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Jederzeit abrufbares Wissen im Internet

Der Umgang mit Krankheiten hat sich im Allgemeinen durch das jederzeit abrufbare Wissen im Internet in den vergangenen 20 Jahren grundlegend geändert. Der Informationsgrad in der Gesellschaft hat erheblich zugenommen. Das hat natürlich auch Einfluss auf das Patienten-Arzt-Verhältnis.

Gewohnt im privaten und beruflichen Leben Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, werden Menschen, die erkranken, mit Auftreten von Symptomen, die sie in ihrer autarken Lebensweise beeinträchtigen, hilflos gemacht. Auf der Suche nach Hilfe werden neben Arztbesuchen regelhaft auch Internet Recherchen betrieben. Wie wir aus der Praxis wissen, führt diese vom subjektiven Leidensdruck bestimmte Suche nicht immer zielsicher zur richtigen Diagnose.

Verzögerte Diagnose

Die Beschwerden unserer Patientin mit Schmerzen der Wirbelsäule, aber auch der linken Schulter, wurden von orthopädisch-chirurgischen Fachärzten bei als passend gewerteten bildmorphologischen Befunden symptomatisch konservativ, cervikal infiltrativ und lumbal operativ behandelt. Anzunehmen ist, dass der Schulter-Arm Schmerz links ganz wesentlich, die Lumbalgien möglicherwesie teilweise durch den nicht-erkannten M. Parkinson bedingt war. Die Patientin selbst hat durch ihre Internetrecherche wesentlich dazu beigetragen, dass die Parkinson-Erkrankung diagnostiziert wurde. Dies geschah jedoch später als wünschenswert für eine beruflich stark geforderte junge Patientin, die früh und schnell bestmöglich therapiert werden sollte. Die verzögerte Diagnose war zum einen bedingt durch die ausschließliche Fokussierung auf orthopädische Probleme, zum anderen durch die dann lange Wartezeit auf einen Termin in einer Ambulanz für Bewegungsstörungen. Des Weiteren verzögerte sich eine suffiziente Behandlung, da der weiterbehandelnde Neurologe eine Frühtherapie bei objektiv fehlenden ausgeprägten Symptomen (Stadium 1 nach Hoehn und Yahr) laut Patientin zu jenem Zeitpunkt nicht für nötig erachtete.

Kooperatives Arzt- Patienten-Verhältnis

Patienten sind heutzutage durch das Internet mündiger und informierter. Dadurch bedingt sind sie selbstbestimmter und gestalten das Procedere oft mit. Das ist zwar nicht immer zielführend, kann aber auch sinnvoll sein, wie in diesem Fall. Ärztlicher Rückzug in ablehnende Positionen ist kontraproduktiv. In Zukunft wird sich wahrscheinlich die Behandlung von Patienten zunehmend im Sinne eines kooperativen Arzt-Patienten-Verhältnisses gestalten und dem Arzt mehr als heute die Rolle des kritisch moderierenden Wissensvermittlers zu teil werden. Dies ist nicht immer einfach für den Behandler. Ein kooperatives Therapiebündnis zwischen Patientin und Neurologe bildet jedoch sicher in den meisten Fällen die Grundlage für einen stabilen Verlauf. Komplikationen können dadurch frühzeitiger erkannt und spezifisch behandelt werden.

Die im vorliegenden Fallbericht geschilderte Betroffene repräsentiert diesen Typus von Patient/Patientin, die in zunehmender Weise in neurologische Praxen kommen.

Der geschilderte Fall beinhaltet verschiedene Aspekte, mit denen Neurologen in der Praxis in der Behandlung von Parkinson-Patienten häufiger konfrontiert sein dürften.

Verzögerung in der Diagnosestellung

Anti-Parkinson- Therapie

Zum einen eine Fokussierung auf orthopädische Probleme bei einseitigem Schulter/Arm-Schmerz, insbesondere dann, wenn bildmorphologisch degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule passend oder scheinbar passend sind. Nicht berücksichtigt wird dann häufig, dass diese Beschwerden typische Frühzeichen eines Parkinson-Syndroms sein können und es so zu einer Verzögerung in der Diagnosestellung Parkinson kommt. Die Patientin hatte über mehrere Jahre starke Schmerzen, zunächst im Wirbelsäulenbereich, dann in der linken Schulter. Muskuloskelettale Schmerzen sind die häufigste Schmerzform bei Parkinson-Patienten und Orthopädie die Fachrichtung, die am häufigsten Schmerzen bei Parkinson-Patienten behandelt (Buhmann et al. 2017). Die konservativen (Analgetika) und die operative Therapie waren letztlich nicht erfolgreich. Erst nach Beginn der Anti-Parkinson-Therapie kam es dann zu einer anhaltenden Linderung der Schmerzen. Zum Thema der Schmerzbehandlung bei Parkinson finden sich in der Literatur nur wenige in der Praxis hilfreiche Empfehlungen (z. B. Buhmann et al. 2018). Nicht-motorische Symptome (NMS) mindern die Lebensqualität bei Parkinson-Patienten häufig stärker als motorische Symptome (Barone et al 2009) und basierend auf den Empfehlungen der Internationalen Movement Disorder Society (MDS) sind EBM-basierte Therapieempfehlungen erarbeitet worden. Im Update der MDS 2018 (Fox et al. 2018) finden sich Empfehlungen zur Behandlung der NMS bei Patienten mit IPS.

»Internetwissen«

Zum anderen zeigt der Fall, dass mündige und (auch durch das Internet) aufgeklärte Patienten oft selbst mit »Diagnosestellungen« in unsere Praxen kommen. Ein pauschales Ablehnen von »Internetwissen« bei Patienten ist in der heutigen und insbesondere zukünftigen Arzt-Patientenbeziehung nicht hilfreich. Ein dritter Aspekt dieses Falles ist die bis heute immer wieder vorkommende fehlende Therapieeinleitung nach Diagnosestellung durch den Arzt bei vermeintlich nicht relevanter Beeinträchtigung durch die Erkrankung. Dies kann verschiedene Gründe haben, oft aus Sorge vor Nebenwirkungen der Medikation, oder man möchte »sein Pulver zu früh verschießen« (»wait and watch policy«) oder auch aufgrund von Bedenken der Patienten »vor Chemie«. Es ist jedoch gezeigt worden, dass gerade zu Beginn der Erkrankung die relative Verschlechterung am größten ist und unbehandelte Patienten bereits neun Monate nach Diagnosestellung eine signifikant schlechtere Lebensqualität haben als behandelte (Grosset et al 2007). Dies ist besonders nachteilig, wenn es um junge, dynamische Patienten mit hohen Anforderungen im familiären und beruflichen Umfeld geht, d. h., wenn die Erkrankung die Patienten früh und in dieser »vulnerablen« Lebensphase trifft.

Aktive Mitwirkung der Patientin bei der Diagnosefindung

Gerade junge Patienten haben häufig deshalb den Druck, die Energie, aber auch die psychischen und physischen Kapazitäten, durch aktive Mitarbeit ihre Erkrankung alltagstauglich in den Griff zu bekommen. So hat unsere Patientin nicht nur aktiv an der Diagnosefindung mitgewirkt, sondern sich intensiv sportlich betätigt, psychologische Hilfe bei der Verarbeitung der Erkrankung der dadurch bedingten veränderten Lebensumstände geholt und für sich eine Coping Strategie entwickelt, mit der Bezeichnung »Olaf« statt »Parkinson«, um sich von der Erkrankung auch begrifflich nicht vereinnahmen zu lassen.

Probleme der Versorgungsstruktur

Der Fall weist auch auf ein Problem in der Versorgungsstruktur für Parkinson-Patienten hin. Auf der Suche nach einer auf Parkinson spezialisierten Behandlungsstelle wurde die Patientin im Internet fündig, wartete dann aber zehn Monate auf einen Untersuchungstermin in einer Bewegungsambulanz. Dies ist zwar eine im europäischen Vergleich übliche Wartezeit für neurologische Spezialambulanzen. Für die Betroffenen ist dies jedoch eine Zeit, in der eine Krankheit unbehandelt bleibt und sich große Unsicherheit und Ängste manifestieren können. Eine prädiagnostische Zeit mit fortschreitender Symptomatik wie im vorliegenden Fall von rückblickend mindestens drei Jahren ist in der Praxis nicht ungewöhnlich. Hier wird nochmals deutlich, dass trotz hohem Aufklärungsgrad einer kognitiv-intellektuellen Patientin auch eine dem deutschen Gesundheitssystem immanente Ressourcenknappheit an Bewegungsstörungszentren Anteil an einem verzögerten Therapiebeginn hat. Kurz gesagt, es gibt in Deutschland 2018 zu wenig solcher Ambulanzen/Zentren für Bewegungsstörungen, um der wachsenden Anzahl der Parkinson-Patienten gerecht zu werden (Heinzel et al. 2018).

Da die Anzahl der Parkinson-Patienten in den nächsten Jahren epidemiologisch bedingt zunehmen wird, sind alle in der Behandlung und mit der Betreuung der Erkrankten befassten Berufsgruppen gefragt, die bestehenden Konzepte anzupassen. Drohender Fachärztemangel in Praxen, Pflegenotstand, zunehmende Single-Haushalte und damit Wegfall familiärer Unterstützungsstrukturen sind nur einige Probleme, die sich in den nächsten 20 Jahren als Herausforderungen für alle im Gesundheitswesen Tätigen und die Gesellschaft ergeben. Die momentanen Strukturen der Versorgung können diese bereits in Anfängen erkennbare Situation nicht auffangen. Dabei wäre es sinnvoll und erhellend, wenn nicht notwendig, einen Blick in andere Systeme wie z. B. das der Niederlande zu werfen. Hier besteht beispielweise in Nijmegen mit »parkinsonnet« ein Netzwerk mit über 3.000 Helfern, vom Neurologen über Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und Pflegekräften, unterstützt von der holländischen Parkinson-Patientenbewegung und wissenschaftlich begleitet durch die Universität Nijmegen (www.parkinsonnet.info).

Neue Ansätze der Versorgung

In Deutschland gibt es neue Ansätze der Versorgung, die vielversprechend sind. Ein Beispiel ist die ambulante Video-unterstützte Therapie, die in zunehmenden Maß von den Krankenkassen genutzt wird. Auch »Wearables« und »Apps« gewinnen an Bedeutung, da Bewegungsprofile den Behandlern einen Überblick über den Tag oder eine Woche vermitteln können, um so die Therapie den Bedürfnissen der Patienten und dem Krankheitsverlauf anzupassen (Klucken et al. 2019). Neben der Entwicklung neuer Medikamente sind es diese technischen Helfer, die uns vor allen Dingen den Verlauf der fortgeschrittenen Krankheit zwischen den Praxisbesuchen verstehen hilft. Ferner wurden bereits erste spezifische Tageskliniken für Parkinson-Patienten in Deutschland etabliert, um ein Angebot für die Patienten zu schaffen, die für eine rein ambulante Versorgung zu (zeit)aufwändig sind, aber noch nicht zwingend stationär behandelt werden müssen (Frundt et al. 2018).

Sinnvoll vernetzte Versorgungsstruktur

In späteren Krankheitsstadien besteht die Problematik, dass Patienten nach Umzug in ein Pflegeheim aus der zuvor etablierten Versorgungsstruktur herausfallen. Oft endet damit auch die neurologische Behandlung in der bisherigen Praxis. Komplikationen sind dann die Regel. Hausärzten werden ein komplexes Therapiemanagement und erhebliche Behandlungskosten unter dem Damoklesschwert eines Regresses zugemutet. Insbesondere die Weiterführung einer komplexen Therapie im weit fortgeschrittenem Krankheitsstadien ist dann gefährdet. Natürlicher Krankheitsverlauf in Kombination mit externen Faktoren führen regelhaft zu Komplikationen. Der im August 2018 gefasste Beschluss der Landesregierung NRW, die Gründung einer Pflegekammer wie schon in einigen Bundesländern bestehend zu unterstützen und damit eine Aufwertung dieses Berufes zu betreiben, ist ein kleiner Hoffnungsschimmer in Richtung einer Verbesserung der Pflegesituation. Damit besteht die Möglichkeit von Beginn an sinnvoll vernetzte Therapiestrukturen im ambulanten und Heimsektor zu schaffen. Den Betroffenen käme es zugute und die Kosten für die Behandlung von Komplikationen durch unzureichende Pflege könnten gesenkt werden. Eine sinnvoll vernetzte Versorgungsstruktur ist in der Lage, den Anforderungen der wachsenden Patientenzahlen gerecht zu werden (Eggers et al. 2018) Dabei sind technische Systeme und patientennahe Betreuung durch zu Spezialnurses ausgebildete MFA von wesentlicher Bedeutung. Erste Entwicklungen in diese Richtung zeichnen sich ab (Kruger et al. 2017). Krankenkassen und Politik bewegen sich in der ihnen eigenen Dynamik in die grundsätzlich richtige Richtung.

Es bleiben aber trotz neuer Ansätze gegenwärtig und in absehbarer Zukunft erhebliche Probleme und Engpässe in der ambulanten Versorgung von Parkinson-Patienten bestehen. Es gibt viel zu tun!

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