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„Wir bitten nicht, wir fordern“

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Asyl im Theater

Patrick Primavesi (Universität Leipzig)

Griechische Tragödien bearbeiten immer wieder das Fremdsein in einer anderen oder auch in der „eigenen“ Kultur als existenzielle Krise. Für das antike Publikum, Angehörige der vielen griechischen Stadtstaaten des 5. Jhs. v. Chr., war die Erfahrung noch allzu vertraut, als Fremde schon in einer benachbarten Stadt keine bürgerlichen Rechte mehr zu haben. Dem entsprach die Darstellung von Flüchtigen und Schutzsuchenden, auch wenn die in den Tragödien behandelten Mythen sehr unterschiedliche Gründe für Flucht und Heimatlosigkeit enthalten. Bereits in der antiken Tragödie wird die Frage nach der Unantastbarkeit des bloßen und rechtlosen, weil von seiner kulturellen Form getrennten Lebens aufgeworfen, die Giorgio Agamben in seinen Studien zum Homo sacer als ein Leitmotiv der (bio)politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart untersucht hat.1 Die Tatsache, dass der Status des Menschen und die ethischen Werte der modernen westlichen Welt durch Vertreibung und Flucht im rechtlichen Ausnahmezustand hinfällig erscheinen, bringt gegenwärtig wieder mehr Theatermacher*innen dazu, an einem Theater der Tragödie weiter zu arbeiten. Das lange nicht gespielte Stück Hiketiden (Die Schutzflehenden) von Aischylos ist damit wieder präsent, in vielen neueren Inszenierungen oder Bearbeitungen. Wie im Folgenden gezeigt wird, provoziert dieser Text gegenwärtig eine Überschreitung theatraler Konventionen, bis hin zur Öffnung des Theaters als Asyl. Erneut stellt sich die Frage nach dem (un)möglichen Ort der Tragödie in der heutigen Gesellschaft. Dass diese Frage besonders die Instanz des Chores betrifft, wird exemplarisch an einem Anfang der 1990er Jahre entwickelten, aber nur in Teilen realisierten Projekt des Malers, Autors und Regisseurs Einar Schleef zu diskutieren sein.

Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart

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