Читать книгу Humboldts Innovationen - Группа авторов - Страница 13

„Lassen Sie das, mit dem Gespüle ist ja doch nichts anzufangen!“ August Wilhelm von Hofmann (1818–1892)

Оглавление

von Daniel Kirchhof

Pechschwarz, zähflüssig und ätzend vernebelt der Teer mit seinem Gestank die Sinne. In den großen Fabriken der zur Mitte des 19.Jahrhunderts aufkommenden chemischen Industrie fiel er in großen Mengen an. Die Schadstoffemissionen der schwarz rauchenden Fabriken lagen weit jenseits unserer heutigen von Klimawandel und Emissionsdebatten geprägten Vorstellungskraft. Unter den industriellen Abfallprodukten wie Schwefelsäure, Chlorbleiche oder Sulfitlauge präsentierte sich der harzige, klebrige Teer als besonders problematisch. Es hätte wohl kaum jemand gedacht, dass sich gerade aus dem Teer der Steinkohle etwas Brauchbares gewinnen ließe. Schillernde, prächtige Farben, ästhetische Genüsse und sogar medizinisch-pharmazeutischer Fortschritt – dazu schien Teer wohl kaum geeignet zu sein. Das biss sich wie sein Gestank – ein Irrtum.

Als der junge August Wilhelm Hofmann sich während seines Studiums für die synthetische Chemie zu interessieren begann, war an die spätere Blüte dieses Zweiges noch nicht zu denken. Gerade einmal 18-jährig, aufgeweckt aber ohne einen klaren Lebensplan21 , schrieb er sich 1836 an der Giessener Universität ein. Wissensdurstig und beseelt von forschendem Drang, begann nach einer zähen Zeit des Studierens mit juristischen Schwerpunkten seine intensive Beschäftigung mit der Chemie. Als Schüler und späterer Assistent Justus von Liebigs wurde Hofmann bei ihm bereits nach fünf Studienjahren gleich promoviert. Seinen Forschungen über die Synthese von Anilin, das reichlich im Teer der Steinkohle vorkommt, und dessen Möglichkeiten, verdankte er seinen späteren länder- und disziplinübergreifenden Ruhm.

Sein Vater, der Giessener Hofkammerrat und Provinzialbaumeister, Johann Philipp Hofmann, war ein vorbildlicher Bildungsbürger seiner Zeit: voll ernsten Strebens und beseelt von der Liebe zu allem Edlem und Guten. Er rühmte sich der engen Freundschaft zu Justus von Liebig22 – man blieb gern unter Seinesgleichen. Er liebte das Reisen durch Europa und diente in mehreren europäischen Adelshäusern, zuletzt beim Großherzog von Hessen. Er leitete die Erweiterungsbaumaßnahmen des Liebigschen Labors, das durch den großen Andrang internationaler Studierender aus den Nähten zu platzen drohte. Für den Vater und dessen Statusdenken war der Sohn jedoch noch alles andere als satisfaktionsfähig. Dieser klagte bei Liebig über die Unentschlossenheit und die mangelnde Motivation seines Sohnes bei dessen Studium.23 Er hätte es gern gesehen, dass sein Sohn in seine Fußstapfen tritt, stattdessen interessierte dieser sich lieber für fremde Sprachen und gab sich den ästhetischen und musischen Genüssen hin, denen er auf den gemeinsamen Reisen mit dem Vater durch Italien und Frankreich begegnet war.24 Die romanischen Sprachen und die Künste übten auf ihn eine große Faszination aus, zu fremden Kulturen fand er sehr leicht Zugang.25 Nach Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn belegte der junge August Wilhelm als Kompromiss widerwillig das Fach Jura mit der Aussicht auf ein Brotstudium zum Staatsbeamten. Damit konnte er sich nur schwer anfreunden, zog es ihn doch noch immer zu den romanischen Philologien und den Künsten zurück.

Doch Teil der universitären Ausbildung für zukünftige Verwaltungs- und Staatsbeamte war zu dieser Zeit auch der Erwerb chemischer Grund- und Fachkenntnisse. Liebig meinte ein großes Potenzial bei dem Jungen feststellen zu können und entgegnete dessen Vater: „Gib ihn mir, ich will sehen, was sich aus ihm machen lässt, er ist ja ein guter Bursche, und dumm ist er gewiss nicht, vielleicht hat er den richtigen Weg (noch) nicht gefunden.“26 Wie ein Magnet zogen Liebigs Lehrmethoden dann den jungen Studierenden an. In Liebigs Labor wurde Hofmann in die chemische Analytik eingeführt. Die dabei aufkommende Faszination des Neuen, des erlebbaren Forschens, beflügelte den jungen Hofmann. Vergessen waren die mühevollen Studien der Rechtswissenschaften. Künste und fremdsprachige Philologien fanden nur noch zu gelegentlicher Stunde des musischen Kusses Aufmerksamkeit. Die Begeisterung für naturwissenschaftliche Bereiche, allen voran der Chemie brach in ihm aus.27

August Wilhelm studierte bis zu seiner Promotion am 9.April 1841, einen Tag nach seinem 23.Geburtstag. Sein Doktorexamen bestand er summa cum laude und erlangte gleichzeitig die venia legendi, womit er fortan nicht nur lehrfähig, sondern auch lehrbefugt war.28 Auch nach der Promotion arbeitete der junge August Wilhelm nun als Liebigs Assistent forschend weiter.

Wieder war es der Zufall, der ihm den weiteren Weg ebnete. Den Liebigschülern Ernst Sell und Conrad Zimmer war in ihrer gemeinsamen Fabrik die Destillation von Teer gelungen. Ihrem Lehrmeister schickten sie eine Probe des dabei entstandenen Steinkohleteeröls. Diese gab Liebig an Hofmann zur Untersuchung weiter.29 Über dieses lästige Nebenprodukt der Koksherstellung und Gasbereitung war bislang nur wenig bekannt. Hofmann machte sich die Erkenntnisse, die von Runge und Laurent vorlagen, zunutze. Mit der Erlaubnis von Ernst Sell bereitete August Wilhelm Hofmann in der besagten Offenbacher Fabrik selbst größere Mengen des Basengemisches zu. Wenig später kehrte Hofmann mit zwei Kilogramm des Basengemisches30 nach Gießen zurück. Im Labor Liebigs gelang ihm der Nachweis der Anilinbase sowie der Leukolbase im Steinkohleteer. 1844 gelangte er zu dem Ergebnis, dass all jene Substanzen, die die russischen Chemiker Fritzsche und Zinin aus verschiedenen Benzolen gewonnen hatten, so verschieden ihre chemische Herkunft auch ist, dieselben chemischen und physikalischen Eigenschaften haben. Er hatte sich die tiefgreifende Erforschung der Teerbasen, deren Synthese und ihrer möglichen industriellen Verwendbarkeit in den Kopf gesetzt. Daran konnten die mahnenden Worte seines Professors und Lehrmeisters, Justus von Liebig: „lassen Sie das, mit dem Gespüle ist ja doch nichts anzufangen!“31 , nichts mehr ändern. Es stellte sich später heraus, dass sich der führende Chemiker seiner Zeit damit irrte. 1843 veröffentlichte Hofmann seine erste eigenständige Forschungsarbeit, in der er seine chemischen Untersuchungen der organischen Basen im Öl des Steinkohleteers verschriftlichte.32 Damit veröffentlichte er neueste Erkenntnisse über die Anilin-Base. Anilin besitzt eine ungeahnte Verwandlungskraft und wurde durch die Arbeit Hofmanns der Ausgangspunkt der modernen Farbchemie.

Der Name des Anilins leitete sich aus der arabischen Farbsilbe „anil“ für blau ab. Hofmanns Forschen und Wirken galt fortan nur noch dem Anilin und seiner abwandelbaren Stoffe. Seine Arbeiten waren für die aufkommende chemische Industrie von maßgeblicher, Impuls gebender Bedeutung. War Hofmann bis dahin von rein theoretischen Interessen und Erkenntnisdrang getrieben, so wurde sein Forschen in den Jahren nach der Promotion zunehmend praktischer ausgerichtet. Er erreichte als erster die direkte Chlorierung des Anilins über den Weg der gechlorten Anilinderivate. Hofmann gelang es dabei auch, weitere chemische Wesensmerkmale und Eigenschaften des Anilins herauszustellen.

Bei seinen Forschungen arbeitete Hofmann eng mit der Industrie zusammen. Das Öl des Steinkohleteers enthielt nur geringe Mengen des Anilins, so dass Hofmann mit industrieller Hilfe einen Weg finden konnte, den kostbaren Stoff Anilin leichter herzustellen. Dies gelang durch den Nachweis, dass die leicht siedenden Anteile des Teeröls große Mengen Benzol enthalten, dessen nahe Beziehung zum Anilin ihm bereits bekannt war. Indem er das Benzol in Gegenwart von Schwefelsäure mit starker Salpetersäure behandelte und das so gewonnene Nitrobenzol durch naszirenden Wasserstoff in Anilin verwandelte, beschritt er zuerst den Weg, auf dem noch bis weit nach seinem Tod die für die Teerfarbstoffe erforderlichen Anilinmengen gewonnen wurden.33

Hofmanns Ansehen wuchs. 1844, im Jahr nach dem Tod seines Vaters, veröffentlichte er seine Untersuchungen über Chloranil und im Jahr darauf eine Abhandlung „über die Metamorphosen des Indigos und die Erzeugung organischer Basen, welche Chlor und Brom enthalten“.34 Für diese Arbeit erhielt er von der Société de Pharmacie de Paris eine Verdienstmedaille und ein Preisgeld über 200 Francs. Hofmann gelang es, fachübergreifende Kontakte zu knüpfen. 1845 hielt er ein kurzes Gastspiel an der Bonner Universität. Hofmanns Werk war die Voraussetzung für weitere medizinische und pharmakologische Forschungen wie sie dann Robert Koch, Ernst Schering oder Paul Ehrlich durchführten. Teer war durch die Arbeit Hofmanns zum Ausgangsmaterial der industriellen organischen Chemie geworden.

Ein weiterer Zufall sollte den Weg Hofmanns bahnen. Zu den Beethoven-Feierlichkeiten im Herbst 1845 stellte sich bei einem Besuch des englischen Königspaares in Bonn heraus, dass August Wilhelm Hofmann dieselben Zimmer bewohnte, die der Prinzgemahl seiner Zeit als Student innegehabt hatte. Bei der königlichen Visite der Zimmer begegneten sich Hofmann und der Prinzgemahl erstmals. Diese Gelegenheit nutzte er zu einer Versuchsvorführung verschiedener Experimente. Das Königspaar war beeindruckt. Den Prinzgemahl imponieren die Erscheinung und die Kompetenz Hofmanns sogar so sehr, dass er ihn ausdrücklich nach England wünschte. In London sollte ein College of Chemistry gegründet werden. Auf Empfehlung Liebigs und durch die Zimmeranekdote wurde Hofmann mit dem Vorsitz des Gründungskomitees betraut. Von 1845 an war er Lehrstuhlinhaber und Rektor des „Royal College of Chemistry“. Seine Lehre brachte in der Folgezeit zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten hervor. Eine gute Beobachtungsgabe, Freude an wissenschaftlicher Forschung, seine Didaktik und die fürsorgliche Betreuung seiner Schüler zeichneten ihn aus. Als englischer Staatsbeamter profitierte er von seinen ehemals erworbenen ausgeprägten Fremdsprachenkenntnissen. Er bereiste – wann immer es möglich war – den europäischen Kontinent, den Orient, Teile Afrikas und Nordamerikas. 1851 gelang es ihm, bei der Eröffnung der North-Pacific-Bahn anwesend zu sein. In England war seine Vertrauenswürdigkeit so hoch, dass er schließlich auch königlicher Vertrauter wurde.

Hofmann setzte in England seine früheren Untersuchungen zum Anilin fort. Er entdeckte das Umwandlungspotenzial der reaktionsfreudigen Base. Er wies die Existenz zahlreicher Derivate und Abwandlungsformen des Anilins nach und entdeckte den Anilinfarbstoff, mit dem es gelang, Textilien, Papier, Leder, Federn und andere wertvolle Stoffe mit prächtigen und schillernden Farben zu versehen. Durch seine Forschungen verhalf Hofmann der Teerfarbenindustrie zu einem ungeahnten Boom.35 Nun war Hofmann ein gemachter Mann von Wohlstand und Ansehen. Die hofmannschen Anilinfarben wurden in der Lederverarbeitung, im Papierdruck, in der Textilfärbung und schließlich auch in der Pharmakologie verwendet. Hofmann hatte daran entscheidenden Anteil. Das nach ihm benannte „Hofmann-Violette“ dominierte mehrere Jahre die Mode.36 Er hätte „Global-Player“ in England bleiben können, er wäre wohl immer gebraucht worden. Doch das Heimweh in deutschsprachige Gefilde und der späte Ruf an die Berliner Universität führten ihn in seine Heimat zurück.

Kaiser Wilhelm I. hatte Hofmann 1867 nach Berlin geholt. Hofmann entsprach mit seinem Forschergeist und unternehmerischen Gespür den Humboldtschen Idealen von Forschung, Lehre sowie umfassender Bildung bei gleichzeitiger Spezialisierung in der eigenen Disziplin. In Berlin ging es weiter wie bisher: Auch hier wurde er kaiserlicher Berater. 1867 gründete Hofmann zusammen mit Adolph von Baeyer, C.A. Martius, C. Schäbler und Ernst Schering die Deutsche Chemische Gesellschaft nach dem englischen Vorbild der ebenfalls durch Hofmann gegründeten Royal Society of Chemistry.37 Auch über die Deutsche Chemische Gesellschaft arbeitete Hofmann in enger Verknüpfung mit der Industrie. Durch die von ihm erforschten Kenntnisse des Anilins profitierten unter anderem die 1873 gegründete Aktiengesellschaft für Anilin-Farbstoffe (Agfa) und die fünf Jahre nach seinem Tode ins Leben gerufene Badische Anilin- und Soda-Fabrik (BASF).

Die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität bereicherte Hofmann schließlich durch seine insgesamt 25 Jahre währende Lehre und ein kurzes Rektorat, das er 1880/81 innehatte. Trotz großer Skeptiker und Widersacher aus anderen Disziplinen bewirkte er die Gründung des ersten Chemischen Labors an der Universität zu Berlin und stockte den damals schon sehr knapp bemessenen Etat oft aus eigenen Mitteln auf – Geld, das er oft nicht wieder sah. Der Bau des Laborgebäudes in der Georgenstraße zog sich durch Mangel an Etatzuschüssen über mehrere Jahre hin, da die Baukosten möglichst gering gehalten werden sollten, weil der Chemie im Vergleich zu anderen Disziplinen keine große Bedeutung beigemessen wurde.38 Dank Hofmann, der 1888 auch noch geadelt wurde, sollte sich das über die folgenden Jahre aber noch gehörig ändern. Am 5. Mai 1892 verstarb er, der Arbeitswütige, natürlich während seiner Arbeit in Berlin.

Humboldts Innovationen

Подняться наверх