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IV Reduktion und komponierte Interpretation
ОглавлениеBei alledem ist das Emphatische und (Über-)Pointierte, zu dem einige der intertextuellen Momente beitragen, bei Kurtág nicht denkbar ohne den Habitus der Konzentration und Verdichtung. Dieser schon herausgestellte Gegenpol zur expressiven Seite legt noch einzelne weitere Überlegungen nahe, um von hier aus wenigstens kurz auch auf das Musiktheaterwerk Fin de partie zu sprechen zu kommen.
In gewisser Weise schreibt sich Kurtágs Musik seit dem 1. Streichquartett gerade in jene Tradition reduktionistischer Strategien ein, die vom Verzicht auf ausladende Dimensionen, üppige Klangentfaltungen oder strukturelle Komplexität getragen sind. Bestimmt von stilistisch durchaus unterschiedlichen Prägungen kann diese Tradition – vielleicht sollte man eher von einem Bündel von Traditionen sprechen – zu den wesentlichen Strömungen der Neuen Musik gerechnet werden. Gemeint sind damit musikalische Situationen oder Konzepte, in denen Momente von Enthaltsamkeit zum Tragen kommen. In vielen Fällen geht diese Haltung, die zuweilen mit spirituellen Tönungen verbunden ist, mit stark reduzierter Ereignisdichte einher. Oft aber – und gerade bei Kurtág – verbindet sie sich mit einer hierzu gegenläufigen Tendenz, nämlich mit großer Verdichtung, ausgefeilter Schattierung oder sogar dramatischer Aufladung von Klängen. Fragt man nach Motiven für die in stilistisch sehr unterschiedlichen Teilen der Gegenwartsmusik wichtige Grundtendenz der musikalischen Reduktion, gelangt man unschwer zu der Einsicht, dass sich der Habitus des Verzichts auf glanzvolle, monumentale, unterhaltsame oder souveräne Tönungen in vielen Fällen als bewusste Negation der im Konzertbetrieb so präsenten Neigung zu Eingängigkeit sowie zum Spektakulären deuten lässt. In diesem Kontext kann es besonders plausibel und herausfordernd erscheinen, sich auf Weniges und auf kaum Greifbares zu beschränken. Die Tendenz zur Reduktion meint in Kurtágs Komponieren, im Gegensatz zu manchen anderen Beispielen etwa aus der Feder von Arvo Pärt, Morton Feldman oder Alvin Lucier, dass Musikstücke gewissermaßen als Gegenpol zu aller Überschaubarkeit und Konzentration eine gewisse Mannigfaltigkeit klanglicher oder sogar gestischer Gestaltungen aufweisen können und dabei eine energetische, jeder Form von Simplizität widersprechende Klangauffassung verraten. Gleichsam unter der Oberfläche einer bewusst limitierten erzählerischen Dimension kann sich ein enorm intensives, brodelndes, oft überdies durchaus komplexes Spiel emotionaler Schattierungen entfalten.40
Im Falle Kurtágs hat die reduktionistische Tendenz des Komponierens außer mit spezifischen musikalischen Erfahrungen wie besonders der Entdeckung Weberns sowie mit dem Impuls der Psychologin Marianne Stein gewiss auch mit der Begegnung mit Literatur zu tun. Namentlich die intensive Auseinandersetzung mit Samuel Beckett ist hierfür ein wichtiges Beispiel. Dabei begegnete Kurtag Becketts Werken gerade in der Zeit seines ersten, für sein Komponieren so enorm folgenreichen Aufenthalts in Paris – wo er die Uraufführungsproduktion von Fin de partie erlebte.
Mehr als 60 Jahre später, im November 2018, wurde in Mailand eine erste Version der gerade auf diesen Text bezogenen einzigen Oper Kurtágs uraufgeführt. Und es liegt nahe, dieses zwischen 2010 und 2017 komponierte Werk im Horizont des sechs Jahrzehnte zuvor erfolgten Neuanfangs zu betrachten. Gewiss ist Kurtágs Komponieren mittlerweile erheblich ausgefeilter, verfeinerter, kompakter und zugleich souveräner als sein damaliges Op. 1.41 Aber einige wesentliche Merkmale, vor allem die Tendenz zur Verdichtung und die daraus resultierende besondere Intensität, sind doch geblieben. Und zum Charakter des emphatischen chef-d’œuvre, den Kurtág der Beckett-Oper selbst zuerkannte, trägt der damalige Impuls gewiss wesentlich bei.
Denkt man beim Hören von Kurtágs Stück an den reduktionistischen Ansatz, mit dem der im selben Jahr wie er geborene Morton Feldman einst in seinem viel beachteten Musiktheaterstück Neither (1977) auf Beckett reagierte,42 mag man überrascht, womöglich enttäuscht sein. Denn in ähnlicher Weise, wie Kurtág auf Webern reagierte, nämlich mit einer Akzentuierung von Klängen und Gesten, die über Webern hinausgehen und eher an Bartók oder Mahler erinnern, wird von ihm auch Beckett in ein Klanggewand gebracht, das eher auf Vielfalt als auf Kohärenz oder gar Einheitlichkeit zielt. Debussy- oder Mussorgsky-Anklänge, aber sogar auch konkrete Anspielungen auf Walzer, Marsch, Tango oder Organa gehören an vielen Stellen ebenso zum Arsenal dieser Oper wie klassisches Singen. Die für Kurtág schon seit Jahrzehnten charakteristischen aphoristischen Setzungen prägen jedoch auch in diesem in 14 Szenen aufgefächerten Werk das klangliche Gesamtbild. Ausdruckswerte im Bereich des Abgründigen, Dunklen und Rätselhaften werden dabei favorisiert. Wie schon in den großen Vokalzyklen des Komponisten wird hier ein obsessiv anmutendes Wechselspiel zwischen der Stauung von Spannung und deren Entladung entfaltet. Ähnlich wie in den Kafka-Fragmenten erwächst daraus eine ganz spezifische, zum Teil uneigentlich wirkende Dramatik, die das plötzlich aufblitzende Pointieren genauso kennt wie das ebenso plötzliche Herunterblenden oder gar Suspendieren von Expressivität. Das Spiel mit Schattenhaftem sowie mit Erinnerungsspuren ist erneut Kurtágs Lieblingsspiel. Dessen obsessive Seite mag es nahelegen, an Schillers einschlägige Definition des Spiel-Begriffs zu denken, zeigt aber zudem eine durchaus substanzielle Geistesverwandtschaft mit Beckett. Diese Oper ist in diesem Sinne vor allem eines: eine Beckett-Hommage – im kompletten Werktitel Samuel Beckett: Fin de partie, scènes et monologues, opéra en un acte klingt das unüberhörbar an.
Doch ästhetische Konvergenz oder gar Homogenität resultiert, das sei nochmals herausgestellt, aus Kurtágs Beckett-Rezeption genauso wenig wie aus seiner Webern-Rezeption. Denn das Lapidare, Karge und Humorvolle in Becketts originalem Theaterstück kehrt die obsessive Seite gewiss ganz anders hervor, ist von einer anderen Art der Zurückhaltung, einem anderen Grundhabitus erfüllt als Kurtágs üppigere und komplexere Adaption, deren Differenz zu Feldmans Beckett-Oper tatsächlich sehr groß ist. Man mag bei Kurtágs Fin de partie insofern an jene Form der »komponierten Interpretation« denken, wie sie etwa Hans Zender (mit dem Kurtág viele Jahre fast freundschaftlich verbunden war) durch seine kompositorischen Reflexionen von Schuberts Winterreise und von Beethovens Diabelli-Variationen ausgeprägt hat. Beide Reflexionen sind geleitet von der Überzeugung, einem Original, das als Inkunabel der abendländischen Kultur verstanden werden kann, nicht dadurch gerecht zu werden, dass man sich dessen Ästhetik anschmiegt, sondern dass man ihm Kontraste und Brechungen entgegensetzt, womöglich auch Sprachmittel späterer Zeiten.43 Die beim Umgang mit Weltliteratur gewiss unvermeidliche Frage, was durch die klangliche Seite hinzugefügt oder »gewonnen« wird, kann man im Falle von Kurtágs Oper mittels der Idee einer komponierten Interpretation vielleicht am besten beantworten. Dafür spricht im Falle dieses Werkes, dessen Gestaltung durch dieses Konzept des zehn Jahre jüngeren Kollegen womöglich sogar ermutigt wurde,44 außer den Resonanzen anderer Musik besonders auch die Integration des 1976 entstandenen Beckett-Gedichts Roundelay. Dieses ist in englischer Sprache gehalten und wirkt hier umso mehr wie ein »objet trouvé«, wie ein absichtlicher Fremdkörper. Doch Abweichungen vom Habitus des Originals sind auch auf anderen Ebenen erfahrbar. Das relativiert die bei der Uraufführung stark wahrgenommene traditionelle Seite, zu der es gehört, dass Kurtág, verglichen mit vielen anderen Komponisten seiner Generation, offenkundig deutlich weniger Scheu hat, auch Weltliteratur von unbestreitbarem Rang singend darzubieten.45
Der Eindruck des fein Gemeißelten, Exquisiten und zugleich Magischen lässt in Fin de partie, da er von einer permanenten Rätselhaftigkeit grundiert ist, zuweilen an jene berühmte, von duftigem Nebel erfüllte Sfumato-Technik von Leonardo da Vinci denken. Dieses Navigieren im Ungefähren oder Imaginären ist durchaus als Modus der Abweichung vom Traditionellen zu werten. Nicht leicht ist bei alledem allerdings die musikalische Darbietung. Das musikalische Sfumato dieses Stückes erscheint schutzlos gegenüber der Versuchung, es durch breiten Pinselstrich zu übergroßer Kenntlichkeit zu bringen. Dies deutet in diesem Falle wie auch bei anderen Werken von Kurtág auf die Gefahr, die emphatischen und suggestiven Momente, die von den Anspielungen auf die europäische Musiktradition ausgehen, um sie doch in Schwebezustände zu versetzen, zu forcieren und das Ganze zu konventionell und eindimensional erscheinen zu lassen. Gerade diese Gefahr, die insgesamt mehr als bei der Musik vieler anderer Komponisten besteht, dürfte Kurtág bereits seit Jahrzehnten dazu motiviert haben, mit den Ausführenden mit äußerster Akribie und manchmal geradezu unerbittlicher Strenge zu proben, um alles Pauschale zu überwinden.
György Kurtág zielt beim Komponieren beharrlich auf Zwischenräume zwischen reduzierten, offenen und abstrakten Elementen einerseits und den Resonanzen (oder manchmal bloß vagen Schatten) der Tradition andererseits. Etabliert er damit, wie man zuweilen über ihn liest, einen »dritten Weg« zwischen einer musikalischen Avantgarde und einer Tendenz zu konservativem Komponieren? Angesichts der ebenso ungewöhnlichen wie perspektivenreichen konzeptionellen Ähnlichkeiten mit so vielen höchst unterschiedlichen Ansätzen der europäischen Musik, vor allem jener nach 1950, erscheint seine Musik weit eher als Exempel dafür, dass Dichotomien für den Umgang mit neuerer und neuester Musik wenig hilfreich sind. Gehen doch die auf ihnen basierenden Beschreibungsversuche zumeist von viel zu eindimensionalen Erfahrungshorizonten aus – und damit an der klingenden Realität sowie an den Potenzialen, der Vielfalt und den besonders inspirierenden Momenten wichtiger Positionen der Gegenwartsmusik schlichtweg vorbei. Kurtágs Musik ist vom Bewusstsein gerade dieser fruchtbaren Pluralität, die viel mehr mit Verknüpfungen und Verwandlungen als mit Abgrenzungen zu tun hat, unüberhörbar durchdrungen. Und sie lädt in besonderem Maße zur Reflexion über diese so wichtige, für die Entwicklung und Entfaltung der Neuen Musik seit 1950 essenzielle Dimension der europäischen Tradition ein.
1 Brief aus dem Jahre 1796 an Andreas Streicher, in: Ludwig van Beethoven. Briefwechsel, Gesamtausgabe, hrsg. im Auftrag des Beethoven-Hauses Bonn von Sieghard Brandenburg, Bd. 1, München 1996, S. 32. — 2 Friedrich Schiller, »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen«, in: Schiller-Nationalausgabe, Bd. 20: Philosophische Schriften. Erster Teil, hrsg. von Benno von Wiese, Weimar 1962 (Unveränderter Nachdr. 2001), S. 382 (22. Brief). — 3 Vgl. seinen Hinweis auf diese Stücke (einschließlich der Pathétique genannten Klaviersonate Nr. 8) im Gespräch mit B. A. Varga, in: »Drei Fragen an György Kurtág«, in: György Kurtág. Drei Gespräche mit Bálint András Varga und Ligeti-Hommagen, hrsg. von Bálint András Varga, Hofheim 2010, S. 16–25, hier S. 21. Und vgl. zu Beethoven: Hans-Joachim Hinrichsen, Ludwig van Beethoven. Musik für eine neue Zeit, Kassel – Stuttgart 2019. — 4 Gerade an diesem Punkte berühren die Parallelen zwischen Kurtágs Komponieren und dem von Lachenmann den Horizont, den Beethovens Werk eröffnete. Freilich ist zu ergänzen, dass es zwischen den beiden Komponisten (die seit Jahrzehnten gut miteinander bekannt sind, in ihren in der Basler Sacher-Stiftung aufbewahrten Briefen ist sogar oft von Freundschaft die Rede) auch deutliche Unterschiede gibt: Erstens wird in Lachenmanns Werk noch dezidierter Beethovens Idee einer Verschränkung von Formaufbau und Form-Dekonstruktion aufgegriffen (und dabei zugespitzt); zweitens kommen darin noch viel stärker Brechungen des »besetzten« Materials und seiner Aura zum Zuge, um so im emphatischen Sinne Erkenntnisprozesse anzuregen. — 5 Ein Beispiel ist das aus dem Konzept eines Solowerkes für Gitarre entwickelte Orchesterwerk Grabstein für Stephan (1978/79/89); v. a. in der Fassung für Orchester mit Solo-Gitarre ist die Spannung zwischen Intimität und einem orchestralen Habitus deutlich erfahrbar. — 6 Näheres hierzu in meinen Beitrag »Hören und Komponieren im Spannungsfeld von Innerlichkeit und Öffentlichkeit«, in: ÖFFENTLICHprivat. (Zwischen)Räume in der Gegenwartsmusik, hrsg. von Jörn Peter Hiekel, Mainz 2020 (= Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt, Bd. 60), S. 10–33. — 7 Vgl. György Kurtág, »Laudatio auf György Ligeti«, in: Varga (Hrsg.), György Kurtág (Anm. 3), S. 158. — 8 Jürg Stenzl, Luigi Nono, Reinbek 1998, S. 94. — 9 Luigi Nono, [Kommentar zu] Fragmente – Stille. An Diotima, Partitur des Werkes, Ricordi Verlag 1980. — 10 Vgl. etwa Heinz-Klaus Metzger, »Wendepunkt Quartett?«, in: ders./Rainer Riehn (Hrsg.), Luigi Nono, München 1981 (= Musik-Konzepte, Bd. 20), S. 93–112. — 11 Zit. nach Jürg Stenzl, »György Kurtágs Mikrokosmos«, in: Booklet zur CD György Kurtág. Musik für Streichinstrumente, ECM 1598 (München 1998), o. S. Gruppen blieb für ihn (ähnlich wie für Lachenmann) auch später ein zentrales Werk. — 12 György Ligeti, zit. nach Ove Nordvall, György Ligeti. Eine Monographie, Mainz 1971, S. 41. Das Folgende ebd. — 13 Vgl. Kurtág, »Laudatio auf György Ligeti« (Anm. 7), S. 160. — 14 Vgl. ebd., S. 152: »Ich erlebe das Werk als den ersten echten Ligeti – von einer Dichte des Geschehens, Direktheit der Aussage, feiner Balance zwischen Humor und Tragik, die sogar verglichen mit der späteren Entwicklung mir unübertroffen scheinen.« Überdies kann man auch Kurtágs Blick auf Stockhausen als bewussten Widerspruch zu jenen Teilen der Stockhausen-Rezeption lesen, die in Gruppen vornehmlich etwas Strukturelles sahen (auf diesen Widerspruch wird noch zurückzukommen sein). — 15 István Balázs, »Im Gefängnis des Privatlebens. Über zwei neue Werke von György Kurtág«, in: Schweizerische Musikzeitung (1983) 9/10, S. 278. Weitere Werktitel, aus denen Ähnliches spricht, sind What is the Word, Jelek, Játekok és Uzenetek [Zeichen, Spiele und Botschaften] oder Ligatura – Messages to Frances-Marie. (The answered unanswered question). — 16 Vgl. Interview mit Varga vom April 2008, in: Varga (Hrsg.), György Kurtág (Anm. 3), S. 104 (er bezog sich dabei konkret auf Klees berühmtes abstraktes Werk Zeichen in Gelb [1937]). — 17 Im Programmheft der Uraufführung von Fin de partie (Mailand 2018, S. 84 f.) wird auf diesen Klee-Bezug explizit Bezug genommen – und werden auch einige eigene Zeichnungen Kurtágs gezeigt, die ebenfalls von diesem Maler inspiriert erscheinen. — 18 Vgl. Pierre Boulez, Das Fruchtfeld. Paul Klee, übersetzt von Josef Häusler, Berlin 2010 [frz. Original: Le pays fertile. Paul Klee, ed. par Paule Thévenin, Paris 1989]; sowie das Kap. »Paul Klee und Joan Miró als Impulsgeber« meiner Monografie Bernd Alois Zimmermann und seine Zeit, Lilienthal 2019, S. 158–168. — 19 Dies markiert eine Einsicht, ohne die ein Werk wie die überaus ausgedehnten Kafka-Fragmente (1985–87) kaum angemessen verstanden werden kann. — 20 Dies gilt namentlich für Grabstein für Stephan, … quasi una fantasia … (1987/88), Op. 27 Nr. 2 [Doppelkonzert] für Klavier, Violoncello und zwei im Raum verteilte Kammerensembles (1989/90) sowie Samuel Beckett: What is the word (1991). — 21 Helmut Lachenmann, Musik als existentielle Erfahrung, hrsg. von Josef Häusler, Wiesbaden 22004, S. 29. Auf Schnittkes Distanz gegenüber Gruppen ging Kurtág selbst kritisch ein, vgl. Varga (Hrsg.) György Kurtág (Anm. 3), S. 103. — 22 Vgl. Kurtág, »Laudatio auf György Ligeti« (Anm. 7), S. 152. Weiter heißt es dort mit Blick auf die Erfahrung von 1958: »Als ich im Studio die Gruppen in Gegenwart Stockhausens anhören kann, bleiben mir eben diese Abschnitte am lebendigsten.« — 23 Ein Beispiel ist die absteigende C-Dur-Tonleiter am Beginn von … quasi una fantasia … — 24 Dies ist zu betonen, da Kurtág selbst die Erfahrung dieses Stückes ausdrücklich hervorhob, vgl. Varga (Hrsg.), György Kurtág (Anm. 3), S. 161. Vgl. ebd., S. 103, auch die Einschätzung, dass Oktaven für Boulez eine »Provokation« gewesen seien. — 25 So schrieb er in den frühen 1950er Jahren sogar Massenlieder, die von der Idee des »sozialistischen Realismus« beeinflusst waren. — 26 Helmut Lachenmann, »Hören ist wehrlos – ohne Hören. Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten«, in: ders., Musik als existentielle Erfahrung (Anm. 21), S. 123. Gemeint waren Weberns Orchesterstücke op. 10. — 27 Arnold Schönberg, »Brahms, der Fortschrittliche«, in: Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtěch, Frankfurt/M. 1976 (= Gesammelte Schriften, Bd. 1), S. 35–71, hier S. 49. Zu diesem Kontext vgl. Christian Utz, »Perforierte Zeit und musikalische Morphosyntax – Zum performativen Hören von György Kurtágs ›Officium breve in memoriam Andreae Szervánszky‹«, in: Kürzen. Gedenkschrift Manfred Angerer, hrsg. von Wolfgang Fuhrmann u. a., Wien 2016, S. 505–531. — 28 György Kurtág, zit. nach Ulrich Dibelius (Hrsg.), Ligeti und Kurtág. Programmbuch der Salzburger Festspiele, Salzburg 1993, S. 72. Zum Webern-Bezug vgl. Simone Hohmaier, »György Kurtágs ›Quartetto per archi‹ von 1959«, in: MusikTexte (1997), H. 72 (November), S. 39–46; und vgl. dies. »Meine Muttersprache ist Bartók«: Einfluss und Material in Györgys Kurtágs »Quartetto per archi« op. 1 (1959), Saarbrücken 1997, S. 23 f. — 29 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die 1955 von Boulez formulierte Forderung, man möge die Impulse Weberns mit jenen Debussys gewissermaßen fusionieren. Vgl. Pierre Boulez, »Claude Debussy et Anton Webern« [1955], in: Darmstadt-Dokumente I, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1999 (= Musik-Konzepte Sonderband), S. 72–79. Diese Überlegung war für Boulez selbst mit dem Ansinnen verbunden, jenem damals oft an Webern orientierten Konstruktivismus, der mit einem manchmal strikten Verzicht auf traditionelle Gesten einherging, etwas Gegenläufiges an die Seite zu stellen. — 30 Vgl. Tobias Bleek, »›Das Geschriebene darf nicht ernst genommen werden – das Geschriebene muß todernst genommen werden‹. Zur Notation und Interpretation musikalischer Gesten im Schaffen György Kurtágs«, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 14 (2017), H. 1, S. 67–92. — 31 Vgl. ebd., S. 67. — 32 Zit. nach Hartmut Lück, »Künstlerische Evidenz durch unbedingte Subjektivität«, in: Komponistenportrait György Kurtág, hrsg. von den Berliner Festspielen, Berlin 1988, S. 9. — 33 Punktuell vielleicht auch auf Bartók – denkt man an den von Hartmut Lück betonten Rang von Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg für die neuere ungarische Musikgeschichte und auf den vermutlichen Impuls gerade für Kurtágs Komponieren. Vgl. Hartmut Lück, »›Dezembers Gluten, Sommers Hagelschläge …‹. Zur künstlerischen Physiognomie von György Kurtág«, in: Friedrich Spangemacher (Hrsg.), György Kurtág, Bonn 1986 (= Musik der Zeit. Dokumentationen und Studien, Bd. 5), S. 28–52, hier S. 52. — 34 Vgl. György Kurtág, »Addio, Luigi Nono. Collage in vier Sätzen aus Gedichten von Giuseppe Ungaretti (1990)«, in: MusikTexte 35 (Juli 1990), S. 53–57. — 35 Auch in Nonos Prometeo gibt es bekanntlich einen Rekurs u. a. auf Schumann. — 36 »Ein Großteil der Proben der Trussova verging damit, daß Kurtág mich Schubert-Lieder singen oder vom Blatt lesen ließ«, äußerte die Sängerin Adrienne Csengery, in: István Balázs, »Porträt eines Komponisten aus der Sicht einer Sängerin. Gespräch mit Adrienne Scengery«, in: Spangemacher (Hrsg.), György Kurtág (Anm. 33), S. 53–64, hier S. 58. Und vgl. mit Blick auf die Relation zwischen Komponieren und eigener kammermusikalischer Tätigkeit auch Tom Rojo Poller, »The Interpretation is the Message. Komposition als angewandte Interpretation bei György Kurtág«, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 14 (2017), H. 1, S. 93–131. Vgl. hierzu aber überdies den wichtigen Hinweis von Rainer Nonnenmann, dass bei der Probenarbeit auch Werke Schönbergs (Sechs kleine Klavierstücke op. 19) sowie Strawinskys (Le sacre du printemps) als Referenzgrößen auftauchen – Rainer Nonnenmann, »›Es gibt nur die klingende Situation‹. György Kurtág beim Proben beobachtet«, in: Neue Zeitschrift für Musik (2011), H. 2, S. 28 f., hier S. 29. — 37 In den Überschriften einzelner Sätze tauchen die drei Gestalten wieder auf; zum Teil sind auch ihre Namen (wie der Schumanns im Titel) in Abbreviaturen gehalten, dies ist typisch für Kurtágs Art der bewussten Relativierung oder Verschleierung konkreter Bezüge. Die Satzbezeichnungen lauten »E[usebius]: der begrenzte Kreis …« – »… und wieder zuckt es schmerzlich F[lorestan] um die Lippen« – »Abschied: Meister Raro entdeckt Guillaume de Machaut«. — 38 Mit ihrer Neigung, gegensätzliche Tönungen zu verklammern, ist dieses Stück mit den im selben Jahrzehnt entstandenen Schumann-Reflexen im Schaffen von Wolfgang Rihm zu vergleichen – namentlich an den Zyklus Fremde Szenen (1982–84) ist hier zu denken. — 39 Vgl. Hartmut Lück, »Mit Robert Schumann zu Gustav Mahler. György Kurtágs ›Hommage à. R. Sch. op. 15/d‹«, in: Neue Zeitschrift für Musik (2011), H. 2, S. 36–39. Vgl. zu diesem Stück ferner auch: Friedemann Sallis, »The Genealogy of György Kurtág’s ›Hommage à R. Sch. op. 15d‹«, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae XLIII, H. 3–4, Budapest 2002, S. 311–322. — 40 In vielen kompositorischen Ansätzen der Reduktion oder des freiwilligen Verzichts sind dementsprechend sowohl Momente der bewussten Abweichung von Musik früherer Zeiten als auch produktive Anknüpfungen an sie zu entdecken. Gerade für Letzteres ist Kurtágs Komponieren ein plastisches Beispiel – es ist darin seinerseits längst vorbildlich für manche Ansätze im Schaffen einiger Komponistinnen und Komponisten der nachfolgenden Generationen. — 41 Kurtág selbst hat im Jahre 2008 sogar gemeint, er »werde zusehends konservativer«, vgl. Varga (Hrsg.), György Kurtág (Anm. 3), S. 111. Ob dies zutrifft oder eine der für ihn nicht untypischen selbstironischen Behauptungen ist, kann diskutiert werden. — 42 Dieser Vergleich mag deswegen naheliegen, da Neither nicht zuletzt durch den engen Kontakt zwischen Feldman und Beckett zum Referenzwerk wurde. — 43 Zender geht es explizit um die »›Brechung‹ des bisher einfachen Bildes«, im Rekurs auf den französischen Poststrukturalismus zudem auch darum, dass man »das Bild eines geliebten Meisters plötzlich doppelt und dreifach, sozusagen von verschiedenen Seiten, aus verschiedenen Perspektiven« sieht, und mithin um einen »Ansatz für einen völlig unorthodoxen Umgang mit alten Texten.« (Hans Zender, »Notizen zu meiner komponierten Interpretation von Schuberts ›Winterreise‹ (1993)«, in: Die Sinne denken. Texte zur Musik 1975–2003, hrsg. von Jörn Peter Hiekel, Wiesbaden 22017, S. 221–223, hier S. 221). — 44 Hans Zender berichtete im Gespräch mit dem Verf. im März 2018 in Meersburg, dass Kurtág unmittelbar nach einer Budapester Aufführung der komponierten Interpretation der Winterreise im Oktober 2015, also während seiner Arbeit an der Oper, ihn begeistert angerufen habe. — 45 Nicht zuletzt damit hat es zu tun, dass die für Beckett so typische Art des Humors in seiner Adaption nur eingeschränkt erfahrbar ist.