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Wenn nun das Verlangen nach der Gerechtigkeit seligzupreisen ist, spricht dann das ewige Wort den nicht selig, der gleiche Sehnsucht hat z.´B. nach der Mäßigung, Weisheit, Klugheit oder nach sonst einer Art von Tugend? Doch die Seligpreisung hat etwa folgenden Sinn: Zwar ist die Gerechtigkeit nur ein Teil von dem, was zum Begriff der Tugend gehört; häufig aber hat die Heilige Schrift, wenn sie auch bloß einen Teil ausdrücklich nennt, trotzdem oft das Ganze im Auge, z. B. wenn sie die göttliche Natur mit dem einen oder anderen Namen umschreibt. Denn einmal spricht der Prophet im Namen Gottes: „Ich bin der Herr; das ist mein ewiger Name und ein Gedächtnis den Geschlechtern der Geschlechter“ (Is. 42, 8); anderswo aber sagt Gott: „Ich bin, der ich bin“ (Exod. 3, 11), und an einer anderen Stelle: „Ich bin barmherzig“ (Jer. 3, 12). Und noch mit zahlreichen anderen Namen, welche die Erhabenheit und Würde Gottes ausdrücken, pflegt ihn die Heilige Schrift zu benennen; daraus ergibt sich ganz klar, daß sie, wenn sie auch bloß* einen* Namen nennt, doch mit demselben die* ganze Reihe* seiner Namen stillschweigend ausgesprochen haben will; denn es ist unmöglich, daß, wenn er Herr genannt wird, er nicht zugleich auch das wäre, was die übrigen Benennungen besagen; vielmehr wird durch den* einen* Namen von Gott ausgesagt, was alle enthalten.

Hieraus ergibt es sich, daß die Heilige Schrift oftmals sehr viel einschließt, auch wenn sie nur einen Teil ausdrücklich nennt. Dementsprechend bezeichnet das Wort Gottes auch hier, wo es die Gerechtigkeit als den Gegenstand für die glückselig Hungernden angibt, damit überhaupt jede Art von Tugend, so daß in gleicher Weise auch der seligzupreisen ist, der nach Klugheit, Starkmut und Mäßigung hungert oder nach dem, was wir sonst noch Tugend nennen. Denn es ist unmöglich, daß eine Seite der Tugend, losgetrennt von den übrigen, für sich allein schon als vollkommene Tugend bezeichnet werden kann. Wenn nämlich bei unserem Streben nach einer bestimmten Tugend eine andere, die zum Begriff des Guten gehört, nicht mit inbegriffen wäre, so würde mit Notwendigkeit die entgegengesetzte Untugend in uns Raum gewinnen; die Mäßigung z. B. hat als Gegensatz die Zügellosigkeit, die Klugheit die Unbesonnenheit; und so hat jede Tugend ihren Gegensatz. Wenn nun nicht alle Tugenden zum Begriff der Gerechtigkeit gerechnet würden, so wäre sie, für sich allein bleibend, kein Gut mehr; denn niemand wird die Gerechtigkeit unbesonnen, keck, zügellos oder sonst etwas von dem nennen, was wir als schlecht ansehen. Wenn aber der Begriff der Gerechtigkeit keine Vermischung mit etwas Schlechtem gestattet, so faßt er* jegliches* Gute in sich; gut ist aber alles, was zur Tugend gehört. Folglich ist hier jede Art von Tugend unter dem Namen Gerechtigkeit gemeint, wenn das ewige Wort jene seligpreist, die nach ihr hungern und dürsten; er verspricht ihnen die Erfüllung ihrer Wünsche; es heißt ja: „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.“

Essentielle Schriften, Band 2

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