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IV

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An diesem Gute, das alle Fassungskraft übersteigt, hatten wir Menschen einst Anteil, und in solchem Maße fand es sich auch in unserer Natur, daß jene Menschheit, die da in getreuester Nachahmung nach dem Urbilde geschaffen war, eine Änderung erfahren zu haben schien. Denn was wir jetzt an jenem Urbilde auf dem Wege des Glaubens erkennen, das alles befand sich auch einstens im Menschen: Unverweslichkeit, Glückseligkeit, Bedürfnislosigkeit, Unabhängigkeit, Schmerzlosigkeit und Mühelosigkeit des Lebens, Unterhaltung mit göttlichen Dingen und die Gabe, mit offenem, von jeder Täuschung freiem Geiste das Gute zu sehen. Dies alles lehrt uns in wenigen Worten der Bericht über die Weltschöpfung, indem er darlegt, daß der Mensch nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen worden sei, im Paradiese lebte und in dessen Erzeugnissen schwelgte; die Frucht der paradiesischen Bäume und Pflanzen war Leben, Erkenntnis und andere ähnliche Güter. Da wir all diese Vorzüge besaßen, wie ist es da möglich, wenn wir unser gegenwärtiges Elend mit der damaligen Glückseligkeit vergleichen, nicht über unseren tiefen Fall zu trauern? Das Hohe ist erniedrigt, das Ebenbild des Himmlischen ward der Erde verwandt, was zum Herrschen bestimmt war, zum Sklaven gemacht, was zur Unsterblichkeit geschaffen war, dem Tode preisgegeben; was in Paradieses Freuden lebte, wurde in dieses Land voll Krankheit und Mühsal verbannt; was den Vorzug haben sollte, von jeder Leidenschaft frei zu sein, hat dafür ein Leben eingetauscht, das angefüllt ist mit Leidenschaften heftigster Art; was sich voller Freiheit erfreute, schmachtet unter der Gewalt vieler Tyrannen. Denn jede Leidenschaft wirft sich, wenn sie die Oberhand gewonnen hat, zum Zwingherrn über den auf, der sich ihr einmal unterwarf. Und sobald sie die Burg der Seele eingenommen hat, läßt sie jeden, der ihr gehorcht, durch seine eigenen Untergebenen knechten, indem sie des Menschen Gedanken und Entschlüsse nach ihrem Gutdünken mißbraucht. So verfährt der Zorn, so die Furcht, die Feigheit, die Unbotmäßigkeit, die Leidenschaft des Schmerzes und der Lust, Haß, Zank, Unbarmherzigkeit, Härte, Neid, Schmeichelei, Rachgier, Gleichgültigkeit und all die Leidenschaften, die in unserem Innern kämpfen und streiten, ― eine ganze Menge von Gebietern und Tyrannen, die vermöge der Macht, die ihnen zur Verfügung steht, die Seele wie eine Kriegsgefangene zur Sklavin machen. Und wenn wir noch dazu die Mißgeschicke des Leibes in Erwägung ziehen, die mit unserer Natur so innig verbunden sind, ich meine, die verschiedenartigen Krankheiten, die das Menschengeschlecht im Anfang nicht kannte, so werden wir noch viel reichlicher Tränen vergießen, da wir bei einem Vergleich deutlich sehen, daß an Stelle der Freude das Leid, an Stelle des Guten das Böse getreten ist.

Diese Lehre scheint der Herr mit seiner Seligpreisung der Traurigkeit, wenn auch etwas verborgen, zu verkünden, indem er jene Traurigkeit meint, die da bewirkt, daß die Seele das wahre Gute voll Sehnsucht im Auge behalte und sich nicht in die Täuschungen des gegenwärtigen Lebens hinabziehen lasse. Denn beides ist unbestreitbar: einerseits, wer die Dinge dieser Welt richtig beurteilt, kann nicht ohne Tränen leben; andererseits, wer in den Lüsten dieses Lebens versinkt, von dem kann man nicht annehmen, daß er trauere. Letzteres beweisen auch die unvernünftigen Tiere; diese befinden sich zwar von Natur aus in einem bedauernswerten Zustand, ― denn was ist jammervoller, als der Vernunft beraubt zu sein? ― aber ein Gefühl ihres Unglückes haben sie nicht; vielmehr verläuft ihr Leben in einer gewissen Freude: das Pferd ist voll Übermut, der Stier tummelt sich, daß der Staub auffliegt, das Schwein sträubt seine Borsten, die jungen Hunde scherzen, die Kälber hüpfen; jedes Lebewesen kann auch durch mancherlei Zeichen seine Freude ausdrücken. Hätten sie jedoch eine Ahnung von der Vernunft, die sie entbehren, sie verbrächten ihr stumpfes, niedriges Leben nicht in Freude. So ist es auch bei den Menschen: solange sie die kostbaren Güter, deren wir nunmehr beraubt sind, nicht kennen und würdigen, überlassen sie sich ganz der Freude an dem gegenwärtigen Leben. Wer sich aber mit der Freude an der irdischen Gegenwart zufrieden gibt, kennt folgerichtig kein Streben nach Höherem; wer aber nicht strebt, wird auch nicht finden, was nur dem Strebenden beschert wird. Deshalb also preist das Wort Gottes die Traurigkeit selig, nicht als ob es diese um ihrer selbst willen für beseligend halten würde, sondern wegen des Segens, der aus ihr erwächst.

Essentielle Schriften, Band 2

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