Читать книгу Ein Schlüssel zur inneren Biografie - Günther Dellbrügger - Страница 17
Оглавление3DIE FREIE KRAFT IM MENSCHEN
Zu den Phänomenen unserer Zeit, welche die menschliche Biografie gestalten, gehört die Tatsache, dass im Berufsleben der Menschen ein Punkt kommt, an dem die Frage nach dem Sinn der eigenen Arbeit laut wird. Viele Menschen steigen an diesem Punkt um und suchen ein Arbeitsfeld, das über den Verdienst des Lebensunterhaltes hinaus eine innere Befriedigung schenkt und für das menschliche Umfeld und die Umwelt von Bedeutung ist. Wo es dem Menschen nicht gelingt, seinem Lebensstil in Familie und Beruf eine Sinngebung wie einen goldenen Faden einzuwirken, drohen die Kräfte zu versiegen. Viele Menschen, gerade diejenigen, die sich in der Welt sozial engagieren, in den Schulen, in der Entwicklungshilfe und wo auch immer, fühlen sich plötzlich ausgebrannt, d. h. ganz ohne Kraft. Durch diese Erfahrung gehen heute viele Menschen früher oder später, sodass sie den Eindruck haben: Ihre Existenz ist wie an ein Ende gekommen, und eigentlich müssten sie jetzt ganz neu beginnen. Aber woher die Möglichkeit und die Kraft nehmen, die freie Kraft aus dem Inneren des Menschen?16
DAS SCHWERT: BILD DES ICH
Alle Krisen wirken sich in der Seele, in den Lebenskräften, in Gesundheit und Krankheit aus, aber sie hängen zusammen mit dem, was ich »das Drama des menschlichen Ich« nennen möchte. Nicht Tragödie, sondern das Drama des menschlichen Ich. Wie kann man dieses Drama des menschlichen Ich anschauen? Die heutigen Wissenschaftler stehen eigentlich vor der großen Frage: Entspricht dem Wort »Ich« überhaupt etwas? Man kann es nicht anfassen, man kann es nicht messen. Ist es überhaupt wirklich?
Um die Frage nach dem menschlichen Ich und seine Entwicklung verstehen und beantworten zu können, möchte ich ein Bild verwenden, das für das menschliche Ich stehen kann – es findet sich auch im Neuen Testament: das Bild des Schwertes. Das Schwert ist ein Bild für das menschliche Ich, für die Ich-Kraft. Man muss sich nur einmal vergegenwärtigen, was es mit dem ganzen Menschen macht, wenn er ein Schwert ergreift und es führen will. Bis in seinen Leib vollzieht sich dabei eine Straffung, eine Konzentration; Wachheit ist gefordert. Wer ein Schwert führen will, muss diese Kräfte entwickeln.
In der Apokalypse des Johannes wird von dem Menschensohn gesagt, dass ein scharfes, zweischneidiges Schwert aus seinem Mund hervorgehe. Das knüpft an Jesaja an, der den Gottesknecht schildert: begabt mit der Kraft des Richtspruches, mit dem Wort, das aus seinem Munde hervorgeht und Entscheidung bewirkt. Die Kraft der Entscheidung, die innere Wachheit, das Kämpferische – all das kann uns am Bild dessen, der das Schwert gebraucht, deutlich werden.
Es gibt zu dem Schwert ein eindrückliches Bild aus der germanischen Mythologie: die Siegfried-Sage. Darin wird von einem Schwert erzählt, das einen wunderbaren Ursprung hat. Der nordische Seher schaut die ganze Schöpfung der Welt als in einem Baum zusammengefasst: die Weltenesche. Sie ragt in den Himmel und ist tief verbunden mit der Erde. Odin, einer der Götter, die den Menschen mit dem Ich begabt haben, stößt ein Schwert in die Weltenesche. So heißt sie dann die »Esche Yggdrasil«, das heißt übersetzt »Ich-Träger«, ein Name, der auch für den Menschen zutreffend ist. Der Mensch selbst erscheint im Bild der Esche Yggdrasil. Odin bestimmt, dieses Schwert solle dem gehören, der die Kraft hat, es herauszuziehen.