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Die Naturphilosophie als alternative Forschungsweise

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Geschichte/historia wurden von den Gelehrten der frühen Neuzeit vor allem als ein Thema der Gedächtnisarbeit angesehen. Die als historia gedruckten Aufzeichnungen waren die niedergelegten Archive, die in der Summe gleichsam das kollektive Gedächtnis aller Vorfälle und Gegenstände aus Natur und Kultur bildeten. Die Alternative zur historia naturalis war die philosophia naturalis, also die Naturphilosophie. Ihr Gegenstand waren nicht die konkreten Ereignisse oder Gegenstände der Natur, die „geschaffene Natur“ oder natura naturata, sondern die Natur als Prozess und schöpferisches System, der natura naturans. Die Naturphilosophie war damit auch eher einer Sache des Verstandes: Es ging vor allem darum, die Natur in ihrer Wirkungsweise und Bedeutung zu begreifen.

Aus der philosophia naturalis entwickelte sich im 17. Jahrhundert die neuzeitliche Physik mit ihrem Motiv, die Gesetze der Natur auf der Grundlage von Beobachtung und Experiment herauszufinden. Mit Hilfe der Mathematik konnten die Beziehungen zwischen verschiedenen messbaren Größen in einfacher wie allgemeiner Weise zum Ausdruck gebracht werden. Mit dieser Neuausrichtung wurde zugleich die Abgrenzung gegenüber der traditionellen Naturphilosophie betont, die ihre Konzepte eher auf die Diskussion von Begriffen oder Hypothesen über die Beziehungen zwischen Kosmos, Erde und Mensch gegründet hatte. Der Titel von Newtons großem Werk zur Himmelsmechanik (1687) bringt dieses neue Motiv der Naturphilosophie deutlich zum Ausdruck: Philosophiae Naturalis Principia Mathematica – also Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie.

Die stark von spekulativen Elementen durchdrungene Naturphilosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit versuchte man im 17. Jahrhundert zu überwinden, indem man sich, wie auch die Kollegen aus der Naturgeschichte, dem „Buch der Natur“ zuwandte.12 Während die Methodik der historia naturalis auf Beobachtung, Sammlung, Vergleich und Systematisierung baute, hat die Naturphilosophie Messung, die Verwendung und Entwicklung mathematischer Methoden, Experimente und besondere, an der Mathematik orientierte Denkmuster wie das ausdrückliche Setzen von Axiomen oder den Gebrauch von Analogieschlüssen zur Grundlage gehabt.

Anhand dieser Kriterien lassen sich die beiden Forschungsweisen bis über das 17. Jahrhundert hinaus zuverlässig unterscheiden. Im 18. Jahrhundert beginnen sich dann aber zunehmend Unschärfen einzustellen: Der Naturphilosoph bedurfte nun einer soliden beschreibenden, „historischen“ Basis, um seine Schlüsse oder sein System – etwa in einer Theorie der Erde – auf eine akzeptable empirische Grundlage zu stellen. Zu dieser Zeit beginnt dann aber auch die uns heute vertraute Gewohnheit, Wissenschaftler nicht mehr nach ihrer bevorzugten Methodik, sondern nach ihren Forschungsbereichen einzuordnen. Diese Veränderungen festigten sich schließlich im 19. Jahrhundert, als der universal ausgerichtete Gelehrte durch den auf ein bestimmtes Fach festgelegten, an einer Lehreinrichtung entsprechend ausgebildeten Wissenschaftler ersetzt wurde.13

Die geologische Revolution

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