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Figurensteine als Zeugnisse der Erdgeschichte

Naturspiel und Ungewissheit

Als junge Geologen an der Universität war es für uns ein Schrecken, zum Museumsdienst abkommandiert zu werden. Die Geologische Sammlung war jeden zweiten Sonntag im Monat für das Publikum geöffnet, das dann auch in Scharen kam. Der Schrecken steckte in den Taschen und Beuteln der Besucher: Aufgesammelte Gesteine, die alle in irgendeiner Weise bemerkenswert, mitunter auch skurril oder gar spektakulär aussahen. Die Erwartung, von uns – den Fachleuten! – unverzüglich eine klare Beurteilung zu hören, konnten wir aber oft nicht erfüllen. In vielen Fällen ist uns nicht klar geworden, ob das vorgelegte Objekt wirklich geologische oder paläontologische Bedeutung hatte oder ob es einfach nur eine Form war, die in irgendeiner zufälligen Weise interessant aussah und dadurch die Vorstellung nährte, es müsste doch irgendetwas von Bedeutung sein.

Heute, nach Jahrzehnten geologischer Praxis, ist die Lage nur graduell, aber nicht grundsätzlich anders. Der Anteil der Funde, zu denen ein „Fachmann“ spontan etwas sagen kann, ist natürlich mit der Erfahrung bedeutend gewachsen, aber es bleiben noch immer genügend Objekte, angesichts derer wir nur mit den Schultern zucken können. Natürlich gäbe es fast immer auch mehr oder weniger aufwendige Mittel und Wege, sich der Identität eines fraglichen Objekts zu versichern. Aber das würde nichts daran ändern, dass der normale geologische Blick, vielleicht noch unter Einsatz einer Gesteinslupe, oft nicht in der Lage war, auf Anhieb die erhoffte Klarheit zu schaffen.

Wenn man diese Unsicherheit selbst erlebt hat, dann fällt es nicht schwer sich vorzustellen, wie sich jene Menschen gefühlt haben, die in der frühen Zeit der Geologie Steine mit interessanten Mustern gefunden haben. Solche Funde wurden damals in der Regel als „Figurensteine“ (lapides figurati) bezeichnet, und aus heutiger Sicht war da manches darunter, was wir als Zufallsform oder „Naturspiel“ bezeichnen würden. Um solche Figurensteine als Zeugnis eines einst wirklich lebenden Organismus begreifen zu können, bedurfte es nicht nur einer beträchtlichen Souveränität, sondern auch der Bereitschaft, wirklich an die Möglichkeit der Versteinerung zu glauben.21

Spuren ehemaligen Lebens in den festen Gesteinen der Erdkruste konnten die Ordnung der Schöpfung in massiver Weise in Frage stellen: Die Erde sollte doch zuerst geschaffen worden sein, und dann erst das Leben! So barg im Prinzip jeder Fossilfund zugleich auch Material für brisante Diskussionen.

Die Autoren waren aber keineswegs begierig, mit Fossilfunden die traditionelle Chronologie zu sprengen und das Tor zur Erdgeschichte zu öffnen – man hatte zumindest zu Beginn keine Idee, was man mit diesen Objekten sinnvolles, „wissenschaftliches“ anfangen könnte. Aber auch der Ausweis von Belesenheit oder von der Qualität der zur Verfügung stehenden Bibliothek waren Motive, die den Aufwand rechtfertigten. Auch die Präsentation von schönen, vielleicht sogar Erstaunen auslösenden „kuriosen“ Objekten war noch lange ein guter Grund zur Publikation.

Die Herkunft der wissenschaftlichen Sammlung aus der Kuriositätenkammer

Die Wertschätzung des Besonderen, Kuriosen kam aus der Geschichte der frühneuzeitlichen Sammlungen. Erste Sammlungen entstehen im 16. Jahrhundert, zugleich beginnen die Besitzer, auch in Druckwerken über ihre Objekte zu berichten. Diese frühen Sammlungen hatten keine wissenschaftliche, sondern vor allem ästhetische Bedeutung: Sie zeigten Vielseitigkeit, Geschmack und Erfahrung des Besitzers, der die Vielfalt der Welt in einem – oft nur einzigen – Raum zu repräsentieren versuchte.

In diesen Sammlungen war weniger das Normale, Charakteristische, Repräsentative untergebracht, sondern eher das Merkwürdige wie Bemerkenswerte, Spektakuläre oder Seltene. Daher wurden diese Sammlungen häufig auch als Wunderkammer oder Kuriositätenkabinett bezeichnet. Da die Sammlungen in der Regel auch Kunst oder Kunsthandwerk enthielten, konnte man allerdings genauso gut von Kunstkammern sprechen. Nicht selten war einem solchen Kabinett auch die Bibliothek angegliedert, in der weitere Raritäten lagen oder auch bestaunt werden konnten: seltene Bücher, vielleicht auch Manuskripte von berühmten Leuten.

Fossilien und Naturspiele im heutigen Sinn waren Teile dieser Wunderkammern. Ihr langsamer Wandel zu einer als wissenschaftlich angesehenen Sammlung setzte ein, als Figurensteine nicht mehr ungeachtet ihrer regionalen Herkunft zusammengekauft wurden, sondern als Dokumente der Naturgeschichte einer konkreten Region angesehen wurden. Diese Entwicklung begann in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Als Fundquelle konnte ein natürlicher oder künstlicher Aufschluss dienen, die Umgebung der Stadt oder auch eine weiter ausgedehnte Region. Den Funden kam damit eine neue Bedeutung zu: Sie waren nicht mehr nur ästhetisch interessante Objekte, sondern – möglicherweise auch neben Artefakten aus prähistorischer Zeit – Zeugnisse der Natur. Der Sammler war so zum Vertreter einer neuen, nun empirisch orientierten naturhistorischen Praxis geworden.22


Abb. 1: „Das Ebenbild eines größeren Pfirsichs“, daneben „ein kleiner Schinken mit glatter Schwarte, aus dem oben ein Stück Knochen herausragt“, „ein von der Vorhaut entblößter vorderer Teil eines jugendlichen männlichen Gliedes“, ein „mit einer Sandale bekleideter menschlicher Unterschenkel“ sowie „unterschiedliche Beschuhungen“. Baier hat den Leser deutlich gemacht, dass diese Objekte nur so aussehen, aber die Freude am Kuriosen war Motiv genug, sie zusammen mit wirklichen Versteinerungen abzubilden. J. J. Baier 1708


Abb. 2: Belemniten mit Naturspielen, die nach Ansicht des Autors Hieroglyphen gleichen. Tatsächlich handelt es sich um die Spuren von Kalk abscheidenden Würmern. J. S. Albrecht 1737

Das Analogieprinzip als Gewähr für die natürliche Herkunft

Welche unter den bedeutungsvoll aussehenden Formen sind nun wirklich von Bedeutung? Und von welcher Bedeutung? Auch für die Beantwortung dieser Fragestellung hat das Analogieprinzip eine entscheidende Rolle gespielt – und spielt es noch immer.

Zu den bemerkenswerten Beiträgen jenes Abschnitts gehört zweifellos die Micrographia des Robert Hooke (1635–1703), Mitglied und zeitweise auch Sekretär der Royal Society of London. In dem im Jahr 1666 veröffentlichten, umfangreichen Werk berichtet Hooke von seinen mikroskopischen Betrachtungen. Zu den unterschiedlichen Objekten, die von ihm diesem vergrößerten Blick unterzogen wurden, gehörte auch ein Stück, das wie versteinertes Holz aussah. Unter den Mikroskop zeigte diese Probe tatsächlich die charakteristische Zellstruktur von Holz, und deshalb – so sein Schluss – sollte das Stück einst auch wirkliches Holz gewesen sein.23

Seine Argumentation für die einst wirkliche, lebendige Existenz versteinerter Objekte war und ist zugleich die am meisten verlässliche: Anstatt bei oberflächlichen Ansichten und davon ausgehenden Ähnlichkeiten stehen zu bleiben, sollte der Blick weiteren, detaillierteren strukturellen Merkmalen gelten.

Fossilien als Zeugnisse der Sintflut – kein Problem für die biblische Chronologie

Mit der Akzeptanz versteinerter Organismen konnte eine erste erdgeschichtliche Erklärung nicht lange auf sich warten lassen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts griff rasch die Ansicht um sich, die Figurensteine wären Zeugnisse der Sintflut. Die Sintflut war das einzige in der Bibel dokumentierte Ereignis von möglicherweise erdgeschichtlichem Format. Dieser Gedanke war in zweifacher Hinsicht willkommen. So wurde es auf der einen Seite möglich, die in den Gesteinen gefundenen Strukturen als einstige Lebensformen zu akzeptieren, ohne auf der anderen Seite die biblische Chronologie aufgeben zu müssen. Diese Art einer ersten Erdgeschichte bezog sich auf Veränderungen, die die Erde nach ihrer Schöpfung, wie auch erst nach der Schöpfung des Menschen betroffen haben.


Abb. 3: Die berühmt gewordenen Würzburger Lügensteine enthalten zahlreiche Objekte, deren Versteinerung in einer solch dreidimensionalen Weise heute als unmöglich angesehen werden. Doch wer vermag sicher zu beurteilen, ob die Funde tatsächlich so ausgesehen haben, wie sie in der Abbildung erscheinen? Hat der Grafiker vielleicht eher das visualisiert, was er sich beim Anblick der Objekte gedacht hat? Solche Unschärfen waren nur in einigen wenige Jahrzehnten in der Frühzeit der Fossilkunde möglich – heute müssen Fälschungen so gut sein, dass sie dem Fachmann selbst dann nicht auffallen, wenn er sie in Händen hält. J. B. A. Beringer 1737

Die Fossilien wurden somit in der ersten Phase tatsächlich mehr als Bestätigung der biblischen Chronologie verstanden denn für ihre Auflösung benutzt. Die Tür zu einer „tiefen“ Erdgeschichte wurde in der Folge daher erst mal nicht aufgestoßen. In dieser Richtung war die Argumentation über die Vielfalt und Mächtigkeit von Gesteinsschichten wirksamer. Der Umfang der Fossilien führenden Schichten erwies sich als so immens, dass er bald nicht mehr als Folge nur einer einzigen, zeitlich begrenzten Flut verständlich sein konnte. Dazu kamen die Vorkommen der angeblichen Sintflut-Zeugnisse in großen Höhen, oft inmitten der Gebirge. Auch damit stießen die ersten Versuche einer natürlichen Erklärung zunehmend an die Grenze physikalischer Möglichkeiten: Wie sollte eine solcher Anstieg des Meeresspiegels möglich gewesen sein?

Mit der auf den Umfang der Gesteinsformationen gegründeten Ausdehnung der Erdgeschichte wurden die Fossilien gleichsam „mitgenommen“. Ihre Bedeutung lag nun darin, dass sie Zeugnis für den Charakter des Ablagerungsraums geben konnten. Aufgrund der eingebetteten Flora und Fauna konnte eine Formation als marin, festländisch oder vielleicht gar als Süßwassersediment beurteilt werden.

Die Bedeutung der Fossilien als biologisches Objekt wurde im Laufe dieser Entwicklung lange an den Rand gedrängt. Erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts, maßgeblich durch die Arbeiten von Georges Cuvier, wurden die Versteinerungen wieder in das Zentrum der erdgeschichtlichen Forschung zurückgeführt. Erst dann wurden sie zu Zeugnissen einer Entwicklungsgeschichte des Lebens, und zu den Objekten, mit deren Hilfe das erdgeschichtliche Alter der Formationen verglichen und geordnet werden konnte.

Die geologische Revolution

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