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Von der Naturgeschichte zu einer Natürlichen Entwicklungsgeschichte der Erde und des Lebens Naturgeschichte als Sachlexikon

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Mit der Entdeckung der tiefen Zeit hat sich der Blick auf die Vergangenheit geändert. Die bis dahin als unveränderlich angesehene Erdoberfläche hat Veränderungen erfahren, die Natur hat Geschichte. Und zwar „Geschichte“, so wie wir sie heute verstehen: Veränderung, Entwicklung, Umwandlung.

„Geschichte“ und auch andere Begriffe hatten zuvor eine andere, vom heutigen Verständnis abweichende Bedeutung. In Hinblick auf die Natur hatte Zeit einst keine Bedeutung, denn Natur war geschaffen worden und nicht ein natürlicher Prozess, in dessen Verlauf sich vieles verändern und entwickeln konnte. Um die Veränderung der Wahrnehmung von „Zeit“ und „Geschichte“ nachvollziehen zu können, müssen wir einen Blick auf die ursprüngliche Bedeutung dieser Begriffe werfen.

Unter „Geschichte“ (lateinisch: historia) verstand man bis früher allgemein die Aufzeichnung von Gegenständen und Ereignissen, die sich in der Geschichte zugetragen hatten, und nicht einen Verlauf oder eine Entwicklung. Natürlich folgte eine Geschichte, wenn sie ein Territorium, seine Herrscher oder andere besonders erwähnenswerte Ereignisse betraf, in ihrer Darstellung einer zeitlichen Ordnung. Wenn die „Geschichte“ allerdings Bereiche aus Natur oder Handwerk betraf, dann musste man andere Ordnungskriterien finden: Zumeist wurden die Gegenstände hier nach regionalen, sachlichen oder einfach auch alphabetischen Gesichtspunkten gruppiert.

Die berühmteste Naturgeschichte unserer griechisch-römisch-christlichen Welt ist die Naturalis Historia des Plinius. Der Römer kam im Jahr 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuvs ums Leben. Bis dahin hatte er ein Werk mit 2493 Kapiteln voller Themen zustande gebracht, die wir heute in die Kosmologie, Astronomie, Geologie, Metallurgie, Natursteinkunde, Anthropologie, Pharmazie, Medizin, Botanik, Zoologie und noch manch anderes Gebiet einordnen würden.

Die Struktur dieses gewaltigen Werks ist enzyklopädisch, also im Sinne dieses Begriffs als „umfassendes Lehrwerk“ angelegt. Das Verständnis der Bezeichnung „Naturgeschichte“ kam somit dem nahe, was wir heute als Sachlexikon bezeichnen würden oder eben als Enzyklopädie, wenn es über einzelne Sachbereiche hinweg greifend, alles an Wissen zusammenfassend darstellen möchte.

Die Ordnung der Einträge und Begriffe in alphabetischer oder thematischer Reihenfolge ist in Enzyklopädien ein unumgängliches Verfahren, um dem Benutzer den gezielten Gebrauch zu ermöglichen. Doch niemand würde heute erwarten, Wikipedia oder eine andere, vielleicht auch noch gedruckte Enzyklopädie, als „Geschichte“ oder auch „Geschichte der Natur und Kultur“ tituliert zu finden.

Unter dem Begriff „Naturgeschichte“„ verstehen wir heute, in beträchtlicher Abweichung des ursprünglichen Sinns, eine zeitlich geordnete Ereignisfolge, oder gar eine Entwicklungsgeschichte. Was uns an Geschichte fasziniert, ist weniger eine starre Ordnung der Gegenstände oder Ereignisse, sondern die Prozesse und Veränderungen in Natur und Kultur, die Entwicklung neuer Formen, Ordnungen und Systeme.

Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein hatte sich an dem schon von Plinius angewandten Konzept von Naturgeschichte nichts Wesentliches geändert: die Naturalis Historia wurde als eine Sammlung und Beschreibung von Naturgegenständen jeglicher Art angesehen, in der von einer der Zeit folgenden Entwicklung nichts zu ahnen ist. Wenig geändert hatte sich auch die Art der Datensammlung. Das in diesen Werken angeführte Wissen wurde überwiegend aus der Literatur zusammengestellt. Erst mit der Neuzeit, verstärkt im 17. und 18. Jahrhundert, trifft man in den „Naturgeschichten“ häufiger auf Zusammenfassungen von Informationen, die vom Autor selbst auf Exkursionen und Forschungsreisen gesammelt wurden, wobei in dieser Zeit auch der wissenschaftliche Reisebericht als Darstellungsform an Bedeutung gewinnt. Ohne dass sich die Bezeichnung Naturgeschichte geändert hätte, hat sich ihr Charakter von einer Schreibtisch-Wissenschaft zur empirischen, auf unmittelbare Beobachtung gegründeten Forschung verschoben.11

Die geologische Revolution

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