Читать книгу Napoleon - Günter Müchler - Страница 30

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Der erste Angriff gegen die einstige Hauptstadt des Königreichs Jerusalem rollt am 28. März, weitere 13 folgen. Mit jeder Welle wächst der Ingrimm der Franzosen, aber auch die Wut der Verteidiger. Djezzar hat einen Berater, den Napoleon kennt, Phélippeau, einen ehemaligen Mitschüler aus der Pariser École militaire. Bevor Phélippeau in Akko sein Grab findet, veranlasst er den Bau eines inneren Mauerrings, der die Verteidigungskraft noch einmal erhöht. Ein weiterer Ausländer ist dem „Schlächter“ zu Diensten. Der Engländer Sidney Smith deckt mit zwei Kriegsschiffen Akko seeseitig und verhindert, dass die Franzosen, denen es an schweren Waffen fehlt, versorgt werden. Nach Wochen kommen endlich Geschütze und Munition über den Landweg von Jaffa. Trotzdem hält Balduins Festung stand. Die Franzosen versuchen alles, sie legen Minen und lassen sie hochgehen. Mehrfach stehen sie kurz vor dem Durchbruch, um dann doch wieder zurückgeworfen zu werden. Der Preis, den sie zahlen, ist hoch. Unter den vielen Toten befindet sich auch der hochgeschätzte Pioniergeneral Caffarelli. „Wir attackieren einen Platz türkisch, der europäisch verteidigt wird“, wettert General Kléber.254 Tatsächlich wirkt Napoleons Kampfführung vor Akko uninspiriert. Belagerungen verlangen Geduld, und Geduld ist nicht unbedingt seine Sache. Seine Stärken beweist er Mitte April. Eine osmanische Armee hat den Jordan passiert und droht, Akko zu entsetzen. Als der vorgeschickte Kléber gegen eine zehnfache Übermacht in Bedrängnis gerät, rettet Napoleon ihn durch ein gelungenes Manöver im Rücken der Türken, von deren Armee nicht viel übrig bleibt. Das Gefecht findet unweit des Berges Tabor statt. Napoleon übernachtet in Nazareth und besucht die Messe. Als der Prior in der Verkündigungskirche die unbefleckte Empfängnis erklärt, löst das bei den mit dem Wasser des Unglaubens getauften Offizieren Gelächter aus. „Darauf brachte uns der General Bonaparte mit strengem Blick zu einer ernsten Haltung zurück“, erzählt sein Privatsekretär Lavalette.255 Wieder in Akko, muss Napoleon feststellen, dass die Verteidiger durch ein türkisches Geschwader Verstärkung bekommen haben. Am 21. Mai, nachdem auch der 14. Angriff ergebnislos geblieben ist, bricht er die Belagerung ab. Sie hat 62 Tage gedauert. Der Regierung in Paris tischt er ein Märchen auf: Wegen der Pest, die in Akko wüte, habe er auf die an sich fällige Einnahme der Stadt verzichtet.256

Akko ist ein Misserfolg. Das spüren auch die Soldaten. Ihr petit caporal hat diesmal sein Ziel nicht erreicht. Wozu all diese Leiden? Der Rückmarsch auf Jaffa ist die Hölle. Der Durst ist unerträglich. Bei 40 Grad Hitze quält sich die Armee durch den Sand, immer wieder gepeinigt von Freischärlern, die aus Nablus oder dem Libanon kommen und wie Mücken die Marschkolonne umschwärmen. Im Hintergrund flirrt der Feuerschein abgefackelter Dörfer. Die Franzosen machen „verbrannte Erde“. 13 Jahre später, in Russland, werden sie Opfer dieser desaströsen Taktik sein. 500 Verletzte und Kranke erschweren die Fortbewegung.* Sie liegen auf Pferderücken, auf Wagen und Bahren. Die Gesunden gehen zu Fuß, Napoleon, gestützt auf einen Stock, an der Spitze. Der für den Reitstall des Generalissimus verantwortliche Offizier begeht eines Tages einen Fehler. Er ordnet an, eine Stute, ein besonders schönes Tier, von der Pflicht des Krankentransports auszunehmen. Napoleon bekommt einen Tobsuchtsanfall. „Aufgebracht ging er auf den Mann zu und versetzte ihm einen Peitschenhieb quer über den Körper. Das war das einzige Mal, das ich ihn jemanden habe schlagen sehen“, erinnert sich Lavalette.257

In Jaffa erwartet die Armee eine weitere Anzahl von Verletzten, die man auf dem Vormarsch in der Hafenstadt zurückgelassen hat. Die meisten werden per Schiff nach Ägypten verbracht. Doch was soll mit den Pestkranken geschehen? Napoleon bespricht sich mit seinem Stab und mit den Ärzten. Dann befiehlt er, den am ärgsten Betroffenen Opium zu verabreichen. Desgenettes weigert sich. Seine Aufgabe sei es, Leben zu erhalten, sagt er. Und seine, die Armee zu erhalten, entgegnet Napoleon. Außerdem dürfe man die Wehrlosen nicht in die Hände der Türken fallen lassen. „Ich empfehle, das zu tun, was ich in vergleichbarer Situation für mich selbst fordern würde.“258 Weil der Chefarzt auf seinem hippokratischen Standpunkt beharrt, händigt ein Apotheker etwa 100 Schwerkranken eine tödliche Dosis Opium aus, die sie einnehmen können oder auch nicht. Der Vorgang wird 1801 nach der Kapitulation der Armee von der englischen Propaganda in Europa publik gemacht und skandalisiert.

Am 14. Juni erreicht die Armee Kairo. Die Durchquerung des Sinai war noch einmal ein Horror. Von den 13 000 Mann, die sich Anfang Februar unter den Klängen des Chant du départ auf den Weg gemacht hatten, kommen 10 000 zurück. Napoleon macht sich nichts vor. Die Expedition steckt in einer Sackgasse. Es wird schwer genug sein, die Provinz zu halten. Auf Verstärkungen aus dem Mutterland kann er nicht hoffen, auch weil in Europa der Krieg offenbar wieder in vollem Gange ist. Den ersten Hinweis darauf erhält Napoleon im Februar in Alexandria vom Bankier und Heereslieferanten Hamelin. Am 10. Februar schreibt Napoleon der Regierung: „Wenn sich im Laufe des Monats März der Bericht Hamelins bestätigen und Frankreich im Krieg gegen die Könige sein sollte, werde ich nach Frankreich eilen.“259 Die Bestätigung erhält er, während er noch gegen die Mauern von Akko anrennt. In der Absicht, die Franzosen zu demoralisieren, spielt der listige Commander Sidney Smith Napoleon einen Packen europäischer Zeitungen zu. Aus ihnen geht hervor, dass Jourdan in Deutschland und Scherer in Oberitalien geschlagen worden sind. In dem neuen „Krieg gegen die Könige“ sieht es nicht gut aus für Frankreich. Napoleon beschließt heimzukehren. Die Frage ist, wann und wie.

Die Gelegenheit, gesichtswahrend aus dem Ägypten-Abenteuer herauszukommen, bietet sich Ende Juli. Napoleon befindet sich gerade mit Monge und Berthollet bei der Großen Pyramide, als er erfährt, dass eine osmanische Armee bei Aboukir gelandet ist. Sofort zieht er alle verfügbaren Kräfte zusammen. Viele sind es nicht. Die Hospitäler von Kairo sind voll von Kranken. Ein Teil kuriert die im Feldzug erlittenen Blessuren aus, ein anderer venerische Erkrankungen, Folge des Verkehrs mit Prostituierten. Im Morgengrauen des 25. Juli wirft sich Napoleon mit seiner 8000 Mann zählenden Armee auf den Feind, der sich vor dem Fort von Aboukir verschanzt hat. Der Kampf dauert nur wenige Stunden. Die Franzosen sind an Zahl bei Weitem unterlegen, doch das macht Murats Kavallerie wett. Die Schlacht ist eine Metzelei. Das Gros des Feindes wird ins Meer getrieben. Als alles vorüber ist, existiert die osmanische Armee nicht mehr. Auf 10 000 Mann schätzen Historiker260 die Verluste der Türken, die Franzosen beklagen 250 Tote und 1000 Verwundete. Sonderbare Fügung! An demselben Ort, an dem vor Jahresfrist Horatio Nelson die französische Flotte in Grund und Boden gerammt hat, erringt Napoleon einen kolossalen Sieg. Sein Ansehen als überlegener Kriegsherr ist wiederhergestellt. Im Fernduell zwischen dem Herrn des Meeres und dem Herrscher des Landes steht es eins zu eins.

Eine Woche nach dem Wiedereinzug in seine „Hauptstadt“ Kairo weist Napoleon Konteradmiral Ganteaume an, zwei Fregatten zu rüsten, die Carrère und die Muiron, Letztere trägt den Namen seines an der Brücke von Arcole gefallenen Adjutanten. Die Fregatten waren der Vernichtung durch Nelson entgangen. Nach außen deutet nichts auf die Abreise hin. Napoleon geht den normalen Beschäftigungen nach. Am 13. August nimmt er an Feierlichkeiten zu Ehren des Propheten Mohammed teil. Dann, am 19., tritt er eine Inspektionsreise ins Nildelta an, wie es offiziell heißt. Am 23., morgens um acht Uhr, lichten die Carrère und die Muiron die Anker. Bei Napoleon sind die Generäle Berthier, Murat, Lannes, Duroc, Marmont, Andréossy und Merlin, Konteradmiral Ganteaume, Eugène de Beauharnais, die Gelehrten Monge, Berthollet und Denon, seine Adjutanten, der Privatsekretär Lavalette sowie Roustam, ein junger Mameluck. Roustam wird später Napoleons Bodyguard. Er schläft vor dem Zimmer seines Herrn auf einer Matratze und folgt ihm auf allen Kriegszügen.

Um heil aus Ägypten herauszukommen, braucht Napoleon fremde Schützenhilfe. Sidney Smith, dem wir schon bei Akko begegnet sind, ist ein Abenteurer. Er hat in schwedischen Diensten gestanden, auch in denen des Sultans. Während Napoleon bei Aboukir sein Image wiederherstellt, kreuzt Smith mit einer kleinen britischen Flotte vor der Bucht von Alexandria. In Alexandria kommt es am 5. August zu einer Begegnung Napoleons mit John Keith, Smith’s Sekretär. Keith offeriert Napoleon freien Abzug. Smith sei bereit, seine Überwachungsposition vor Alexandria aufzugeben. Das Versprechen wird eingehalten. Der Weg für die Carrère und die Muiron ist frei. Der Historiker Patrice Gueniffey urteilt: „Solange die britische Flotte vor Alexandria kreuzte, war die Abfahrt tatsächlich äußerst riskant. Es war nötig, dass die Engländer ‚die Tür öffneten‘; ohne englische Komplizenschaft keine Abfahrt.“261 Unklar sind Smith’s Beweggründe. Natürlich existieren von der Affäre keine amtlichen Dokumente. Vielleicht sieht Smith in Napoleon den kommenden Quartiermacher der Bourbonen, einen „Monk“. In diesem Fall wäre es tatsächlich logisch, Napoleon die Rückkehr nach Paris zu ermöglichen. Dass Smith auf eigene Faust handelt, kann man nicht ausschließen; wahrscheinlicher ist ein stilles Einvernehmen mit Londoner Regierungsstellen. Wäre es so, hätte England großen Anteil am Aufstieg des Mannes, der Britannien in den nächsten Jahren bis zum Äußersten fordern wird.

Die Expeditionsarmee fühlt sich von Napoleon getäuscht und im Stich gelassen. Kléber schäumt: „Der Lump ist in vollgeschissenen Stiefeln abgehauen.“262 Kléber ist der neue Chef der armée d’Orient. Ernennung und Instruktionen hat er schriftlich bekommen, dazu eine Rechtfertigung des Chefs: „Die Interessen des Vaterlandes und seines Ruhmes, der Gehorsam und die außerordentlichen Geschehnisse in Europa bestimmen mich, allein und ungeachtet der feindlichen Flotten nach Europa zurückzukehren.“263 Stefan Zweig ist nicht der Einzige, der Napoleon Desertion vorgeworfen hat.264 Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Richtig ist: Es liegt keine ausdrückliche Aufforderung der Regierung vor, Ägypten zu verlassen. Wie so oft, sind die Ratschlüsse des Direktoriums vieldeutig. Napoleons Ankündigung vom 10. Februar,265 wird nicht beantwortet. Allerdings beschließen die Direktoren im Mai, den Generalissimus, der auf dem europäischen Kriegsschauplatz so dringend benötigt wird, aus seiner Wüstengefangenschaft zu befreien. Admiral Bruix erhält den Auftrag, sich unverzüglich nach Alexandria aufzumachen und Napoleon „mit einem Teil der Armee“ zu repatriieren.266 Wegen schlechten Wetters kommt das Unternehmen nicht zustande. Der nächste Anlauf folgt vier Monate später. Am 18. September – Napoleon ist schon unterwegs – fordert der neue Außenminister Reinhard Napoleon in aller Form zur Heimkehr auf. „Die Regierung erwartet Sie und die Tapferen, die mit Ihnen sind.“267 Nimmt man alles zusammen und berücksichtigt dazu die schwierige Kommunikation zwischen Paris und Kairo, kann von Fahnenflucht nicht die Rede sein, allerdings auch nicht von „Gehorsam“, wie Napoleon in seiner Instruktion an Kléber glauben machen will. Man kann sagen, dass Napoleon in einer Art vorauseilender Auftragserfüllung handelt. Denn das Direktorium beurteilt die Gesamtlage genau wie er: In Ägypten gibt es nichts mehr zu tun, umso mehr in Frankreich. Was – darüber gehen die Vorstellungen allerdings auseinander.

Das Ende der armée d’Orient ist rasch erzählt. Kléber wird das Kommando, das er nicht angestrebt hat, zum Verhängnis. Ein junger Syrer erdolcht ihn auf offener Straße. Die Armee kapituliert am 27. September 1801. Anschließend werden Truppen, Wissenschaftler und eine Fülle von Kunstschätzen in die Heimat verfrachtet, und zwar auf Schiffen der Regierung Seiner Majestät, die zu diesem Zeitpunkt Friedensverhandlungen mit dem Konsul Bonaparte führt. Politisch endet die Expedition mit einem Fiasko, der gelehrten Welt beschert sie eine Sternstunde. In Luxor, Theben und Karnak haben die Franzosen erfolgreich Grabungen durchgeführt. Sensationell ist ein Zufallsfund, der die Kenntnis von Geschichte und Kultur des Pharaonenreiches in eine neue Sphäre katapultiert. Bei einem Ausritt im Nildelta stolpert das Pferd des Offiziers Pierre François Xavier Bouchard über einen halb aus dem Boden herausragenden Stein, der, wie sich herausstellt, Teil einer antiken Stele ist. Die dreisprachige Inschrift (ägyptisch, demotisch, griechisch) auf dem „Stein von Rosette“ ermöglicht Champollion die Entzifferung der Hieroglyphen. 1809 wird der wissenschaftliche Gesamtertrag der Expedition in der mehrbändigen Description de l’Égypte veröffentlicht. Ein regelrechter Ägypten-Boom bricht aus. Spuren kann man noch heute an vielen Stellen von Paris entdecken, zum Beispiel am Portikus des Palais Beauharnais, der Deutschen Botschaft im 7. Arrondissement. Die Ägypter vergessen den kurzen Aufenthalt des „Sultans Bonaparte“ in ihrem Land nicht so bald. 50 Jahre später stellt Flaubert bei einer Reise fest, Napoleon werde von den Nachfahren der Pharaonen noch immer „fast wie ein Halbgott“ bewundert.268

*9. November 1799: An diesem Tag putscht sich Napoleon an die Macht.

*Stellvertreter des Bischofs

*Code Napoléon ab 1806

*Die französische Silberwährung Livre wird 1795 in den Franc umgewandelt.

*Die weiße Kokarde ist das Abzeichen des bourbonischen Königshauses. Wer sich zur Revolution bekennt, trägt die Kokarde blau-weiß-rot.

**Das rheinische Koblenz ist ein Zentrum der aristokratischen Emigration. Im Wortschatz der französischen Linken steht Coblence für Hauptstadt der Gegenrevolution.

*2. bis 4. September 1792

*Der Konvent löst im September 1792 die Assemblée législative als Parlament ab, die ihrerseits im Oktober 1791 die Nationalversammlung abgelöst hatte.

*Louis Lazare Hoche, ehemaliger Reitknecht in den königlichen Ställen von Versailles, ist ein Hoffnungsträger der republikanischen Armee. In der Terrorzeit knapp dem Tod entronnen, wirkt er besänftigend auf den hasserfüllten Konflikt in der Vendée. Er erringt beachtenswerte militärische Erfolge an der Rheinfront. 1797 stirbt er 31-jährig an Tuberkulose.

*Hundeohren (oreilles de chien) wird die Mode genannt, bei der das Haar, über den Ohren im rechten Winkel abgeschnitten, hinten lang über die Schultern wächst.

*Die erste Frau Napoleons wurde 1763 als Joséphine Tascher de La Pagérie, Tochter eines Zuckerrohrpflanzers, auf Martinique geboren.

**Auf Anordnung Napoleons, des Stadtkommandanten, mussten nach dem Vendémiaire alle Waffen abgegeben werden.

*Wieder in Mode kommt das Ça ira übrigens bei den Studentenunruhen des Mai 1968.

*Königstreue Aufständische in der Bretagne

*Die päpstlichen Provinzen Bologna, Romagna und Ferrara

*Die Quadriga wurde auf den kleinen Triumphbogen an der Place du Carrousel gesetzt und dann in der Restaurationszeit an Venedig zurückgegeben. Seither krönt eine Kopie der Pferde-Gruppe das Monument zwischen Louvre und Tuilerien.

*Organische Gesetze, lois organiques, rangieren zwischen Verfassungsnorm und einfachen Gesetzen und regeln das Funktionieren der öffentlichen Gewalten.

*Unter Syrien versteht man damals auch jene Gebiete, die heute israelisch bzw. palästinensisch sind.

*1804 lässt Napoleon den Herzog von Enghien wegen der Beteiligung an einer angeblichen Verschwörung aus dem Badischen entführen und in Vincennes erschießen.

*15 nicht transportfähige Schwerverletzte hat man in einem Kloster am Berg Carmel zurückgelassen, wo sie von den Mönchen gepflegt werden. Als die Türken eintreffen, werden sie getötet, die Mönche vertrieben.

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