Читать книгу Essentielle Schriften, Band 2 - Gregor von Nyssa - Страница 14

II

Оглавление

Doch laßt uns sehen, für welche Tugend die Erbschaft jener Erde als Ehrenpreis gesetzt ist. Es heißt: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen!“ Worin besteht die Sanftmut und in welcher Hinsicht preist das Wort Gottes die Sanftmut selig? Ich glaube nämlich nicht, daß man alles in gleicher Weise für Tugend halten darf, was mit Sanftmut geschieht, falls man darunter nur ein schwerbewegliches und gelassenes Wesen versteht; denn weder bekommt unter den Läufern der Langsame den Vorrang vor dem Flinken, noch trägt im Faustkampfe der Schwerfällige den Siegeskranz über seinen Gegner davon; und in bezug auf unsere Aufgabe, nach dem Kampfpreis unserer höheren Bestimmung zu laufen, mahnt uns Paulus zu angestrengter Eile, indem er uns zuruft: „Laufet so, daß ihr ihn erlanget“ (1 Kor. 9, 24). Auch er strebte ja in stets größerer Beweglichkeit vorwärts und vergaß, was hinter ihm lag. Ebenso war er im Kampfe flink; denn er achtete genau auf den Vorstoß seines Gegners, hielt fest stand und schwang sein Schwert mit starker Hand nicht ins Blaue und Leere, sondern führte die Schläge nach den verwundbaren Stellen des Gegners und gegen den Körper desselben. Willst du dich überzeugen von der Fechtkunst des Paulus? Betrachte die Wunden seines Gegners, betrachte seine Beulen, betrachte die Verletzungen des Besiegten! Zweifellos kennst du den Gegner, der ihn im Fleische bekämpft, dem er aber mit starker Faust erwidert, den er mit den Nägeln der Enthaltsamkeit durchbohrt, dessen Glieder er durch Hunger, Durst, Kälte und Blöße abtötet, dem er die Wundmale des Herrn eindrückt, den er im Laufe besiegt und hinter sich läßt, damit nicht Todesdunkel auf seine Augen falle, wenn der Feind ihn überholen würde. Wenn nun Paulus feurig und gewandt im Kampfe ist, wenn David im Ansturm gegen die Feinde seine Schritte vergrößert, wenn der Bräutigam im Hohenliede an Schnelligkeit mit der Gazelle verglichen wird, der über Berge springt und auf den Hügeln hüpft, und wenn man viele ähnliche Beispiele anführen kann, in denen Raschheit der Bewegung den Vorzug vor der Langsamkeit verdient ― warum preist dennoch das Wort Gottes hier die Sanftmut selig wie eine herrliche Errungenschaft? Es verkündet ja: „Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“, jenes Erdreich ohne Zweifel, das reich ist an edlen Früchten, beschattet vom Baume des Lebens, bewässert von den Quellen der geistigen Gnadengaben, in dem der wahre Weinstock blüht, den, wie wir hören, der Vater des Herrn pflanzte (Joh. 15, 1).

Mir scheint nun das Wort ungefähr dies zu lehren, daß die Bereitwilligkeit zum Bösen groß ist und sich unsere Natur rasch auf die Seite des Schlechten neigt, ähnlich wie die schweren Körper in der Richtung nach oben ganz unbeweglich bleiben, dagegen, wenn sie von einer hohen Bergspitze über den Abhang gestoßen werden, mit sausender Gewalt nach unten stürzen, so daß ihre Schnelligkeit unbeschreiblich ist, weil eben die eigene Schwere den Sturz beschleunigt. Da demnach das Ungestüm in dieser Richtung ein widrig Ding ist, so ist gewiß seligzupreisen, was man unter dem entgegengesetzten Streben versteht. Das ist aber die Sanftmut, welche einen gegenüber solchen Triebkräften der Natur zögernden, schwerbeweglichen Zustand bezeichnet. Wie nämlich das Feuer seinem Wesen nach stets nach oben strebt, nach unten gar keine Beweglichkeit zeigt, so ist auch die Tugend in der Richtung nach oben und nach dem Höheren gar rührig und in ihrer Behendigkeit unermüdlich, nach der entgegengesetzten Richtung jedoch überaus langsam. Weil nun in unserer Natur die Schnelligkeit zum Bösen überwiegt, so wird mit Recht jener seliggepriesen, der in dieser Beziehung unbeweglich bleibt; denn wer nach dieser Richtung in voller Ruhe verharrt, liefert hierdurch den Beweis, daß er nach oben strebt.

Essentielle Schriften, Band 2

Подняться наверх