Читать книгу PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt - Greig Beck - Страница 19

Kapitel 12

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Das Notizbuch lag aufgeklappt vor ihnen auf dem Tisch. Für mehr als nur einen Augenblick starrten sie alle fassungslos darauf.

Schließlich schaute Dan auf. »Ich sage, wir legen los … und zwar sofort!« Seine Augen glänzten.

»Wir sind noch nicht bereit«, meinte Steve.

»Und wie genau soll man sich auf so etwas vorbereiten?« Dan schaute in die Runde. »Wir sind alle hier, wir sind startklar, und ich kann diese Expedition bezahlen.« Er deutete auf Emma und dann reihum auf alle anderen. »Wir haben eine Kletterexpertin, einen Militärexperten, einen Handelsexperten …« Er schaute Andrea an, lächelte und ging dann direkt zu Jenny weiter. »Wir haben sogar eine Zoologin!«

»Dan, du kannst nicht einfach in den Amazonasdschungel ziehen, als würdest du ein Picknick im Central Park planen. Genau so kommen Trottel wie wir ums Leben.« Ben seufzte. »Ich war mal kurz in der Gegend und es ist eine gottverdammte grüne Hölle.«

»Tja, ich war sogar schon öfter da«, sagte Jenny. »Wir arbeiten mit den Einheimischen im Bereich der artgerechten Unterbringung von Tieren.«

»Na also!« Dan reckte siegessicher die Faust in die Luft. »Damit wäre die Sache geklärt!« Er lehnte sich zurück.

»Und was man auch nicht vergessen darf: Sagtest du nicht, das Zeitfenster beträgt nur eine Woche oder so? Und dass es bald wieder soweit ist?« Steve zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es nur einmal pro Generation eine bestimmte Flut, die den Weg freimacht, oder eine Trockenheit, die einen Zugang möglich macht, oder vielleicht irgendeine seltene Blume, deren Blüten den Weg weisen. Allein schon der Gedanke daran macht mich ganz verrückt. Tja, und wenn sich erst wieder in zehn Jahren eine solche Chance bietet …« Er zog die Schultern noch höher.

»Jetzt oder nie«, sagte Emma mit verklärter Stimme.

Ben hatte seine Ausgabe von der »Vergessenen Welt« auf den Tisch gelegt, die inzwischen ausgepackt war. Er faltete seine Hände, während er den Blick von einem zum anderen schweifen ließ.

Selbst von seinem Platz aus konnte er den Geruch des jahrzehntealten Papiers wahrnehmen. Das Bündel, welches sie aus dem Windlesham Manor entwendet hatten, war längst ausgepackt. Unter dem Stoff hatte sich eine Schicht Wachspapier befunden. Nachdem er diese vorsichtig entfernt hatte, war das uralte, ledergebundene Notizbuch zum Vorschein gekommen. Es maß in etwa dreißig mal fünfundzwanzig Zentimeter, war neun Zentimeter dick und zum Platzen gefüllt. Der Einband war zerdellt und eingerissen, ganz offensichtlich war das Buch zu seiner Zeit in täglichem Gebrauch gewesen. Es waren sogar dunkle Flecken auf dem Leder, die er durch seine Militärerfahrungen eindeutig als Blutspuren erkannte.

Und dann waren da die Gerüche: Das Notizbuch strahlte den Duft von Öl, Papier und Pflanzenrückständen aus, vielleicht sogar einer Art von Harz. In den Umschlag waren Initialen geprägt: B. B. C. – Benjamin Bartholomew Cartwright, sein Ururgroßvater.

Er öffnete es – im Innenumschlag klemmten ein paar lose Seiten, einige getrocknete Pflanzen und sogar der Flügel eines großen Schmetterlings, der immer noch strahlend blau leuchtete und höchst fragil aussah.

Jenny lehnte sich nach vorn und murmelte: »Morpho Peleides – der blaue Morphofalter, manchmal auch der Saphir des Amazonas genannt.«

»Er ist wunderschön«, flüsterte Andrea.

»Und so groß!«, fügte Steve hinzu.

Bens meinte: »Damals gab es offensichtlich noch keine Einfuhrbestimmungen für seltene Tierarten!«

Jenny nickte. »Ich habe hier auch nichts gesehen, denn sonst müsste ich dieses Fundstück zerstören oder melden. Ich hoffe nur, dass etwaige Parasiten, die sich auf dem Flügel befinden könnten, lange tot sind.«

Ben setzte seine Untersuchung fort. Daten und Notizen verrieten ihm, dass es sich hierbei tatsächlich um die verschwundenen Aufzeichnungen der fatalen Expedition in Venezuela aus dem Jahre 1908 handelte. Vom Schreibstil früherer Generationen war Ben schon immer fasziniert gewesen – ihre Handschrift war sowohl präzise als auch schön, fast schon Kalligrafie, wogegen seine Sauklaue eher aussah wie die Hieroglyphen eines Arztes auf einem Rezept.

Ben nippte an seinem Tee, verzog aufgrund des bitteren Geschmacks das Gesicht und blätterte dann vorsichtig eine weitere Seite um. Emma zog ihren Stuhl heran, um sich neben ihn zu drängen. Auf seiner anderen Seite stand Andrea, während Steve, Dan und Jenny ebenfalls die Köpfe reckten, um mitlesen zu können.

»Diese Menschen«, setzte Emma an, »waren alle Künstler! So viele Talente!«

»Allerdings«, antwortete er, während er die realistische Zeichnung eines Dampfschiffes betrachtete. Daneben standen die Eckdaten der Reise nach Caracas, die er und der Geldgeber der Unternehmung, Douglas Baxter, unternommen hatten. Von dieser südamerikanischen Stadt aus mussten sie mehrere Wochen auf dem Rücken von Pferden verbringen, bis sie den kleinen Ort Zuata erreichten. Dort hatten sie ihre ortskundigen Helfer getroffen – Pemon-Indianer hatte Benjamin sie genannt und eine Zeichnung von einem Dutzend ernst aussehender junger Männer hinzugefügt, die ihre schwarzen, glatten Haare wie Helme trugen und eine Art Kriegsbemalung im Gesicht hatten.

Ben blätterte um und sah, dass die Tinte auf der folgenden Seite verwischt war, anscheinend von einer Art Harz. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der Amazonasdschungel damals gewesen sein muss, im Jahre 1908.« Er las weiter und gab die Geschichte an seine Freunde weiter: »Von dort machten sie sich in ein unerforschtes Gebiet des Regenwaldes auf, um ein verstecktes Plateau zu finden, das nach Benjamins eigenen Worten alles infrage stellen würde, was wir über Biologie und Evolution wissen.«

»Verstecktes Plateau«, las Dan über seine Schulter hinweg. »Oh, Mann!«

Ben nickte. »In einem Land, verborgen unter einer immerwährenden Wolke – hm, vielleicht ist das diese Sache mit der feuchtesten Regenzeit.« Er drehte das Notizbuch in Emmas Richtung. »Tolle Zeichnung.«

Auf der Seite befand sich eine Bleistiftskizze von Benjamin Cartwrights Jägerfreund Baxter, der durch einen Fluss watete und dabei sein Gewehr hoch über den Kopf hielt, damit es trocken blieb. Selbst in dieser schnell gemachten Skizze hatte Benjamin einen Gesichtsausdruck eingefangen, der absolut entschlossen wirkte. Die Augen des Mannes starrten nach vorn, wobei sein Blick fast so beeindruckend war wie sein dichter Schnauzbart.

Ben legte das ledergebundene Buch wieder auf den Tisch. »In den späteren Ausgaben von Doyles Geschichte waren immer weniger Zeichnungen enthalten. Doch die ersten Ausgaben enthielt eine Menge Tuschezeichnungen, die ganz offensichtlich aus diesem Notizbuch kopiert worden waren.«

Vorsichtig öffnete er seine 1912er Ausgabe der »Vergessenen Welt« und blätterte durch die Seiten, bis er gefunden hatte, was er suchte. Er legte das Buch offen neben das Notizbuch.

Es war eine Zeichnung der Romanfigur Lord Roxton, der genauso aussah wie Douglas Baxter und die gleiche Pose eingenommen hatte. Für den Druck war diese Zeichnung deutlich stilisierter, doch die Ähnlichkeit war atemberaubend.

Ben blätterte zurück zu der Widmung von Sir Arthur Conan Doyle.

»An meinen guten Freund Benjamin Cartwright – Deine Erlebnisse haben meine Fantasie beflügelt, und dies ist das Ergebnis.« Er rieb sich das Kinn. »Hatte Doyle das also wörtlich gemeint – dass Benjamin vor über 100 Jahren wirklich das gemacht hat, was er in seinem Roman beschreibt?«

»Ja, ja, natürlich!«, rief Dan mit eindringlicher Stimme. »Hier ist der Beweis, direkt vor deiner Nase!«

»Ich weiß nicht.« Ben bemerkte ein gefaltetes Stück Papier in dem Notizbuch und schlug es auf. Er schaute es einen Moment an, bevor er abfällig grunzte. »Und was sagt eine moderne Zoologin dazu?« Er schob es Jenny hin.

Sie warf einen Blick auf die Zeichnung und ihre Mundwinkel wanderten nach unten. Es war eine fantastische Darstellung des Dschungels im Regen, die kräftigen Striche fingen die tropfnasse Vegetation perfekt ein. Doch sie diente nur als Rahmen für das eigentliche Sujet des Bildes: Durch ein tunnelartiges Portal aus Pflanzen fiel der Blick auf eine tote Kreatur, die auf dem Boden lag.

Jenny las sich die Bildunterschrift des Künstlers durch: »Unbekannter Dinosaurus.« Sie hob langsam ihren Blick. »Ein gottverdammter unbekannter Saurier.« Sie grinste Dan an. »Wenn ihr fahrt, komme ich auf jeden Fall mit.«

»Ich bin auch dabei«, sagte Steve.

»Ich auch«, stimmte Andrea mit ein. »Dieses Abenteuer wird mich berühmt machen!«

Emma hob eine Hand und grinste Ben verschwörerisch an. »Berühmt zu werden interessiert mich weniger, aber meine Neugier würde mich umbringen, wenn ich nicht mitkommen würde.«

»Um Himmels willen!« Ben lehnte sich zurück. »Dabei könnten wir alle sterben! Ich will nicht verantwortlich sein, wenn …«

»Ich spreche nur für mich, und ich bin auch ganz allein verantwortlich für mich«, sagte Jenny. »Ben, selbst wenn die Chance, dass etwas Wahres an der Sache dran ist, nur eins zu einer Million ist, dann müssen wir es nachprüfen. Und wenn es, wie du sagst, in jeder Generation nur ein kleines Zeitfenster gibt, worauf warten wir dann noch? Oder willst du lieber erst als Mittvierziger aufbrechen?« Sie verschränkte die Arme. »Und noch etwas … die Pemon-Indianer gibt es immer noch und sie werden auch immer noch als Führer benutzt. Ich kann es einfädeln, dass sie uns begleiten.«

»Es passt einfach alles zusammen!« Dans Lächeln wurde noch breiter.

Emma wischte sich die Haare von der Stirn. »Das ungeduldige Kind in mir sagt, wir müssen sofort aufbrechen. Die etwas kritischere erwachsene Stimme in mir fragt sich allerdings, ob wir das Plateau wirklich mit nur ein paar Notizen finden können?«

Ben lehnte sich nach vorn und blätterte erneut vorsichtig durch die Seiten, diesmal zuerst in der »Vergessenen Welt«. Er kam bei einer handgezeichneten Landkarte an. Dann machte er das gleiche mit dem Notizbuch und fand die gleiche Karte. »Ein paar Notizen und das hier.«

Die Karte in dem Notizbuch war überraschend detailliert. Sie war sogar mit Längen- und Breitengraden versehen. Er blätterte weiter. »Das hier, und das, und das.« Es gab weitere Karten, jede von ihnen so detailliert wie die erste.

»Oh mein Gott«, japste Jenny. »Das kann klappen. Es kann wirklich klappen!«

Ben nickte. »Die Karten in dem Buch und die von Benjamin sind nicht identisch. Anscheinend hatte Doyle beschlossen, einige Dinge geheim zu halten.«

»Heilige Scheiße«, sagte Steve. »Also wusste er, dass es wahr ist!«

Ben verschränkt seine Finger ineinander und legte die Hände auf den Tisch. »Wenn wir das machen, dann ziehen wir es aber wie eine militärische Operation auf, okay?«

Alle stimmten enthusiastisch zu.

»Ich war schon auf einigen Missionen im Dschungel und es ist wirklich harte Arbeit. Wir werden einen genauen Plan brauchen und auch eine Menge Ausrüstung.«

»Die besorge ich«, sagte Dan. »Du musst mir nur einen Einkaufszettel geben.«

»Ich helfe mit«, sagte Steve.

»Ich auch«, stimmte Emma ein.

»Ich stelle Kontakt zu meinen Freunden in Venezuela her und sage Bescheid, dass wir ortskundige Führer und Transportmittel brauchen.«

Andrea lächelte. »Und ich rufe meinen Agenten an. Das wird ein Spaß!«

Ben seufzte und legte seine Hand auf das Buch. »Ich muss das hier alles analysieren und sämtliche wichtigen Informationen herausschreiben.«

Die Gruppe verstreute sich schnell, alle waren hochmotiviert, sich um ihre Aufgaben zu kümmern.

Ben ging rauf in sein Zimmer, setzte sich aufs Bett und zog die Schuhe aus. Er formte die beiden Kissen zu einem Berg zusammen und stopfte sie unter seine Schultern. Dann begann er zu lesen.

Die Beschreibungen und Zeichnung wurden in seinem Kopf lebendig und transportierten ihn direkt zurück ins Jahr 1908, zu jener verhängnisvollen Expedition.

PRIMORDIA - Auf der Suche nach der vergessenen Welt

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