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5 Vom Nachahmungseifer der Deutschen
ОглавлениеFrankreich ist im beginnenden 18. Jahrhundert das Maß aller Dinge. Wer in Deutschland mit der Zeit geht, schaut auf zur Sonne von Versailles. Französisch zu sprechen, gilt als Ausweis der Vornehmheit. Die deutsche Nachahmungssucht wird 1716 in einer Historie der teutschen Sprache angeprangert: „Zu unserer Zeit hat Ludewich der 14de in Frankreich der Teutschen Sprache mehr geschadet, als ehemals alle Mönche und Pfaffen … und weil man jetzo nicht nur an Höfen, sondern auch anderweit unter vornehmen und angesehenen Leuten in öffentlichen Zusammenkünften mehr Frantzösisch als Teutsch redet. Ja es scheinet nunmehro die Reinigkeit unserer Sprache in den letzten Zügen zu liegen.“20
Den Ostfranken gehörte das Mittelalter. Mit dem Beginn der Neuzeit wandert das europäische Machtzentrum nach Westen. Spanien und Portugal verdanken ihren Aufstieg den märchenhaften Ressourcen ferner Länder. In England legen die Tudors den Grundstein künftiger Weltgeltung. Auf dem Kontinent hat Frankreich die Reifeprüfung bestanden. Es ist der Umklammerung durch die Habsburger entronnen, hat im Innern die Königsmacht ausgebaut und schließlich das große, dreißigjährige Ringen in Deutschland genutzt, um Einflussmacht im Reich zu werden. Vater des Erfolgs ist Richelieu. Auf seiner Vorleistung baut die von Ludwig XIV. geführte Hegemonialpolitik auf. Als das 17. Jahrhundert zur Neige geht, ist Frankreich unbestreitbar die erste puissance auf dem Kontinent.
Frankreichs Aufstieg korrespondiert mit dem Niedergang des Heiligen Römischen Reiches. Nirgendwo glänzt Ludwigs Stern so hell wie in Deutschland. Frankreich hat alles, was Deutschland nicht hat: Es ist geballte Staatsmacht, verkörpert in der Person des Königs und ideologisch abgestützt durch eine neue Staatsdoktrin, den Absolutismus. Der Ort, an dem die Strahlen des „Sonnenkönigtums“ zusammenfließen, ist Versailles. Dieser Allgewalt gegenüber wirkt Deutschland wie eine Karikatur. Es besitzt keine Hauptstadt und ist lahmgelegt durch die Glaubensspaltung. Politisch ist Deutschland nur noch das, was andere nicht für sich beanspruchen. Flankiert wird es von der europäischen Großmacht Österreich und von Brandenburg-Preußen, das sich aufmacht, diesen Status zu erlangen. Dazwischen liegt ein territorialer Flickenteppich, eine unbestimmbare Vielheit namens Heiliges Römisches Reich, bestehend aus zahlreichen weltlichen und geistlichen Fürstentümern, freien Städten und reichsunmittelbaren Herrschaften. Die Winzigkeit ihrer Territorien hindert die Fürsten nicht daran, Ludwig XIV. nachzueifern. Wie Versailles, so sollen auch ihre Residenzen Ort und Ausdruck der Machtfülle sein. Die fürstliche Bauwut beschert Deutschland eine Menge barocker Schlösser, ruiniert aber die Kassen. Je kleiner der Staat, desto bizarrer die Zurschaustellung: Die Spitzenleistung architektonischer Großmannssucht vollbringt Herzog Karl II. August von Pfalz-Zweibrücken, ein Wittelsbacher. Zwischen 1778 und 1788 lässt er auf dem Karlsberg bei Homburg eine Schlossanlage entstehen, die mit einer 1,2 Kilometer langen Fassade, einer gewaltigen Orangerie und Stallungen für tausend Pferde sogar Versailles übertrifft. Freilich, kein Schloss hat ein kürzeres Dasein als das auf dem Karlsberg. 1793 wird es von Jakobiner-Soldaten bis auf die Grundmauern niedergebrannt.21 Der Größenwahn der Kleinfürsten treibt die tollsten Blüten: 1669 macht sich Friedrich Casimir, Graf von Hanau und Herr zu Ochsenstein, anheischig, eine Kolonie zwischen dem Orinoco und dem Amazonas zu erwerben.22 Kein Wunder, dass die „Quadratmeilen-Monarchen“, so der scharfzüngige Kritiker Johann Pezzl, zur Zielscheibe von Hohn und Spott werden. „Es sitzt (dort) manches Fürstlein auf dem Thron, das kaum zwölf Hühner zu regieren im Stande wäre; indessen will es glänzen, will gleichen Schrittes mit den größern einher schreiten …“23
Die französische Leitkultur prägt mit ihren strengen Gesetzen Generationen von Gartenarchitekten und Theaterdichtern. Einer Invasion gleich dringt das Französische in den deutschen Sprachraum ein. Deutsch wird vom Volk gesprochen, wenn auch in mannigfachen Dialekten. Dagegen ist Französisch die Sprache der Höfe und der Diplomatie. Soziale Distinktion wird nicht nur über Kleidung oder Kutsche erreicht, sondern über den französischen Privatlehrer für die Kinder. Das ruft Widerstand auf den Plan. „Ich teutscher Michel/versteh schier nichel/In meinem Vaterland, es ist ein Schand“, lamentiert eine Flugschrift von 1642.24 Fünfzig Jahre später ist die „Schand“ eher noch größer geworden. „Anitzo scheint es“, wettert der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz 1697, „dass bey uns übel ärger geworden, und hat der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also dass der Prediger auf der Cantzel, der Sachwalter auff der Cantzley, der Bürgersmann im Schreiben und Reden mit erbärmlichem Frantzösisch sein Teutsches verderbet“. Für Leibniz, der den Beginn der Unterwanderung durch das Französische auf das Ende des Dreißigjährigen Krieges datiert, handelt es sich um einen Akt der Selbstkolonisierung. „Frantzgesinnete“ hätten „Frankreich gleichsam zum Muster aller Zierlichkeit aufgeworffen“. Sie ekelten sich vor der deutschen Sprache und vor deutschen Sitten und hätten Deutschland, „wo nicht der Frantzösischen Herrschaft (daran es wohl auch nicht viel gefehlet) doch der Frantzösischen Sprache und Mode unterwürffig gemacht“.25
Im frühen 18. Jahrhundert übernehmen Sprachgesellschaften die Verteidigung der deutschen Sprache. Die berühmteste ist die 1716 in Weimar gegründete „Fruchtbringende Gesellschaft“. Ganz oben in ihrem Programm steht die Absichtserklärung, „daß man die Hochdeutsche Sprache/ in jhrem rechten wesen und standt/ohne einmischung fremder außländischer wort/auffs möglichste und thunlichste/erhalte“. Ähnlichen Zielen hängt der 1772 ins Leben gerufene Hainbund an, ein Freundeskreis von Dichtern, die den Eigenwert der Natur gegen einen eng geführten Rationalismus verfechten und in ihrem Zentralorgan Göttinger Musenalmanach gegen die angeblich sittenlosen Franzosen wettern. Für Gotthold Ephraim Lessing ist das Verhältnis zur Sprache eine Charakterfrage. Hatte Leibniz in den „Frantzgesinneten“ Aktivisten der Selbstunterwerfung gesehen, sieht Lessing im deutschen Nachahmungseifer eine nationale Untugend. Die Deutschen, schreibt er 1768, seien „noch immer die geschworenen Nachahmer alles Ausländischen, besonders noch immer die untertänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen“ gewesen.26
Selbstkolonisierung oder eingeborene Untugend: Die Missachtung der Volkssprache hat bei den Mächtigen und Gebildeten in Deutschland Tradition. Von Karl V., dem Herrscher über den halben Erdball, wird Folgendes erzählt: Karl habe die Sprachen, derer er mächtig war, in der Konversation gezielt zur Anwendung gebracht. Mit Frauen habe er italienisch gesprochen, mit Männern französisch und mit Gott spanisch. Deutsch habe er nur mit Pferden gesprochen.27 Auch wenn die Anekdote wahrscheinlich erfunden ist, bleibt festzuhalten, dass die deutschen Kaiser und Könige hinsichtlich der Pflege der Nationalsprache Totalausfälle waren. Eine krasse Enttäuschung für die Kämpfer gegen „Sprachmengerei“ und „Alamodewesen“ ist Friedrich der Große. Mit dem Preußenkönig besitzen die Deutschen nach langer Flaute wieder einen Fürsten, auf den sie stolz sein können und in dessen Macht es läge, das nationale Selbstgefühl zu heben. Nur, dass Friedrich damit nichts im Sinn hat. Seine Bewunderer sind frustriert. Einer von ihnen ist Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Schriftstellerkollegen werfen ihm sogar vor, sich mit Lobhudeleien beim König einschmeicheln zu wollen. Gleims Antwort ist so lapidar wie bitter: „Mein Lob ist deutsch/Und Deutsches liest er nicht.“28 Friedrichs anspruchsvoller Geschmack lässt außer dem Französischen nichts gelten. Von den Aufklärern bevorzugt er Bayle und Voltaire. Kants Philosophie ist ihm nicht der Mühe wert. Bezeichnenderweise wird der Königsberger erst nach Friedrichs Tod in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Die deutsche Sprache findet Friedrich grob und undifferenziert. Er spreche sie „wie ein Kutscher“ (comme un cocher), gibt er zu und behauptet, „von Jugend auf kein deutsch Buch“ gelesen zu haben.29 Das Aufblühen der deutschen Klassik geht vollständig an ihm vorbei. Goethes Werther erklärt er für ungenießbar – ein Buch immerhin, das Napoleon fünfmal gelesen haben will. Überhaupt ist der Alte Fritz der Ansicht, dass Kunstsinn und Deutschsein nicht zusammenpassen. Als man ihm von einer jungen Frau mit einer wunderschönen Stimme berichtet, weigert er sich, sie anzuhören, denn gewiss habe sie einen deutschen Akzent. „Lieber lasse ich die Arien in meinen Opern von einem Pferd wiehern, als daß ich mir eine deutsche Primadonna zulege.“30
Friedrich der Große verachtete die deutsche Sprache. Den Aufbruch in Literatur und Philosophie nahm er nicht wahr. Das Bild zeigt den roi philosophe zusammen mit Voltaire in der Bildergalerie von Sanssouci.
Freilich gibt es auch einen anderen Friedrich. In den Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, beschreibt er die deutsche Nachahmungssucht sehr anschaulich: „Ein junger Mann von Stand, der sich nicht eine Zeitlang am Hofe von Versailles aufgehalten hatte, galt als Einfaltspinsel. Französischer Geschmack beherrschte unsere Küche, unsere Einrichtung, unsere Kleidung und alle die Kleinigkeiten, auf die sich der Einfluß der Mode erstreckt. Diese Leidenschaft wurde aufs äußerste getrieben und artete aus. Die Frauen, die zu übertreiben pflegen, gingen darin bis zur Narrheit.“31 An den Franzosen hat Friedrich, eine Zeit lang Freund und Bewunderer Voltaires, übrigens eine Menge auszusetzen. Ludwig XV. findet er ganz widerwärtig, weil dieser sich von einer Frau, Madame de Pompadour, leiten lasse. Er vergleicht den Franzosenkönig wegen der ihm nachgesagten Ausschweifungen mit Sardanapal, dem letzten König der Assyrer, der sich der Sage nach in den Trümmern seines Palastes den Tod gab. In einem Poem schreibt er:
Gegen das Benehmen von Sardanapal
Kann meine genügsamere Nation
Nur ihre Tugenden setzen.32
Wiederholt greift Friedrich das Doppelklischee tugendhafte Deutsche/sittenlose Franzosen auf. In seiner Ode an den Prinzen Ferdinand von Braunschweig über den Rückzug der Franzosen 1758 verleiht er den Franzosen die Attribute schwülstig, hochmütig, frivol und raffgierig: „Vollgefressen mit Raubgütern maßen sie ihren Mut am Umfang ihrer Kriegsbeute.“33
Auch wenn Friedrichs Frankophilie ihre Einschränkungen hat, bleibt der Preußenkönig für den sich in seiner Regierungszeit stark regenden Nationalgeist unempfänglich. Es gehört zu den Widersprüchen des großen Mannes, dass er, der selbst ein homme de lettres ist, den literarischen Aufbruch rings um ihn herum nicht wahrnimmt. Dabei hat dieser Aufbruch eine politische Dimension. Eine neue Schriftstellergeneration adelt die von der Aristokratie verachtete Sprache des Volkes und proklamiert Deutschland zur Kulturnation. Die naheliegende Frage nach der Staatsnation liegt in der Luft, wird jedoch, weil zu revolutionär, noch nicht aufgeworfen. Einstweilen geben sich die Schriftsteller damit zufrieden, die Oberhoheit des Französischen selbstbewusst in die Schranken zu weisen. In Gotthold Ephraim Lessings Minna von Barnhelm (Uraufführung 1767) weigert sich Minna, mit dem französischen Offizier Riccaut, einer windigen Figur, französisch zu sprechen:
Riccaut: „Nit? Sie sprek nit Französisch, Ihro Gnad?“
Das Fräulein: „Mein Herr, in Frankreich würde ich es zu sprechen suchen. Aber warum hier? Ich höre ja, daß Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiß auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen beliebt.“