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2.3 Intentionalität, Verlangen und «imagination»

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Der Reflexion des Zusammenhangs von gemeinschaftlicher Praxis und (Charakter-)Bildung hat Smith bisher zwei Monografien gewidmet, welche die ersten beiden Teile eines auf insgesamt drei Bände angelegten Projekts darstellen.53 Im Blick auf die christliche Bildung möchte er die «Bildungsrelevanz des Gottesdienstes» (formative importance of worship) herausstellen.54 Damit distanziert er sich von einer in seinen Augen einseitigen Interpretation christlicher Bildung als Vermittlung einer «christlichen Weltanschauung» (Christian worldview).55 Die |26| Wichtigkeit der Entwicklung eines solchen, von der christlichen Botschaft geprägten Gesamtverständnisses der Wirklichkeit möchte er gar nicht in Frage stellen.56 Vielmehr macht er darauf aufmerksam, dass im Blick auf die Artikulierung eines vollständigen Programms christlicher Bildung auch eine Reflexion auf die formative Kraft liturgischer Praxis notwendig ist.57 Denn die an christlichen Hochschulen üblicherweise praktizierte Pädagogik setze eine reduktionistische Anthropologie voraus und verhindere deshalb die tatsächliche Entwicklung einer Christian worldview. Etliche Theoretiker der Christian worldview scheinen Smith nämlich einer modifizierten Form von Intellektualismus zu verfallen. Obwohl sie den cartesianischen Intellektualismus kritisieren und den Menschen nicht als «denkendes», sondern als «glaubendes Lebewesen» betrachten, resultiere daraus ein immer noch «sehr entkörperlichtes, individualistisches Menschenbild», welches wiederum die Entstehung einer auf die «zentrale Rolle von Verkörperung [embodiment] und Praxis» wenig bedachten Pädagogik bedingt.58 Eine solche Pädagogik vermag in den Augen Smiths höchstens zu «informieren», nicht aber zu «formen», weil sie die zentrale Rolle der Praxis im Prozess der Persönlichkeitsbildung ignoriert.59

Eine wirklich formative Pädagogik kann Smith zufolge nur insofern entwickelt werden, als die Relevanz der Liturgie für die Bildung des Menschen wiederentdeckt wird. Smith geht – in Anschluss an die phänomenologische Tradition – erstens davon aus, dass der Mensch ein grundsätzlich «intentionales» Wesen sei.60 Dies bedeutet ganz allgemein, dass der Mensch immer in Beziehung zu etwas steht, das sich wegen der Beziehung, die der Mensch dazu herstellt, jeweils als Objekt seiner Erkenntnis, seines Verlangens, seines Handelns definiert. Je nachdem, ob etwas als Gegenstand von Handeln, Verlangen oder Erkenntnis intendiert wird, geschieht die Intention in einem jeweils anderen Modus. Zweitens hält Smith daran fest, dass der vorrangige Intentionsmodus des Menschen nicht kognitiver, sondern präkognitiver Natur sei. Der Mensch intendiert die Welt primär nicht als erkennendes oder beobachtendes Subjekt, sondern als involvierter Teilnehmer.61 |27| Der Mensch verhält sich somit zur Welt – wie bereits Augustinus erkannt hatte62 – primär im Modus der Liebe und des Verlangens. Drittens ist der Mensch, obwohl er die unterschiedlichsten Gegenstände zu intendieren vermag, in einem viel grundlegenderen Sinne immer auch auf etwas Letztgültiges ausgerichtet. Dieses Letztgültige ist das verborgene Ziel hinter all den kleinen Zielen, die er jeweils verfolgt. Es ist das, was der Mensch über alles und hinter allem liebt, das höchste Gut, nach dem er strebt, und der «Gott», den er anbetet.63 Der Mensch ist also nicht nur ein intentionales, liebendes Wesen, sondern hat immer auch eine Grundintention, die seine Gefühle, seine Denk- und Handlungsweise prägt und damit seine Identität ausmacht.64 Dabei ist – im Sinne der zweiten Prämisse – das, wonach er strebt, nicht sosehr eine Liste klar ausformulierter Propositionen, sondern vielmehr ein «Bild des guten Lebens».65

Setzt nun aber das Streben des Menschen nach einem bestimmten Ziel nicht voraus, dass er dieses Ziel zuvor (geistig) erkannt hat? Wenn dem so wäre, schiene der angeblich präkognitiven Intentionalität, von der Smith spricht, doch ein kognitives Moment vorauszugehen.66 Auf diesen Einwand geht Smith in Imagining the Kingdom ausführlich ein. Dort gibt er zwar die Existenz einer tieferen Ebene zu, die die Intentionalität des Menschen beeinflusst, betrachtet diese tiefere Ebene aber nicht als eine Form von verstandesgemäßer Erkenntnis (intellection), sondern als «Vorstellungsvermögen» (imagination). Die imagination wird als «eine Art Vermögen» definiert, «dank dessen wir die Welt auf einer präkognitiven Ebene deuten»67 oder aber als «a kind of midlevel organizing or synthetizing faculty that constitutes the world for us in a primarily affective mode».68 Da Smith seine Theorie in stetem Dialog mit Maurice Merleau-Pontys «Phänomenologie der Wahrnehmung» entwirft, ist die große Ähnlichkeit zwischen Smiths Begriff der imagination und jenem der praktognosia, wie dieser bei Merleau-Ponty begegnet, wenig überraschend.69

Wird die Welt primär in diesem präkognitiven, emotionalen Modus intendiert, so bedeutet dies für Smith jedoch nicht, dass praktognosia bzw. imagination bloß den «Rohstoff» für die spätere verstandesgemäße Erkenntnis der Dinge liefern würden. Vielmehr stellt die imagination einerseits eine bestimmte, von der |28| «objektiven» zu unterscheidende Form von «Erkenntnis» dar; andererseits bildet sie die Bedingung der Möglichkeit für die verstandesgemäße reflektierende Erkenntnis.70 Darüber hinaus hat die Qualität unserer «Wahrnehmung» der Welt auch ethische Implikationen. Denn unsere Handlungsweise ist in dieser Perspektive durch die Art und Weise bedingt, in der wir die Welt emotional intendieren (passional orientation to the world), wobei unsere Intentionalität wiederum unserer «Wahrnehmung» bzw. imagination entspricht.71

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