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IV
ОглавлениеMehr noch kann man an der Leidenschaft des Zornes ersehen, wie die Sanftmut seligzupreisen ist. Wenn nämlich ein nicht ganz angenehmes Wort, eine Tat oder auch nur eine Vermutung diese Krankheit erregt und das Blut im Herzen kocht und die Seele zur Rache sich erhebt, so kann man, wie in den Göttermärchen infolge von Zaubertränken Verwandlungen in unvernünftige Tiere vorkommen, oft genug beobachten, wie ein Mensch durch den Zorn plötzlich in ein Schwein, in einen Hund oder Panther oder sonst in ein wildes Tier verwandelt wird. Das Auge ist mit Blut unterlaufen, die Haare stehen starr zu Berge, die Stimme wird heiser und stößt heftige Ausdrücke hervor; die Zunge wird durch die Leidenschaft fast gelähmt und ist kaum mehr imstande, den Anweisungen des Willens zu gehorchen, die Lippen sind steif und unfähig, die Worte richtig zu bilden; auch können sie die Feuchtigkeit, die infolge der Aufregung im Munde entsteht, nicht zurückhalten, sondern speien beim Sprechen den Geifer in unanständiger Weise aus. Ähnliches gilt von den Händen, von den Füßen, ja vom ganzen Körper: jedes Glied wird von der Leidenschaft gar übel beeinflußt. Wenn sich nun der eine also gebärdet, der andere aber im Hinblick auf die Seligpreisungen die Zorneskrankheit mit Vernunftgründen meistert, so daß sein Blick ruhig und seine Stimme gelassen bleibt, dem Arzte ähnlich, der mit seiner Kunst dem Irrsinnigen, der sich unanständig benimmt, zu Hilfe kommt: wenn du das zweite Bild mit dem ersten vergleichst, wirst du nicht selbst zugeben, daß der Zornwütige in seinem tierischen Benehmen kläglich und abscheuerregend, der Sanftmütige aber seligzupreisen ist, weil er sich durch die Schlechtigkeit des Nächsten nicht gleichfalls in einen Zustand versetzen ließ, der des Menschen unwürdig ist?
Daß das Wort Gottes ganz besonders die Leidenschaft des Zornes im Auge hat, geht daraus hervor, daß es uns nach der in der ersten Seligpreisung empfohlenen Demut in der zweiten die Sanftmut vorschreibt. Beide Tugenden scheinen eng zusammenzuhängen und die demütige Gesinnung die Mutter eines sanftmütigen Herzens zu sein. Denn sobald du aus deinem Geiste den Hochmut entfernest, hat die Leidenschaft des Zornes keinen Anhaltspunkt mehr, aufzuwallen. Schimpf und Entehrung nämlich veranlassen zumeist die Seelenkrankheit der Zornwütigen; Beschimpfung nimmt sich aber der nicht übermäßig zu Herzen, der sich zur Demut erzogen hat. Denn wenn jemand seine Vernunft von Täuschung fernhält und erwägt, welchem Anfang die hinfällige Natur, an der er teilnimmt, ihr Entstehen verdankt und welchem Ende das kurze, schnell zerrinnende Leben entgegeneilt, wenn er den Schmutz beachtet, der an seinem Fleische klebt, und die Armseligkeit seiner Natur, die nicht durch sich selbst zu bestehen vermag, sondern ihren Verbrauch durch den Überfluß der unvernünftigen Geschöpfe ergänzen muß, wenn er dazu die Leiden, Trübsale, Unglücksfälle und die verschiedenartigen Krankheiten beherzigt, denen das menschliche Leben ausgesetzt ist und von denen keiner ganz verschont bleibt ―: wenn jemand das alles mit dem Auge der Seele betrachtet, ohne sich selbst zu belügen, so wird er wohl nicht leicht ungehalten, falls ihm nur wenig Ehre zuteil wird. Im Gegenteil wird er es für eine Art Betrug ansehen, wenn er vom Nächsten wegen irgendeines Vorzuges eine Ehrenbezeigung empfängt, da wir ja an unserer Natur nichts haben, was auf Ehre Anspruch machen könnte, außer an unserer Seele, deren Ehre aber nicht in den Gütern besteht, die man auf dieser Welt vor allem schätzt. Denn wer kann im Ernste mit seinem Reichtum großtun, auf seine Abkunft stolz sein, auf Ansehen und Rang pochen? Das sind lauter Dinge, in denen zwar menschliche Ehrsucht ihre Befriedigung sucht, die aber sogar geeignet sind, die wahre innere Ehre zu zerstören und Schande zu bereiten, so daß kein Besonnener sich herbeilassen wird, ihretwegen irgendwie die Reinheit der Seele zu beflecken. Eine solche Gesinnung führt zu einem Leben in tiefer Herzensdemut, und wenn diese vollkommen in uns hergestellt ist, wird der Zorn keinen Eingang in unsere Seele finden. Ist aber der Zorn verbannt, so ist ein ruhiges, stilles Leben erreicht und dieses ist gleichbedeutend mit der Sanftmut, deren letztes Ende die Seligkeit und die Erbschaft des himmlischen Erdreiches ist ― in Christus Jesus, dem die Ehre und die Macht sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.Dritte Rede: „Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.“