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Vorwort
«Eine Kirche schafft sich keine Liturgie an,
so wie sie sich eine Orgel anschafft,
sondern sie tritt in einem bestimmten Augenblick
in den Gottesdienst der Kirche ein.»
Gerardus van der Leeuw
Überall dort, wo Gottesdienst gefeiert wird, geschieht dies auf der Grundlage einer gegebenen Liturgie. Die Liturgie einer Kirche ist allerdings keine statische Größe, sondern das Resultat einer geschichtlichen Entwicklung, die als solche nie abgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Liturgie lebt im Horizont der Tradition und wird weiter tradiert.
Dies bedeutet einerseits, dass keine liturgische Form eine ein für alle Mal gültige Gestalt hat. Was tradiert werden kann, muss reformierbar bleiben. Andererseits wird aber deutlich, dass liturgische Formen auch nicht das Resultat einer vermeintlich «freien» Gestaltung durch Individuen und Gemeinschaften sein können. Ein solches Verständnis würde dem Phänomen «Liturgie» ebenfalls nicht gerecht. Denn, wie das oben angeführte Zitat aus Gerardus van der Leeuws Liturgiek (Nijkerk, 21946) betont: Liturgie wird nicht «angeschafft». Sie ist kein Gegenstand, der hergestellt oder erworben werden kann. Wenn mit liturgischen Fragen im Sinne einer traditionsvergessenen «Gestaltungsfreiheit» umgegangen wird, kann man daher nur auf Irr- und Holzwege geraten.
Jegliche Frage nach Liturgiereform muss somit die Tradition berücksichtigen. Aber von welcher «Tradition» ist hier die Rede? Ist der Usus einer Konfession, einer Territorial- oder diözesanen Ortskirche oder gar die gewohnte Gottesdienstfeier einer lokalen Gemeinde gemeint? Bliebe man auf einer dieser Ebenen stehen, hätte man zwar den Vorteil einer historischen Verortung. Wer so ansetzt, setzt sich aber umso mehr der Gefahr eines «musealen» und sich seiner Vereinzelung im Gesamt der Überlieferung nicht bewussten Umgangs mit der Geschichte der Liturgie aus. Ein rein historisches Verständnis dessen, was überliefert ist, verlangt, nicht zu schnell mit den alten Gewohnheiten und Usancen – wie sich diese auf lokaler, landeskirchlicher, diözesaner oder konfessioneller Ebene ergeben haben – zu brechen.
Gerardus van der Leeuw schlägt ein anderes Verständnis von Tradition vor. Wir halten es für verheißungsvoller. Seine Pointe wird durch die Setzung des unbestimmten und bestimmten Artikels noch schärfer. Er sagt, dass eine Kirche, wenn sie Gottesdienst feiert, in den Gottesdienst der Kirche eintritt. Damit wird zweierlei deutlich: Erstens geht die Tradition, auf die man sich in liturgischen Fragen beziehen sollte, über die lokale, landeskirchliche oder diözesane und auch |8| konfessionelle Ebene hinaus. Gottesdienst kann nur im Horizont des Gottesdienstes der una, sancta, catholica et apostolica ecclesia gefeiert werden. Es geht also nicht in erster Linie um die Pflege bestimmter Gewohnheiten, sondern im Horizont der liturgischen Geschichte der gesamten Kirche Jesu Christi um einen kritischen Blick auf das an einem bestimmten Ort Gegebene und historisch Gewachsene. Zweitens wird deutlich, dass die Vernachlässigung dieser kirchlichen Perspektive Folgen haben muss. Denn eine Kirche, die nicht mehr den Gottesdienst der Kirche feierte, würde zwar etwas feiern, aber ihre Feier wäre kein Gottesdienst mehr.
Im vorliegenden Sammelband wird die kühne Frage nach dem Gottesdienst der Kirche gestellt. Gibt es ihn im Sinne einer idealen Referenzgröße? Was macht ihn aus? Wie wird der eine Gottesdienst in verschiedenen Formen, aber dennoch erkennbar einheitsstiftend gefeiert? Dabei werden Stimmen aus verschiedenen konfessionellen Traditionen laut, unter anderem auch aus der anglikanischen Kirchengemeinschaft, in der 2012 das 350. Jubiläum des «Buchs des gemeinsamen Gebets» (Book of Common Prayer, 1662) für die Kirche von England gefeiert wurde.
Die Beiträge gehen zum Teil auf Referate zurück, die im Rahmen einer gemeinsam vom Lehrstuhl für Praktische Theologie (Universität Zürich) und dem interdepartementalen Kompetenzzentrum Liturgik (Universität Bern) im Juni 2012 in Zürich veranstalteten Tagung gehalten wurden, zum Teil sind sie speziell für diesen Sammelband entstanden. Für alle Beiträge ist die Frage nach der Wirkung der Liturgie leitend. Was macht das «gemeinsame Beten» mit der betenden Gemeinde? Was für eine Wirkung entfaltet es? Ist es bloß Ausdruckshandeln und sich Gott zuwendender Lobpreis der Gemeinde oder muss es vielmehr – theologisch – als eine Praxis betrachtet werden, derer sich Gott bedient, um (trans)formativ auf die Gemeinde zu wirken?
Der vorliegende Sammelband hat selbstverständlich nicht den Anspruch, diese Fragen endgültig zu beantworten. Er enthält aber programmatische Beiträge, die pointiert formuliert sind und – wie wir überzeugt sind – durch die Qualität ihrer Argumente die weitere Diskussion anregen werden.
Für einen großzügigen Publikationszuschuss danken wir dem Louis- und Eugène Michaudfonds des Departements für Christkatholische Theologie der Universität Bern. Dem Theologischen Verlag Zürich, insbesondere der Verlagsleiterin Lisa Briner Schönberger und ihrer überraschend verstorbenen Vorgängerin Marianne Stauffacher, sind wir erkenntlich für die gute Zusammenarbeit.
Luca Baschera, Angela Berlis und Ralph Kunz