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Einleitung – die These
ОглавлениеGottesdienst der Kirche ist eigentlich ein Pleonasmus. Gibt es einen nicht-kirchlichen christlichen Gottesdienst? Welche andere Gemeinschaft soll die Liturgie der Christinnen und Christen feiern? Wo Gottesdienst gefeiert wird, ereignet sich Kirche.1 Das ist sicher unbestritten und doch nicht selbstverständlich. Denn die Rede vom Gottesdienst der Kirche setzt voraus, dass die Kirche an ihrer Liturgie wiedererkannt wird, was wiederum eine Einheit bzw. Wiedererkennbarkeit der Liturgie bedingt. Von der Einheit kommt man zur Apostolizität, Heiligkeit und Katholizität der Kirche und von daher zur Frage, wie es in der zerstrittenen und gespaltenen Christenheit um das Bewusstsein für die Una Sancta steht.
Es steckt also viel in der Klammer «Gottesdienst der Kirche». Das Bewusstsein für diese – im eigentlichen Sinne des Wortes – bedeutungsvolle Dimension des Gottesdienstes ist aber nicht in allen Konfessionen im selben Maße ausgeprägt. Im europäischen und insbesondere im deutschschweizerischen Kontext neigen vor allem die Reformierten dazu, stärker den Gottesdienst der Gemeinde zu betonen. In der Deutschschweiz gab und gibt es bis heute keine verbindliche Agende. Das hatte zur Folge, dass sich auf der Basis von minimalen Vorgaben, die in der Kirchenordnung, im Kirchenbuch oder im Gesangbuch festgehalten werden, lokale Gottesdiensttraditionen entwickeln konnten. Die historischen Hintergründe für diese Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Gottesdienstkultur sind hinlänglich bekannt und andernorts beschrieben.2 Sie müssen hier nicht weiter erläutert werden.
Wir wollen uns in unserem Beitrag nicht primär damit beschäftigen, sondern einen anderen Weg beschreiten. Im Fokus unseres Interesses ist eine bestimmte fundamentalliturgische Konstellation, die hinter der Entscheidung gegen ein agendarisches Gottesdienstkonzept steht, wenn sie auch weder historisch noch systematisch darauf reduziert werden kann. Uns interessiert das Verhältnis von |10| Expression und Formation, also die Frage, wie der Zusammenhang von Darstellung der Liturgie durch die Gemeinschaft der Feiernden und Prägung der am Gottesdienst Beteiligten durch die Liturgie bestimmt werden muss. Der Blick geht dabei über den hiesigen deutschschweizerischen Kontext hinaus in die USA, wo seit Jahren lebhaft über liturgische Anthropologie debattiert wird. Wer sich auf diese Debatten einlässt, wird erstaunt feststellen, dass auch reformierte Theologinnen und Theologen dezidiert für ein formatives Verständnis der Liturgie votieren und sich von einem expressiven Verständnis abwenden. Diese Präferenz ist deshalb auffällig, weil sie in einer gewissen Spannung zum Prinzip der liturgischen «Gestaltungsfreiheit» steht und nach einer stärkeren Beachtung der Form ruft. Welche Konsequenzen hat diese Gewichtsverschiebung auf die Wahrnehmung des kirchlichen Gottesdienstes? Welches Menschenbild und welches Verständnis von Ritus stehen hinter der Präferenz des formativen Handelns? Inwiefern kann eine solche Sicht der ständigen Reform des reformierten Gottesdienstes im Kontext der Deutschschweiz Impulse verleihen? Und welche Folgen hätte eine reformierte Liturgie der Kirche für den Gemeindegottesdienst vor Ort?
Wir finden, es lohnt sich, die Debatte jenseits des Atlantiks zur Kenntnis zu nehmen, den aufgeworfenen Fragen nachzugehen und die angezeigte Dialektik zu vertiefen. Dies kann im Rahmen eines solchen Beitrags nur skizzenhaft geschehen.3 Wir wollen einen Akzent setzen und zur Auseinandersetzung einladen, indem wir einen Verdacht formulieren. Wir sind der Meinung, dass sich die liturgische Diskussion der Evangelischen in eine Sackgasse manövriert, wenn sie einem expressiven Liturgieverständnis folgt, das u. a. auf Schleiermacher rekurriert. Mit diesem Verdacht geht es uns weniger darum, eine Schleiermacherdebatte vom Zaun zu reißen, als vielmehr darum, die unaufgebbare Dialektik von menschlichem und göttlichem Wirken im gottesdienstlichen Handeln kritisch zu diskutieren. Diese Dialektik halten wir für grundlegend. Wird sie aufgelöst, gerät das theologische Verständnis des Gottesdienstes in eine Schieflage. Wir behaupten, dass liturgisches Handeln – im doppelten Sinne des Wortes als Handeln der Liturgie und Handlung an der Liturgie – von einem pneumatisch-formativen Standpunkt her besser verstanden werden kann. Fasst man liturgisches Handeln hingegen grundsätzlich expressiv auf, so verunmöglicht dies, dass Liturgie als Ineinander von gottlichem und menschlichem Handeln gedacht werden kann.
Das will begründet sein. In einem ersten Schritt referieren wir, ausgehend von Schleiermachers Unterscheidung des darstellenden und wirksamen Handelns und der Rezeption in der evangelischen Liturgik, den expressiven Ansatz (1), um in einem zweiten Schritt den formativen Ansatz im Anschluss an James K. A. Smith eingehender vorzustellen (2). In der kurzen Konklusion zeigen wir auf, wie ein |11| Liturgieverständnis auf der Grundlage der Formation zur Reform des kirchlichen Gottesdienstes anleiten und sie begleiten kann (3).