nähe Brunners stehen geblieben. »Das ist der junge Rechtsanwalt Redelberger«, erklärte er. »Sag mal, diese Schüsse in die Augen. Sind das nicht die gleichen Verletzungen, die Dr. Kürschner hatte?«
Brunner zeigte eine ernste Miene. »Das ist innerhalb von einer Woche das dritte Opfer, das nach demselben Muster getötet wurde.«
Kerner warf Brunner einen fragenden Blick zu. »Wieso drei Opfer? Ich weiß nur von Dr. Kürschner.«
»Vorgestern hatten wir einen Leichenfund im Guttenberger Forst. Die gleichen Merkmale wie bei Dr. Kürschner und dem Opfer hier.« Er fragte: »Kennst du den Mann näher?«
Kerner nickte knapp. »Es handelt sich um Rechtsanwalt Konrad Redelberger. Er ist Mitglied der Rechtsanwaltssozietät Andreotti, Redelberger und Partner, Fachanwalt für Strafrecht. Ein noch junger Kollege, der häufig als Pflichtverteidiger bestellt wurde.«
Kerner sah seinen Freund nachdenklich an, dann flüsterte er mit gesenkter Stimme, damit es die Umstehenden nicht hören konnten. »Drei Opfer! Das sieht mir ganz nach einem Serientäter aus. Oder was meinst du?«
Brunner atmete tief durch. »Verdammt, du hast recht, das ist ein Serientäter! Alles deutet darauf hin. Wir haben allerdings noch keine Ahnung, nach welchen Kriterien er seine Opfer aussucht. Er mordet offenbar nicht immer nach dem gleichen Muster, schießt ihnen aber immer in beide Augen. Er tötet so erschreckend kurz hintereinander, dass uns bisher kaum Zeit geblieben ist, die einzelnen Morde genau zu analysieren. Das ist eine Katastrophe!«
Kerner rieb sich das Kinn. »Er scheint auf jeden Fall sehr kaltblütig zu sein. Es gehört schon etwas dazu, jemanden am Rande einer Beisetzung zu töten, wo viele Menschen beisammen sind, die ihn möglicherweise sehen können.«
Brunner nickte zustimmend. Bevor er noch etwas erwidern konnte, wurde er abgelenkt, denn es fuhren drei Fahrzeuge auf das Gelände. Eines war der auffällig gekennzeichnete Wagen des Notarztes. In den anderen beiden saßen die angeforderten Beamten der Spurensicherung und Brunners Kollegen aus dem Morddezernat.
Der Notarzt kniete sich neben dem Toten nieder und suchte pro forma an der Halsschlagader nach dem Puls. Nach einigen Sekunden schüttelte er den Kopf und erhob sich. »Tut mir leid, aber das ist offensichtlich ein Fall für die Kollegen von der Rechtsmedizin.«
»Sind schon verständigt«, gab Brunner zurück und gab dem Notarzt die Hand, der anschließend wieder zu seinem Fahrzeug eilte und den Friedhof verließ.
Brunner gab seinen Kollegen ein paar Anweisungen, worauf sich eine Frau und zwei Männer daran machten, systematisch die Personalien der wartenden Zeugen zu erfragen.
Kerner verabschiedete sich kurz von Brunner. Der hatte nun alle Hände voll zu tun. »Wir telefonieren!«, rief er ihm zu, dann wandte er sich ab, um seine Kollegin zu suchen. Frau Memmel stand etwas abseits des Geschehens und machte Kerner winkend auf sich aufmerksam.
»Mein Gott, was ist denn da passiert? Ich habe nur einen kurzen Blick auf die Leiche geworfen.«
»Ich erzähle es Ihnen auf der Rückfahrt«, erklärte Kerner. Wenig später fuhren sie vom Parkplatz.
Brunner stellte sich zu den Zeugen und bat um Aufmerksamkeit. »Meine Damen und Herren, hat jemand von Ihnen hier in der Nähe der Toilette etwas beobachtet, was ihm im Nachhinein verdächtig erscheint? Ich denke dabei an eine Person, die aus der Toilette gekommen ist und sich dann, vermutlich eilig, entfernt hat.«
Es dauerte einen Moment, dann trat eine gut gekleidete, ältere Dame einen Schritt vor.
»Ich habe vorhin die Damentoilette aufgesucht. Als ich sie verließ, kam ein jüngerer Mann aus der Herrentoilette. Ich habe ihm natürlich keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, aber mir ist aufgefallen, dass er es ziemlich eilig hatte. Sein Gesicht hatte er abgewandt, so dass ich es nicht sehen konnte. Er ist dann irgendwo zwischen den Menschen verschwunden.«
»Ist Ihnen etwas an ihm aufgefallen? Können Sie ihn beschreiben?«
Die Frau überlegte einen Augenblick, dann erklärte sie: »Er war schlank, schwarz gekleidet und hatte ungefähr Ihre Größe. Sein Haar war brünett, und er trug eine dunkle Sonnenbrille. Ich habe ihn zuvor weder bei der Aussegnungsfeier noch danach unter den Trauergästen gesehen. Mehr kann ich leider nicht sagen.«
Brunner bedankte sich bei der Dame und ließ von einem Beamten ihre Personendaten aufnehmen. Wie es aussah, könnte sie den Täter gesehen haben.