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Einleitung

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Silke Felber (Universität Wien), Wera Hippesroither (Universität Wien)

Spätestens seitdem Weltgesundheits- und Wirtschaftskrisen, Terrorbekämpfung, Massenflucht und Migration gravierende globale Herausforderungen darstellen, erweist sich die von der Theaterwissenschaft bereits seit geraumer Zeit postulierte Wiederkehr des Tragischen im Theater der Gegenwart1 als unübersehbar. Die inflationäre Bezugnahme auf Aischylos, Sophokles und Euripides mag auf den ersten Blick erstaunen, tatsächlich aber verweist sie auf ein wiederkehrendes Phänomen. Folgt man Walter Benjamin, so erfreuen sich Tragödienbearbeitungen insbesondere in „Zeiten des Verfalls“2 großer Beliebtheit. Ebenjenem Verfall scheint auch die dramaturgische Partikularität der Fragmentiertheit geschuldet, die wir angesichts der gegenwärtigen produktiven Rückgriffe auf das Tragische ausmachen können. So zeichnen sich aktuelle Befragungen des Tragischen tendenziell durch einen zersetzenden oder aber schichtenden Umgang mit den antiken Referenztexten aus. Die alten Texte werden überschrieben, gesampelt, mit anderen sogenannten „Klassikern“ quergelesen oder aber radikal verdichtet. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang etwa an Arbeiten von Volker Braun (Demos. Die Griechen. Die Putzfrauen, 2015), Anne Carson (Antigonick, 2012), Elfriede Jelinek (Am Königsweg, 2017 und jüngst Schwarzwasser, 2020), Ewald Palmetshofer (die unverheiratete, 2014), Yael Ronen (Antigone, 2007), Roland Schimmelpfennig (Die Bakchen, 2016) oder Lot Vekemans (Zus van, 2005). Zudem stechen Stückentwicklungsprozesse ins Auge, die sich aus der kombinierenden Befragung unterschiedlicher (historischer) Tragödienbearbeitungen konstituieren, wie es etwa Produktionen von Felicitas Brucker (Ödipus, 2015), Romeo Castellucci (Ödipus der Tyrann, 2015), Jan Fabre (Mount Olympus, 2015), Stephan Kimmig (Ödipus Stadt, 2012), Martin Kušej und Albert Ostermaier (Phädras Nacht, 2017), Ersan Mondtag (Iphigenie, 2016), René Pollesch (Bühne frei für Mick Levcik!, 2016) oder ZinA Choi (Iphigenia in Exile, 2016) tun.

Wie aber wird das Tragische aktuell in den Aufführungskünsten erfahrbar gemacht? Welche ästhetischen Verfahren und künstlerischen Praktiken kommen dabei zum Einsatz? Wie verhalten sich gegenwärtige Tragödien-Befragungen zum „Gestus einer allegorischen Zertrümmerung des antiken Vorbilds“,3 der den Tragödienfragmenten Hölderlins, Kleists und Büchners eingeschrieben ist? Wie gehen das Theater und die dafür entstehenden Texte in der Nachfolge Einar Schleefs ganz aktuell mit der „verschütteten Geschichte des Chors“4 um und welche Rückschlüsse lassen sich daraus hinsichtlich eines Denkens von Gemeinschaft und Individuum ableiten? Wie wirkt sich die gegenseitige Einflussnahme von performativer Praxis und philosophischer Theorie in Hinblick auf den Tragödienbegriff aus? Eignet sich der Terminus des Postdramatischen noch für die Beschreibung gegenwärtiger künstlerischer Auseinandersetzungen mit dem Tragischen?

Die hier skizzierten Überlegungen bildeten den Ausgangspunkt einer interdisziplinär angelegten Tagung, die Expert*innen und Nachwuchswissenschafter*innen aus den Bereichen der Theater- und Tanzwissenschaften, der Literaturwissenschaften und der Philosophie im Herbst 2017 in Wien versammelte. Die Veranstaltung war Teil des FWF-Projekts Dramaturgies of the (Dis-)Continuative und wurde in Kooperation mit dem Forschungszentrum S:PAM (Studies in Performing Arts and Media) der Universität Gent, dem Künstlerhaus Wien und dem Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien ausgetragen. Ausgewählte Beiträge dieser Tagung sind in diesem Band enthalten.

Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart

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