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I Annäherungen an Kurtágs Stil

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Analytiker präsentieren die Kompositionen der Avantgarde-Periode – hauptsächlich das Streichquartett op. 1 – in der Polarität von Webern und Bartók: Laut diesen Arbeiten übernahm Kurtág die Kompaktheit und Gestik von Webern, die Melodiebildung sowie die Verwendung von Glissandi, Pizzicati und Ostinati und die Brücken-Form von Bartók.6 Die meisten Analysen weisen jedoch auch darauf hin, dass in Kurtágs Kunst die Rezeption Weberns nur sehr abstrakt erfasst werden kann.7 Es ist bekannt, dass Kurtág vor seiner Reise nach Paris, Anfang 1957 den Webern-Gedenkband der Reihe von György Ligeti erhielt,8 und dass er viele Kompositionen von Webern in Paris kopierte.9 Er hatte die Möglichkeit die Sechs Stücke für Orchester op. 6 und die Vier Stücke für Geige und Klavier in den von Pierre Boulez organisierten Domaine Musical-Konzerten zu hören.10 Während er das Streichquartett komponierte, stellte er eine Reihen-Tabelle für die Symphonie op. 21 zusammen.11 Doch bereits Tobias Bleek richtete die Aufmerksamkeit auf die begrenzte Anzahl von Dokumenten von Kurtágs Webern-Rezeption – insbesondere im Vergleich mit dem ausführlichen Quellenmaterial von György Ligetis Webern-Rezeption.12 Außerdem hatte Kurtág um 1957 wenig klangliche Erfahrung mit Weberns Werken: Seine Aussagen über sein mangelndes Verständnis von Weberns Musik, wie es Bleek betont, erklären sich gerade durch den Mangel solcher Erfahrungen.13 Die deutlichen Unterschiede zwischen den Lebenswerken Weberns und Kurtágs haben vermutlich die vorsichtigen Analytiker veranlasst, sich hauptsächlich auf das Temperament der beiden Komponisten zu beziehen. Wie Kroó formulierte: Kurtágs musikalische Welt ist, trotz der offensichtlichen geistigen Verwandtschaft zwischen den beiden Œuvres, viel geräumiger als die von Webern.14 Jürg Stenzl wies darauf hin, dass, während bei Webern der Klang mithilfe der Transformationen der musikalischen Figuren immer einem musikalischen Plan dient, es bei Kurtág keine kontinuierliche Transformation gibt. Trotzdem spielt der Klang eine dominierende Rolle.15

Detaillierte Analysen von Kurtágs Einsatz der Dodekafonie lieferten Simone Hohmaier und Péter Halász.16 Beide studierten die Zwölftönigkeit des Streichquartetts – obwohl es eine Zeitlang so ausgesehen hatte, dass der 1. Satz von Kurtágs Kantate Sprüche des Péter Bornemisza die erste streng zwölftönige Kurtág-Komposition war17 –, und verdeutlichten, dass Dodekafonie in Kurtágs Kunst keine konsequent angewandte Technik ist. Die Reihe dient dementsprechend keineswegs als alleinige Grundlage für seine Arbeiten, sondern funktioniert als eines von vielen verwendeten Kompositionswerkzeugen.18 Tobias Bleek behauptet sogar, dass Kurtág die Dodekafonie in keiner Weise orthodox benutzt habe; dies zeigt auch, dass seine Quelle nicht Webern war. Es ist viel wahrscheinlicher, dass Kurtágs Interpretation der Dodekafonie auf Hanns Jelineks Lehrbuch von 1952 basiere.19

Es ist eine allgemeine Beobachtung, dass Kurtágs Musik gestische Musik ist, in der die Sprachähnlichkeit im Mittelpunkt steht. Kroó meint, dass nicht nur Silben, Wörter und Schreie in den Kompositionen vorkommen, sondern dass dieses Vokabular auch eine echte Syntax erzeuge.20 Rachel Beckles Willson setzt die sprachlichen Merkmale von Kurtágs Musik parallel zu ähnlichen Werken Ligetis. Diese Parallele wird durch die bekannte Tatsache gerechtfertigt, dass das 1958 geschriebene Ligeti-Werk Artikulation einen tiefgreifenden Einfluss auf Kurtág ausgeübt hat. Ausgehend von dieser Parallele nimmt Beckles Willson die Existenz eines charakteristisch ungarischen Idioms an, jedoch betont sie, dass Kurtágs musikalische Sprache gerade mit seiner Syntaxlosigkeit gegen die traditionellen Denkweisen protestiere.21 Die programmatischen Merkmale von Kurtágs Werken hängen auch mit dem gesprochenen und gestischen Inhalt dieser Musik zusammen. Basierend auf Kurtágs Aussagen und Erinnerungen assoziiert Peter Hoffmann die beiden Außensätze des Streichquartetts mit bestimmten Szenen von Franz Kafkas Die Verwandlung, während die mittleren Sätze als Echos von Kurtágs Alltag in Paris interpretiert werden.22


Notenbeispiel 1: György Kurtág, Die Sprüche des Péter Bornemisza (III/3), »Virág az ember« György Kurtág, »Die Sprüche des Péter Bornemisza | Concerto | für Sopran und Klavier | op. 7«, © Copyright 1973 by Universal Edition A.G., Wien/UE14493

Laut Stephen Walsh leitet sich die Kürze der Kurtág-Formen auch aus der Gestensprache ab,23 während andere – wie beispielsweise Stenzl24 – die aphoristischen Formen auf Webern zurückführen. Vielleicht aufgrund einer missverstandenen Aussage von Kurtág hält sich auch die Idee hartnäckig, dass die Struktur seiner Zyklen – vor allem aber das Streichquartett op. 1 – aus der Bartók’schen Brückenform stamme, obgleich sie immer aus geradzahligen Sätzen bestehen.25 Als ein wichtiges Analyseprinzip wird der Kurtág eigene Grundtyp des periodischen Denkens betrachtet, also das Frage-Antwort-Paar, das einige seiner Kompositionen charakterisiert. Ein paradigmatisches Beispiel ist der Satz Virág az ember [Der Mensch, eine Blume], der zuerst in den Sprüche[n] von Péter Bornemisza (Notenbeispiel 1) auftaucht.

Die ersten fünf Noten – wie Kurtág selbst formuliert – werden zu einer Frage-und-Antwort-Periode (2 + 3 Noten) geformt, gefolgt von einer dreitönigen Coda.26 Peter Hoffmann meint darin Kurtágs Intention von der Verknüpfung des radikalen musikalischen Denkens mit der Bewahrung der Tradition zu erkennen.27 Simone Hohmaier hingegen weist auf den Einfluss der späten Beethoven-Quartette und der letzten Klaviersonaten hin, die für Kurtág – im Kontext des periodischen Denkens – so wichtig waren.28

MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág

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