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2.2.1 Unterstützung der Dekubitusprophylaxe durch integrierte Bettsensorik

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Die Einführung eines pflegerischen Expertenstandards zur Dekubitusprophylaxe (DNQP – Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege 2017)8 hat zweifelsohne zu einer Verbesserung der Versorgung geführt (Schmidt 2016), wenngleich eine genaue Datenlage zur Dekubitushäufigkeit in deutschen Krankenhäusern, z. B. aufgrund heterogener Erfassungsmethoden und Klassifikationssysteme, nach wie vor nicht vorliegt (Tomova-Simitchieva et al. 2019). Tomova-Simitchieva et al. (2019) gehen davon aus, dass die Möglichkeiten der Prophylaxe noch lange nicht ausgeschöpft sind. Auch die finanziellen Auswirkungen sind, wenn auch schwer zu beziffern (Jordan 2012), gravierend. Unabhängig davon sind nach Kolb & Schanz (2012, S. 46) »[…] das Leid, der Verlust an Lebensqualität, die Schmerzen und soziale Isolation der Patienten [nicht quantifizierbar].«

Die Dekubitusentstehung ist ein hochkomplexer und individueller Vorgang, bei dem Druck und individuelle Drucktoleranz, individuelle Gewebsreaktionen, Scherkräfte, das autonome Nervensystem (und dessen Veränderungen) und die Erholungskapazität des Gewebes eine Rolle spielen (Scheel-Sailera et al. 2016; vgl. auch Manorama et al. 2010; Mak et al. 2010). Die Vereinigungen European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP), National Pressure Ulcer Advisory Panel (NPUAP) und Pan Pacific Pressure Injury Alliance (PPPIA) haben 2014 in der Guideline »Prevention and Treatment of pressure ulcers« der Prävention des Dekubitus schwerkranker Patientinnen und Patienten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die druckentlastende Positionierung hat für alle dekubitusgefährdeten Patientinnen und Patienten einen hohen Empfehlungsgrad, wobei die Häufigkeit der Positionierung abhängig von der individuellen Situation und der Reaktion des Gewebes auf Druck ist (National Pressure Ulcer Advisory Panel/European Pressure Ulcer Advisory Panel/Pan Pacific Pressure Injury Alliance 2014). Im genannten Nationalen Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege sind Positionswechsel und Druckentlastung von Gewebe ebenfalls zentrale Elemente (Kottner et al. 2017). Allerdings ergibt die Studienlage ein uneinheitliches Bild, in welchen Zeitabständen diese erfolgen sollten (Kottner et al. 2017). Einen signifikanten Nachweis gibt es lediglich dazu, dass ein Positionswechsel, unabhängig vom Zeitintervall, generell eine präventive Wirkung auf die Dekubitusentstehung hat (Lozano-Montoya et al. 2016). Gegen eine standardisierte Festlegung eines Zeitintervalls spricht auch die genannte Individualität und Komplexität der Dekubitusentstehung. Gleichwohl gilt zur Prävention von Dekubitus derzeit der konsequente zweistündige Positionswechsel als Richtwert zur effizienten Entlastung des Gewebes (Pickham et al. 2016). Im Intensivbereich zeigen Untersuchungen allerdings, dass dieser Positionswechsel lediglich zu 38–51 % realisiert wird (Pickham et al. 2016; Schallom et al. 2005; Krishnagopalan et al. 2002). Als Erklärungsansätze werden eine suboptimale Pflege-Patienten-Ratio, eine nachgeordnete Priorisierung der druckentlastenden Positionierung, Schwierigkeiten im Monitoring der Positionierung der Patientinnen/Patienten und ineffektive Erinnerungen/Alarme bzgl. der Positionierung diskutiert (Pickham et al. 2016). Im Sinne einer Unterstützung des Positionierungsmonitorings, auch durch den Einsatz geeigneter Erinnerungs- und Alarmsysteme, wird daher im PPZ-Freiburg ein Beitrag zur Klärung der Frage geleistet, inwiefern der Einsatz technischer Hilfsmittel zum Erkennen von Bewegungen der Patientin/des Patienten im Bett beitragen kann. Die folgende Tabelle ( Tab. II.2.1) charakterisiert ein solches Hilfsmittel.

Tab. II.2.1: Charakterisierung Bettsensorik, eigene Darstellung



HilfsmittelkategorieBettsensorik zur Unterstützung des Mobilitätsmanagements

Die Bettsensorik Mobility Monitor ist ein Hilfsmittel, welches die Bewegungen von Patientinnen und Patienten im Bett aufzeichnet und auf einen Monitor überträgt ( Abb. II.2.1).


Abb. II.2.1: Mobility Monitor: Sensormatte und Bedienteil (links) und Überwachungsmonitor im Pflegestützpunkt. Quelle: compliant concept AG

Das System liefert Informationen zur Häufigkeit der Bewegungen, differenziert in Mikrobewegungen und druckentlastende Bewegungen, sowie optional eine 360°-Bettausstiegsinformation. Es besteht aus einer 730 x 20 x 160 mm großen Sensormatte, die unter der Matratze im Bett positioniert wird, einem Bedienteil am Bett und einer Software, mit deren Hilfe die Messdaten auf einem Monitor angezeigt werden können. Eine Ampelfunktion auf dem Bediengerät am Bett sowie dem Monitor zeigt an, wenn ein definiertes Zeitlimit10 ohne druckentlastende Bewegung erreicht wird. Die Pflegenden können erkennen, in welcher Häufigkeit die Patientin oder der Patient eigene Bewegungen durchführt und ob diese Bewegungen druckentlastend wirken. Ziel ist es, Pflegende in der zeitgerechten druckentlastenden Positionierung von Patientinnen und Patienten zu unterstützen und damit Über- und Unterversorgung zu vermeiden (vgl. Wendland 2016). Der Einsatz des Mobility Monitors wurde im Rahmen erster Untersuchungen in Pflegeheimen und bei normalstationären Patientinnen und Patienten in der Inneren Medizin und Chirurgie erfolgreich getestet (Gattinger et al. 2017; Heilbronner 2014).

Im PPZ-Freiburg wurde der Mobility Monitor zunächst für zwei Monate im Rahmen einer Pilotierung auf je einer neurologischen und einer neurochirurgischen Normalstation erprobt. Dabei wurde das System zunächst für vier Wochen verblindet eingesetzt, das heißt, dass der Mobility Monitor in den Patientenbetten eingesetzt wurde, die Pflegenden allerdings keinen Zugriff auf die Messdaten hatten und auch die Ampelfunktion am Bedienteil deaktiviert war. Im Anschluss wurde das System für weitere vier Wochen offen eingesetzt, das heißt, die Bewegungsdaten und das Ampelsystem waren für die Pflegenden sicht- und nutzbar. Insgesamt wurde der Mobility Monitor bei 108 Patientinnen und Patienten eingesetzt. Belastbare Zahlen zum Outcome konnten in diesem kurzen Zeitraum und der geringen Anzahl von Patientinnen und Patienten nicht generiert werden. Zumindest kann aber festgehalten werden, dass im Zeitraum des offenen Einsatzes des Systems keine Stürze (Blindphase n = 3) und keine Patientinnen und Patienten mit in der Klinik erworbenen Dekubitus (Blindphase n = 1) dokumentiert wurden. Viel bedeutender sind jedoch die Rückmeldungen der Pflegenden (n = 12), die sich an einer Online-Befragung beteiligt haben. Zum überwiegenden Teil (83,3 %) haben sie sich für eine Anschaffung des Mobility Monitors für die Regelversorgung ausgesprochen. Ebenfalls 83,3 % der Pflegenden waren der Ansicht, dass das System insgesamt einen positiven bzw. sehr positiven Einfluss auf den Pflegeprozess/die Pflegeplanung/die Pflege im Bereich der Dekubitus- und Sturzprophylaxe hatte. In Freitextantworten wurde beispielsweise festgehalten, dass der Mobility Monitor dazu beitragen kann,

• die Arbeit zur Sturz- und Dekubitusprophylaxe effektiver und zielgerichteter zu gestalten,

• die Sicherheit für Patientinnen und Patienten wie auch für Pflegende zu erhöhen,

• kritische Situationen, wie etwa (schmerzbedingte) Unruhezustände, schneller zu erkennen oder

• längere unterbrechungsfreie Schlafphasen für Patientinnen und Patienten zu ermöglichen.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde der Mobility Monitor im Rahmen eines größer angelegten Evaluationsprojekts bei Patientinnen und Patienten auf einer neurochirurgischen und einer neurologischen Intensivstation am Universitätsklinikum Freiburg eingesetzt. Diese Bereiche wurden deshalb ausgewählt, weil Patientinnen und Patienten dort aufgrund der neurochirurgischen und neurologischen Krankheitsbilder und aufgrund der Therapien (z. B. Sedierung, Beatmung, etc.) potenziell stark in ihrer Mobilität eingeschränkt sowie dekubitusgefährdet sind.

Ziel des Projekts war zu eruieren, inwiefern durch den Einsatz des Mobility Monitors der inaktive Anteil an der Gesamtliegezeit (d. h. Überschreitung von zwei Stunden ohne druckentlastende Umpositionierung) gesenkt werden kann (primärer Endpunkt). Daneben (sekundäre Endpunkte) wurde erfasst, inwiefern durch den Einsatz des Mobility Monitors die Dekubitusinzidenz gesenkt und der druckentlastende Anteil der durch das pflegerische, ärztliche und weitere therapeutische Personal vorgenommenen Umpositionierungen erhöht werden kann. Die Erforschung der Perspektive der Mitarbeitenden erfolgte im Rahmen einer begleitenden formativen Evaluation (Hempler et al. 2019). Das Projekt wurde im »Stepped Wedge Design« (vgl. z. B. Köberlein-Neu & Hoffmann 2017) mit zwei Schritten und zwei Clustern durchgeführt ( Abb. II.2.2). Dabei stellte eine Station jeweils ein Cluster dar. Im sechsmonatigen Erhebungszeitraum von November 2018 bis Mai 2019 waren sämtliche 33 Betten der beiden Intensivstationen mit einem Mobility Monitor ausgestattet. Nicht ausgestattet wurden Betten, die den Einsatz des Systems nicht zulassen (z. B. Betten mit fest verbauten (Luft-)Matratzen). Konkret bedeutet das, dass beide Stationen mit einer verblindeten Phase starteten – das heißt, der Mobility Monitor zeichnete die Bewegungsdaten der Patientinnen und Patienten auf, die Pflegenden hatten allerdings keinen Zugriff auf die Daten. Nach zwei Monaten ging eine Intensivstation randomisiert in die offene Phase über (d. h. die Pflegenden konnten die Bewegungsdaten der Patientinnen und Patienten einsehen). Nach weiteren zwei Monaten ging auch die zweite Intensivstation in die offene Phase über (Schepputat et al. 2019).


Abb. II.2.2: Stepped Wedge Design im Projekt Mobility Monitor, eigene Darstellung

Insgesamt konnten so über 800 Patientinnen und Patienten in das Projekt eingeschlossen werden, wobei die Anzahl in der Blind- und Interventionsphase nahezu identisch war. Die Auswertung der Daten ist noch nicht abgeschlossen. Erste Analysen zeigen eine, aufgrund nicht gegebener statistischer Signifikanz sehr vorsichtig zu interpretierende, Tendenz zu einer geringeren Immobilitätsrate (Schepputat et al. 2019) und einer geringeren Dekubitusinzidenz. Die Rückmeldungen der Mitarbeitenden fokussieren insbesondere das Setting. Sie sprechen dem Mobility Monitor insgesamt ein hohes Potenzial zu, aus ihrer Sicht aber eher bei Patientinnen und Patienten auf Normalstationen. Dies begründen sie mit dem auf Intensivstationen sehr viel längeren direkten Patientenkontakt, wodurch aus ihrer Sicht eine umfassende Beobachtung des Bewegungsverhaltens von Patientinnen und Patienten ohnehin gegeben ist. Darüber hinaus konnten erste Anregungen zur Weiterentwicklung der Technik herausgearbeitet werden, wie z. B. die Reduktion als störend empfundener Kabel (Hempler et al. 2019).

Insgesamt kann als ein ganz wesentlicher Benefit des Projektes hervorgehoben werden, dass es gelungen ist, einen umfangreichen Datensatz zur Mobilität und der Positionierung von Patientinnen und Patienten auf neurologischen und neurochirurgischen Intensivstationen zu generieren, der eine wertvolle Basis gleichermaßen für weitere Forschungsaktivitäten wie auch Praxisentwicklungsprojekte darstellen kann.

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