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1. Das expressive Gottesdienstverständnis: Liturgische Anthropologie nach Schleiermacher 1.1 Formel und Definition

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Geht es um den Gottesdienst, zitieren evangelische Liturgiker oft und gern die sogenannte «Torgauer Formel»4. Im Gottesdienst geschieht nach Martin Luther (WA 49, 588) nichts anderes, «als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang». Viele, die mit Luther beginnen, setzen mit Schleiermachers Unterscheidung des herstellenden und darstellenden Handelns fort.5 Die beiden Definitionen stehen freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Während Luther das gottesdienstliche Geschehen als Rede von Gott zu Gott beschreibt, zielt Schleiermachers Konzeption auf die zwischenmenschlich-rituelle Kommunikation. Die Spannung, die zwischen den beiden Ansätzen zutage tritt, lässt wiederum nach Formeln fragen, die sowohl den theologischen wie den humanwissenschaftlichen Aspekt berücksichtigen. Eine Definition von Peter Cornehl, die häufig von Praktischen Theologen zitiert wird, integriert die beiden Hinsichten wie folgt:

Im Gottesdienst vollzieht sich das «darstellende Handeln» der Kirche als öffentliche symbolische Kommunikation der christlichen Erfahrung im Medium biblischer und kirchlicher Überlieferung zum Zwecke der Orientierung, Expression und Affirmation.6

Die Integration von allgemeiner und besonderer Kommunikation – man könnte auch von Form und Inhalt sprechen – wird über die Funktionen hergestellt. In dieser Formel ist die Spur von Schleiermachers Unterscheidung noch deutlich zu erkennen, während sich freilich die Spur Luthers verliert. Gottes heiliges Wort wird gleichsam übersetzt in christliche Erfahrung und aus dem Handeln Gottes wird über das Medium der Erfahrung ein Handeln der Kirche. Diese Definition entwirft eine Sicht des liturgischen Handelns, die wir fortan expressiv nennen. |12|

Sie ist insofern theologisch unterbestimmt, als sie darauf verzichtet, Gottes Selbstmitteilung in die Mitteilung der Liturgie einzuzeichnen. Dass der biblischen und kirchlichen Überlieferung eine (wie auch immer verstandene) Offenbarung vorausgeht, wird zwar nicht bestritten, aber in dieser Vor(an)stellung auch nicht länger thematisch. Damit verliert die Rede von Gott in der Rede über den Gottesdienst an Bedeutung. Denn wenn die göttliche Rede nur voran- und vorausgesetzt wird, spielt sie für die Wahrnehmung der Unterredung im Gottesdienst keine Rolle mehr. Die Wahrnehmung der Liturgie steht unter dem Prinzip etsi deus non daretur.

Die damit gegebene einseitige Wahrnehmung der Kommunikation hat eine Aufspaltung in eine liturgische Theologie und Anthropologie zur Folge. Sie verbindet sich gleichsam natürlich mit einer Tendenz zur disziplinären Aufteilung. In der Konsequenz von sachlicher Aufspaltung und fachlicher Aufteilung gibt es folglich einerseits eine Gottesdiensttheologie, die Liturgie im Binnenraum des Symbolsystems dogmatisch reformuliert, und eine stärker anthropologisch fundierte Liturgik, die das Gottesdienstliche auf dem Hintergrund einer human- oder sozialwissenschaftlichen Theorie der symbolischen und rituellen Kommunikation allgemein reflektiert. Die aufgeteilte Optik – um nicht zu sagen: das Schielen – ist typisch für die evangelische Liturgiewissenschaft im deutschsprachigen Raum.7

Wir wollen nun aber unsererseits keine Einseitigkeiten produzieren. Aufgabenteilungen und Perspektivendifferenzierungen haben zweifellos ihren Sinn. Die Übersetzung der religiösen Rede von Gott in eine wissenschaftliche Rede über den Glauben ist ein Leitprinzip der aufgeklärten Theologie. Historisch betrachtet, bildet die Rationalisierung des Religiösen den Hintergrund für die enzyklopädische Erfassung der Theologie in ein in sich differenziertes wissenschaftliches System. Zu den Vorzügen einer damit gegebenen Form-Inhalt-Unterscheidung gehört u. a. die Möglichkeit der Ausdifferenzierung funktionaler Bezüge, wie dies die oben zitierte Formel deutlich macht. Mit der Bestimmung des Gottesdienstes als darstellendem Handeln kann dieser einerseits vom Unterricht, der Diakonie oder der Mission als herstellendes Handeln abgegrenzt werden. Andererseits erweitert die zitierte Definition mit der Trias «Orientierung, Expression und Affirmation» die Perspektive von Schleiermachers Ansatz. Sie bleibt aber zugleich dem grundlegenden Impetus treu, Liturgie als Ausdruck der menschlichen Religiosität zu verstehen.

Die eigentliche Pointe dieses Ansatzes tritt in ihrer Verbindung zur Theorie der Feier zutage, wie sie Schleiermacher in der «Praktischen Theologie» formuliert |13| hat.8 Darstellen – sagt er dort – hat seinen Zweck in sich selbst. Es nützt nichts, stellt nichts her und zielt nicht auf Produktion. Menschen, die Gottesdienst feiern, kommen zur Betrachtung und Besinnung zusammen, unterbrechen ihre Geschäftstätigkeit und werden durch die «Circulation der religiösen Gefühle» geistlich in Schwung gebracht. Im Spielraum der Feier kommen Gefühle auf: Gefühle der Erbauung, der Ergriffenheit, Erhebung und Ergötzung des Gemüts. In ihnen und durch sie bekommen die Beteiligten eine Ahnung vom Reich Gottes. Sie sind der Tempel, in dem der Glaube wohnt. Liturgie ist darum – um den Begriff «Darstellung» stärker zu akzentuieren – als aktualisierendes Ausdruckshandeln zu verstehen, insofern das Gefühl durch religiöse Virtuosität in der Gemeinschaft der Gläubigen geweckt und in Schwung gebracht wird.

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