Читать книгу PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt - Greig Beck - Страница 12

Kapitel 5

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Ben fuhr diesmal mit dem Taxi zum Treffen seiner Clique, statt sich wieder von Emma abholen zu lassen, denn er wollte auf dem Weg dahin nachdenken. Als er letzte Nacht wieder zuhause angekommen war, hatte er noch mehr Zeit damit verbracht, den Dachboden zu durchstöbern, um weitere Hinweise und vielleicht sogar das fragliche Notizbuch zu finden. Denn dann wäre dieses Abenteuer möglicherweise schon vorbei, bevor es begonnen hatte.

Er gähnte und rieb sich die Augen. Letztlich hatte er nur ein paar Stunden geschlafen und immer noch keinen Beweis, dass die Aufzeichnungen seines Ururgroßvaters jemals gefunden worden waren. Wo immer Doyle sie auch versteckt hatte, sie waren vermutlich immer noch dort.

Ben lächelte, als er sich an Emmas Begeisterung erinnerte. Ihre Augen hatten genau so zu leuchten angefangen wie bei dem Mädchen, an das er sich von damals erinnerte.

Es war schon verrückt, wie nahe sie alle sich gestanden hatten, und ein irres Gefühl, nun wieder zurück zu sein. Wenn er die Augen ein klein wenig zusammenkniff, sah er sie alle genauso, wie sie damals waren.

Vor fünfundzwanzig Jahren hatten er, Dan, Steve, Emma und Andrea eine Tretroller-Gang gegründet. Sie hatten im Park herumgehangen und sich Rennen auf der Joggingstrecke geliefert. Sie waren ganz normale Kinder mit Sommersprossen, Zahnspangen und Flicken auf den Knien gewesen. Und besonders interessiert hatte ihn auch schon damals die kleine Emma Wilson mit ihren riesigen Schneidezähnen und einem winzigen Ansatz von Busen, der sich langsam unter ihren weiten T-Shirts abzeichnete.

Er erinnerte sich daran, wie sie einmal gestürzt war, als sie schon auf Fahrräder umgestiegen waren, und sich das Knie aufgeschürft hatte. Seine Mutter hatte ihm immer Pflaster in die Hosentasche gesteckt, was er höchst albern fand, doch in dieser Situation war er dadurch der Held. Er zog ein Pflaster hervor und klebte es auf ihr Knie. Sie drückte eine Weile ihre Hand darauf und sah dann zu ihm auf. Ihre großen grünen Augen weiteten sich und starrten ihn an, und er spürte, wie sein Herz einen Satz machte. Niemand hatte ihn je so angesehen. Nun ja, zumindest kein anderes Mädchen.

Dann kam die Zeit, in der sie als Teenager zusammen herumhingen, gefolgt von der Highschool. Schließlich landeten sie alle an der staatlichen Universität von Ohio, wo er und Steve für die Football-Mannschaft ausgewählt wurden. Das war eine große Ehre und Andrea wurde sogar Mitglied der Cheerleader.

Damals war es zu einem dramatischen Ereignis gekommen: Nach einem Auswärtsspiel waren er und Steve mit Dan und Emma im Parkhaus verabredet gewesen. Doch schon von Weitem sah Ben die vier hünenhaften Kerle, die sich drohend um Emma und Dan aufbauten. Vielleicht waren sie Fans der gegnerischen Mannschaft und störten sich an den Vereinsfarben, die seine Freunde trugen. So oder so stellte sich Dan ihrer Aggression, obwohl der Sohn japanischer Eltern ihnen kaum bis an die Schultern reichte. Trotzdem war er absolut tapfer und ließ sich nichts gefallen.

Doch dann bekam er einen Schlag verpasst. Emma schrie auf und stürzte nach vorn, woraufhin sie am Arm gepackt und dann zu Boden gestoßen wurde. Ben sah sofort rot, ließ seine Tasche fallen und sprintete auf sie zu.

Sein Vater hatte ihm schon in jungen Jahren gezeigt, wie man boxte, und er schubste einen der Männer aus dem Weg, um ihrem Anführer entgegenzutreten. Der Typ verschwendete keine Zeit und stieß Ben beidhändig vor die Brust. Doch Bens Vater hatte ihm auch gesagt, dass es bei einem Kampf auf der Straße darauf ankam, alles in den ersten Schlag zu legen – und das tat er. Als der Typ wieder auf ihn zukam, nutzte Ben seinen Schwung und setzte ihm einen rechten Schwinger mitten auf die Nase.

Blut und Rotze flogen durch die Luft, als die Knorpelmasse des Riechorgans brach. Der Hüne ging zu Boden und Ben wirbelte herum, um sich um den nächsten zu kümmern – er hoffte, dass die Kerle noch nicht genug hatten, denn er wollte jeden einzelnen von ihnen bestrafen. Doch nun tauchte auch Steve an seiner Seite auf und allein sein böser Blick führte dazu, dass das verbleibende Trio nur noch ein paarmal »Fuck you« schrie, den gefallenen Kameraden aufsammelte und sich trollte.

Steve kümmerte sich dann um Dan, während Ben sich neben Emma hinkniete und ihr die Hand entgegenstreckte. Dabei lächelte er sie verlegen an: »Ich habe noch ein Pflaster, falls du es brauchst.«

Sie strahlte ihn an. »Mein edler Ritter rettet mich schon wieder.« Sie drückte seine Hand und er verlor sich in ihren wunderschönen Augen.

»Wann auch immer du mich brauchst, bin ich da«, sagte er mit feuchten Augen, während er ihr hoch half.

»Ich brauche dich jetzt.« Sie hielt ihn immer noch fest.

Danach waren sie ein Paar, liebten sich, lachten und machten Pläne für eine perfekte Zukunft, die sie sich zusammen aufbauen wollten.

Doch die Straße des Lebens hatte ein paar Kurven und Abzweigungen zu viel und nach einer Weile drifteten ihre Welten auseinander. Bevor er sich versah, hatte er sie verloren und sie war mit jemand anderem zusammen. Er blieb zurück und fragte sich, was er mit sich anfangen sollte. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum er beschlossen hatte, die Stadt zu verlassen.

Aber nun, da er wieder hier war, wurde ihm klar, wie sehr er sie alle vermisst hatte. Und wie sehr er sie brauchte.

Es war ein Fakt, dass es seiner Mutter inzwischen besser ging, und er würde lügen, wenn er behaupten würde, dass er die Idee eines Abenteuers im Ausland nicht höchst spannend fand. Abgesehen davon … wenn Dan unbedingt bezahlen wollte, war das Einzige, das er zu verlieren hatte, etwas Zeit. Doch dafür würde er wieder mit seinen alten Freunden abhängen können – mit Emma – und wahrscheinlich würde sich Dan mit nicht weniger als der ersten Klasse zufriedengeben, von daher gab es eigentlich keine Nachteile.

»Da sind wir, Kumpel.« Der Fahrer hielt direkt vor dem Grillrestaurant. »Lass dir dein Frühstück schmecken!«

»Werde ich machen«, antwortete Ben und stieg aus.

Im gleißenden Morgenlicht sah der Laden deutlich schäbiger aus, als nachts mit eingeschalten Neonlichtern. Ben musste grinsen, denn er kannte keinen anderen Laden, der abends ein Barbecue servierte und tagsüber als Café fungierte. Doch es war ein Glück, denn er hatte wenig Lust darauf, Spareribs zu frühstücken.

Durch das Fenster sah er, das er als Letzter angekommen war und die anderen bereits an ihrem Platz saßen. Emma entdeckte ihn als Erste und er hoffte plötzlich, dass sie die ganze Zeit über nach ihm Ausschau gehalten hatte. Als er eintrat, rammte Emma ihre Hüfte in Dans Seite, um ihn dazu zu bringen, neben ihr Platz zu machen. Steve hob sein Kinn, um ihn zu grüßen und Andreas Augen verfolgten ihn den ganzen Weg bis zum Tisch.

Als er sich setzte, griff sich Ben eine Speisekarte. »Was habe ich verpasst?«

»Die Eier, die waren zart wie Butter. Und dazu Bacon, der lecker genug war, um einen Engel vor Glück weinen zu lassen«, kommentierte Steve.

»Klingt gut.« Ben ließ die Speisekarte fallen.

»Igitt, so viel Fett!«, jammerte Andrea mit herausgestreckter Zunge.

»Da steckt eben der Geschmack drin«, belehrte Steve sie und prostete ihr mit seinem Kaffee zu.

»Traurig aber wahr.« Ben schaute auf, als die Kellnerin plötzlich wie durch Zauberei neben ihm stand, um seine Bestellung entgegenzunehmen, die auch noch einen getoasteten Bagel beinhaltete. Sie schenkte ihm Kaffee ein, und als sie wieder verschwunden war, lehnte sich Ben nach vorn und verschränkte seine Finger auf der Tischplatte.

»Ich habe die halbe Nacht damit verbracht, den Dachboden zu durchsuchen, aber ich habe nichts Interessantes gefunden. Das ist einerseits eine schlechte Nachricht, andererseits aber auch eine gute, denn es gab keine Anzeichen dafür, dass das Notizbuch jemals zurückgegeben oder gefunden worden ist. Es könnte also auch heute immer noch dort sein, wo Doyle es versteckt hat.«

»Bei mir sieht es ähnlich aus«, fügte Dan hinzu. »Ich habe meine Experten das gesamte Internet durchsuchen lassen und es gab keinerlei Hinweise auf das Notizbuch eines gewissen Cartwright, das sich mit einer Expedition von 1908 beschäftigt. Und zwar so richtig gar nicht – niente, nada, zero.« Dans Augenbrauen hoben sich. »Und auch das ist gut, denn es bedeutet, wir können loslegen.«

»Dann sollten wir uns alle gegen Malaria impfen lassen.«

Dan nickte. »Sehr guter Hinweis.«

»Was? Moment. Ich dachte, euch geht es erst mal nur darum, das Notizbuch zu finden?« Ben verzog das Gesicht.

»Klar, das machen wir ja auch … als ersten Schritt!« Dan lehnte sich vor und ergriff Bens Unterarm, sein Blick voller Überzeugung: »Ich werde dir eine Frage stellen: Wenn du in einen Eisenwarenladen gehst, um dir eine Schaufel zu kaufen, machst du das, weil du eine Schaufel haben willst oder weil du ein Loch graben möchtest?«

Ben nickte verständig. »Natürlich, um ein Loch zu graben.«

»Genau«, sagte Dan. »Also geht es bei der Suche nach dem Notizbuch nicht darum, das Notizbuch zu finden, egal, wie interessant und wertvoll es für sich gesehen sein mag, sondern um die Geheimnisse, die es enthält.«

»Ja, das verstehe ich. Aber das geht ein paar Schritte – oder vielleicht eher Meilen – weiter als das, was ich mir vorgestellt hatte«, antwortete Ben. »Wir sollten nichts überstürzen.«

»Und das werden wir auch nicht tun.« Dan schaute ihn aufrichtig an »Aber komm' schon, Mann, du musst doch zugeben, dass das hier die spannendste Sache aller Zeiten ist! Stell' dir doch mal vor, diese vergessene Welt existiert wirklich!«

»Auch wenn jeder Funken Logik sagt, dass es nicht so ist«, sagte Emma mit einem Lächeln. »Auf der anderen Seite, wenn man sich nur mal für eine Sekunde vorstellt, dass es doch so ist … und man dir die Möglichkeit gegeben hat, sie zu finden!« Ihre Augen leuchteten. »Überleg' dir doch mal, wie stolz dein Vorfahre Benjamin wäre, wenn sein Ururenkel, der auch noch den gleichen Namen trägt, das schaffen würde.«

Dan breitete seine Arme aus und zeigte sein bestes Unternehmer-Lächeln. »Schau dich um, Kumpel. Alle von uns haben mehr als genug von den wichtigsten Zutaten für Erfolg: Begeisterung, Neugier und Zeit.« Er grinste. »Deswegen sage ich, nutzen wir das alles – wir schlagen zu, solange das Eisen noch glüht.« Dann zuckte er mit den Schultern. »Und das alles auf meine Kosten, natürlich erster Klasse!«

»Wow, hey, aber was springt denn für dich dabei heraus?«, fragte Steve mit einer hochgezogenen Augenbraue.

Dan schnaubte. »Hör' zu. Ich habe meine Firma vor fünf Jahren für 180 Millionen Dollar verkauft. Seitdem habe ich nur noch ein Problem: Gottverdammte Langeweile! Ich habe meine Zeit schon mit Parasegeln verbracht, Freeclimbing, Tiefseetauchen und Dschungeltrekking. Das alles hat mich nicht ausgefüllt. Aber das hier … DAS ist ein echtes Abenteuer! Etwas mit Spannung, Gefahr, versteckten Hinweisen und einem Ziel. Ich kann euch sagen, durch diese Spannung fühle ich mich zum ersten Mal seit Jahren so richtig lebendig.« Dan hob seine Hände in die Luft und schaute nach oben wie ein Prediger, dann ließ er sie langsam wieder auf den Tisch sinken.

»So geht es mir auch«, sagte Emma und legte ihre Hände auf die seinen.

»Und mir erst!« Steve fügte seine Pranken dem Stapel hinzu.

Andrea hob ihre Hände, lächelte und legte sie dann auf Steves.

Ben sah das Feuer in den Augen seiner Freunde. Und um ehrlich zu sein, fühlte er genau das gleiche. Der Gedanke, in die Fußstapfen seines Vorfahren zu treten und vielleicht sogar etwas Einzigartiges und Besonderes zu finden, war so faszinierend, dass er nicht dagegen ankämpfen konnte.

»Also, warum klopfen wir nicht einfach bei dieser Bude in England an und bitten um Erlaubnis, dort suchen zu dürfen? Immerhin hast du ja einen Beweis, dass es sich um dein Eigentum handelt«, sagte Andrea.

Emma zuckte mit den Schultern. »Da hat sie recht, Ben. Du hast den Brief des Anwalts, der besagt, dass das Notizbuch dir gehört. Lasst uns einfach das Anwesen von Sir Arthur Conan Doyle besuchen.«

Dan hielt einen Finger hoch. »Äh, ja, dazu gibt es etwas zu sagen – wir haben den Nachlass von Doyle recherchiert, und um es kurz zu machen: Das Anwesen gibt es nicht mehr. Sein ehemaliges Zuhause, das Windlesham Manor, ist jetzt ein gottverdammtes Altenheim.«

»Denkt ihr, was ich denke?«, fragte Steve kichernd. »Wenn da nur Rentner wohnen, wird es wenig Widerstand geben, wenn wir dort ein bisschen graben.«

Dan seufzte. »Wenn es doch nur so einfach wäre. Windlesham Manor steht auf einem acht Hektar großen Grundstück, also 80.000 Quadratmeter. Da gibt es jede Menge Platz, um etwas unter der Erde zu verstecken.«

»Meine Güte, das ist ja fast unmöglich«, sagte Emma mit offenstehendem Mund.

Dan nickte schmallippig. »Wir brauchen also entweder mehr Hinweise, um die richtige Stelle zu finden, oder wir brauchen eine Genehmigung des Eigentümers, um uns genauer umzuschauen – und das könnte dauern.«

Steve schaute auf. »Ich habe eine Freundin da drüben – die Zoologin, die ich schon erwähnt hatte. Die könnte uns da reinbringen. Aber wie du schon sagtest, im Endeffekt brauchen wir mehr Hinweise, um das Gebiet einzugrenzen.«

Ben fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Ich kann ja noch mal einen Blick auf die Familiengeschichte der Cartwrights werfen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich noch etwas Hilfreiches finde.«

»Nun ja, lasst es uns mal logisch durchdenken.« Dan verschränkte seine Hände auf der Tischplatte. »Du hast uns gesagt, dass Doyle das Buch so viel bedeutet hat, dass er nicht wollte, dass es verloren geht. Deswegen hat er es behalten, statt es einfach an das Anwesen deines Vorfahren zurückzuschicken, weil er nicht wusste, wer es dann in die Finger kriegen würde und ob diese Person seine Wichtigkeit zu schätzen weiß. Stimmt's?«

»Ich schätze schon«, antwortete Ben.

»Also, wenn es ihm derart viel bedeutet hat, würde er wollen, dass es sicher ist, aber sich auch in seiner Nähe befindet. Von daher sagt mir mein Bauchgefühl, dass es sich sehr nah am Gebäude befinden wird. Also denke ich nicht, dass unser Suchbereich so groß sein wird.«

»Das klingt ja schon etwas vielversprechender.« Emma strahlte.

»Macht Sinn«, fügte Ben hinzu.

»Aber im Prinzip ist es auch egal.« Dan grinste spitzbübisch. »Ich habe nämlich unsere Flüge schon gebucht!«

»Um Himmels willen!« Ben verkrampfte sich. »Für wann denn? Ich habe meiner Mom noch gar nichts davon erzählt!«

Steve kicherte. »Was, bist du erst 12 Jahre alt?«

»Übermorgen, Freitag früh.« Dan breitete seine Arme aus. »Jetzt oder nie, Kumpel.« Dann wandte er sich Steve zu und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Du kontaktierst deine Freundin in England und sagst ihr, dass wir kommen. Finde heraus, ob sie uns eine Einladung zu dem Anwesen besorgen kann. Ihr anderen packt, lasst euch impfen und sucht eure Reisepässe.«

Emma schnaubte. »Ich fühle mich auf einmal wie Dorothy im Zauberer von Oz, als sie von dem Tornado eingesaugt und fortgetragen wird.«

Ben lachte. »Immerhin haben wir ein paar Tage Zeit, und ich glaube, Mom wird noch einen zweiten Kuchen brauchen, wenn ich ihr das sage.«

Emma erwiderte sein Grinsen. »Klar, aber sie wird sich schnell beruhigen, wenn sie hört, dass ich auf dich aufpasse.«

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