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DIE LEGENDE VON DEN ZWEI URSPRÜNGEN
ОглавлениеWir hören schon früh in unserem Leben die Geschichte vom Ursprung des Menschen. Und je nach den in unserer Familie vorherrschenden Überzeugungen sind wir manchmal zwei völlig verschiedenen und einander widerstreitenden Geschichten ausgesetzt, die gleichzeitig erzählt werden – die eine zu Hause und die andere in der Schule.
In den meisten Schulen wird uns die wissenschaftliche Theorie der Evolution durch natürliche Selektion gelehrt, die sich für jeden jungen Menschen steril und verstörend anhört. Es beginnt vor sehr langer Zeit mit einem glücklichen Ereignis, als sich genau die richtigen Atome genau im richtigen Moment verbanden, um genau die richtigen Moleküle unter genau den richtigen Umständen hervorzubringen, was zu den ersten einfachen Lebensformen führte, die eines Tages unsere Komplexität erlangen sollten.
Selbst die leidenschaftlichsten Befürworter der Evolution müssen zugeben, dass das unheimliche Glück, das eine solche Reihe von Ereignissen erfordert, eine ziemliche Zumutung für unsere Vorstellungskraft darstellt – oder einfach des Glaubens bedarf, dass ein solcher Prozess überhaupt möglich ist. Wie weiter oben schon gesagt, nannte Francis Crick die Existenz der DNA »beinahe ein Wunder«.
Die Evolutionstheorie nimmt für dieses Glück allerdings eben diesen Kampf in Anspruch, den Wettstreit der verschiedenen Lebensformen; er habe den Erfolg dieser so unwahrscheinlichen Kombination von Ereignissen ermöglicht. Die Fürsprecher der Evolutionslehre behaupten, dass dieser Wettstreit uns dazu gebracht habe, die heutigen Gewinner im viele Millionen Jahre währenden Streben nach dem Überleben zu sein. Entscheidend ist hier, dass uns erzählt wird, jener »Kampf« sei uns in der Vergangenheit zuträglich gewesen und nütze uns folglich auch heute noch. Angeblich war der »Kampf«, wie man uns weismacht, so erfolgreich, dass er sogar genetisch in unsere Körper »einprogrammiert« ist. Aufgrund von natürlicher Selektion sind wir daher angeblich zu »Kampf« und Wettstreit veranlagt.
Während die Kinder in der Schule die wissenschaftliche Geschichte von Evolution und Kampf lernen, wird ihnen häufig gleichzeitig noch eine religiöse Geschichte erzählt, die nicht weniger furchteinflößend ist. Auch diese Geschichte beginnt an unserem Ursprung. Und auch um sie zu glauben, müssen wir unsere Vorstellungskraft ziemlich strapazieren. In Judentum, Christentum und Islam ist es die Geschichte von einer mysteriösen Macht – Gott –, und sie erzählt davon, wie Gott den ersten Menschen, Adam, aus dem Staub der Erde geschaffen, ihm seinen Lebensodem eingehaucht und ihn beauftragt hat, über die Erde zu wachen.
Aus dieser Geschichte lernen wir, dass wir die Nachfahren von Adam und seinen Kindern sind und als Menschen mit einer Erbsünde behaftet zur Welt kommen. Der Rest der Geschichte handelt davon, wie wir dazu bestimmt sind, uns zwischen Gut und Böse zu entscheiden, während wir nach einem Weg suchen, um uns von unseren Sünden reinzuwaschen. Andere Weltreligionen bedienen sich ganz ähnlicher Geschichten, um den Ursprung der Menschheit und den Sinn des Lebens zu erklären.
Beide Erzählungen – die wissenschaftliche und die religiöse – beginnen vor langer Zeit. Beide weisen in den Details seltsame Lücken auf. Und beide lassen uns mit dem Gefühl zurück, vom Rest unserer Welt getrennt zu sein. Was aber vielleicht am bedeutsamsten ist: Beide Erzählungen geben uns das Gefühl, dass wir so, wie wir derzeit auf der Erde leben, als ahnungslose Kombattanten in einem hoffnungslosen Kampf ums Überleben gefangen sind – entweder mit der Natur oder zwischen Gut und Böse. Wir kommen nicht umhin zu erkennen, dass diese Geschichten – so verschieden sie oberflächlich betrachtet auch sein mögen – am selben Punkt beginnen und denselben Zweck verfolgen, ob sie nun vom wissenschaftlichen oder vom religiösen Standpunkt ausgehen. Sie beginnen mit dem Faktum, dass wir eben auf die Art und Weise existieren, wie wir es tun, und sie versuchen zu erklären, was unsere frühere Existenz für uns heute bedeutet.
Trotz wachsender Belege, die nicht mit dem traditionellen wissenschaftlichen Narrativ übereinstimmen, wiederholen unsere Lehrer die Theorie der Evolution und des menschlichen Überlebens ein ums andere Mal und lehren sie in unseren Klassenzimmern, als wäre sie eine absolute und unbezweifelbare Tatsache. Und hier fängt das Problem an: Wir versuchen, heutige Probleme, die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe verlangen, mit einer einhundertfünfzig Jahre alten Geschichte auf der Grundlage von Kampf und Wettstreit zu erklären. Aber wenn wir die Frage stellen, woher wir kommen und wie wir so geworden sind, wie wir sind, ergibt die Geschichte, die wir erfahren – die der Evolution –, einfach keinen Sinn mehr. Wir brauchen eine neue Geschichte, die den neuen Sachverhalt ausdrückt, um den Zauber zu brechen, den Darwins Ideen auf uns ausüben.