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1.3 Zur Dialektik menschlichen und göttlichen Handelns
ОглавлениеDas alles ist nicht gegen die expressive Funktion der Liturgie gesagt, die wir selbstverständlich nicht bestreiten. Uns liegt vielmehr daran, die Dialektik des menschlichen und göttlichen Handelns stark zu machen und zugleich aufzuzeigen, was verloren geht, wenn die daraus resultierende Spannung einseitig aufgelöst wird. Es würde zu weit führen, ausführlicher auf die systematisch-theologischen Debatten einzugehen, in der die religionsphilosophischen Grundlagen einer expressiven und formativen Position entfaltet, bekämpft und verteidigt wurden.12 |15| Wir wollen wenigstens erwähnen, dass unsere Sicht der Liturgie und Liturgik nicht originell ist.13 Um das Ineinander präziser zu bestimmen, folgen wir Michael Meyer-Blanck, der im kritischen Anschluss an Daniel Friedrich E. Schleiermacher und Ernst Lange den Gottesdienst mit der Formel Mitteilung und Darstellung des Evangeliums versteht. Vor allem an Schleiermachers Gebetsverständnis erkennt man nämlich deutlicher, warum die geforderte Dialektik mit einer religionstheoretisch basierten und expressiv orientierten Liturgik nicht eingehalten werden kann.
Schleiermacher versteht das Beten als ein Einstimmen in die regierende Tätigkeit Christi.14 Beten ist gewissermaßen Gottesdienst in Reinform, weil hier der Charakter des wirksamen Handelns absolut zurücktritt.15 Zugleich ist ein Übergang im Blick. Religiosität tritt von Innen nach Außen. Schleiermacher denkt diesen Übergang vom Gefühl zum Ausdruck nicht einseitig, sondern wechselseitig. Erst «durch die mitteilende und erregende Kraft der Äußerung»16 kommt es zur Erweckung des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit. Schleiermacher spricht in seiner «Theorie des Gebets» von einem Fixieren des Gefühls durch den Gedanken und des Gedankens wiederum durch das Aussprechen.17 Der Leitgedanke dieser rational durchgebildeten und aufklärungstheologisch geläuterten Gebetslehre lässt sich als doppelter Widerstand fassen: Sie macht erstens Front gegen die magische Auffassung des Gebets. Beten soll gänzlich befreit vom Beeinflussen-Wollen Gottes als reiner Ausfluss der religiös erregten Seele gedacht werden. Schleiermacher bezieht zweitens Front gegen ein dogmatistisch und moralistisch enggeführtes Religionsverständnis, indem er mit dem Erleben des frommen Selbstbewusstseins auf eine eigene Provinz des Religiösen verweist. Mit eben dieser konsequenten Zuordnung zum darstellenden Handeln stößt Schleiermachers Gebetsverständnis aber auch an seine Grenzen.
Michael Meyer-Blanck bringt die theologische und spirituelle (bzw. psychologische) Problematik von Schleiermachers Gebetsverständnis wie folgt auf den Punkt: |16|
[D]as Gebet hat fast immer auch ein starkes wirksames Moment. Das gilt biblisch nicht nur im Hinblick auf das Bewusstsein von Gott, sondern auch im Hinblick auf das Handeln Gottes selbst.18
Natürlich ist mit dieser Kritik nicht der Stab über Schleiermachers Gebetslehre gebrochen. So kann man, wie Meyer-Blanck feststellt, von Schleiermacher neu lernen, dass Beten ein mehrdimensionales Geschehen ist, in dem das Hören und Gewahrwerden eine hohe Bedeutung hat.19 Schleiermachers Konzeption einer Erhöhung des religiösen Selbstbewusstseins gibt auch ein gewichtiges Argument gegen den schlechten Stil belehrender Gebete an die Hand. Aber eine Grundproblematik der religionstheoretischen Argumentation lässt sich gleichwohl – auch und gerade in der Begründung berechtigter Anliegen – erkennen. Diese liegt darin, dass die Gottesdienstlehre sich nicht ohne Verluste auf eine Religionstheorie reduzieren lässt. Daran erinnert die liturgische Fundamentaltheologie. Die fundamentaltheologische Gottesdienstlehre achtet nämlich auf die Verschränkung von Dogmatik und Empirie.
Sie ist eine der Praxis des Evangeliums, der Rede von Gott und der Feier Gottes nachdenkende Theorie, die vom bekennenden Reden und Feiern nicht getrennt werden kann und darum auch nicht ins Abstrakte verflüchtigt werden darf.20
Meyer-Blanck benennt die Gefahr der «wechselseitigen Selbstisolation von Liturgik und Homiletik» und fordert eine verschränkte Reflexion in einem bestimmten Interpretationsrahmen. Sein Fokus ist das Verhältnis von Wort und Ritus. Problematisiert wird aus dieser Warte eine reduktionistische Interpretation der Torgauer Formel.
Für Luther ist die Predigt – nahezu in Parallele zu gegenwärtigen rezeptionsästhetischen Überlegungen – das gemeinsame Werk von Prediger und Gemeinde. […] Das Wort Gottes tritt also durch Reden und Hören zugleich in Geltung. Schon von daher verbietet sich eine Aufteilung gottesdienstlichen Geschehens in das Reden Gottes durch die Predigt und das Reden der Gemeinde durch die Antwort in Liedern und Gebeten. Es ist komplizierter. Gottes Handeln und das Handeln der Menschen lassen sich nicht säuberlich voneinander unterscheiden.21 |17|
Dem Auseinanderfallen der Perspektiven will Meyer-Blanck mit einer zeichentheoretisch inspirierten praktisch-theologischen Hermeneutik und Bildungslehre begegnen.22 Man könne der Schwäche von Schleiermachers Systems auch dadurch begegnen, «dass die religionstheoretische Kategorie des ‹stärker erregten religiösen Bewusstseins› durch den religiös gebrauchten biblischen Begriff des ‹Evangeliums› ersetzt wird».23