Читать книгу Dimensionen schulischer Qualität im Fokus: Was macht "gute Schule" aus? - Группа авторов - Страница 8
Offene Räume – Transparenz: eine begriffliche Klärung
ОглавлениеEin häufig genutzter Begriff im Schulbau der Gegenwart ist die ‘Transparenz‘, mit der verschiedene Ansätze in der Architektur beschrieben werden.42 Für sie gibt es unterschiedlichste Interpretationen: pädagogischer, administrativer, soziologischer, oder auch städtebaulicher Art. Sie kann aber auch im architektonischen Kontext des Schulbaus stehen, und das ist der Schwerpunkt dieser Darstellung.
Die pädagogisch zu verstehende Transparenz prägt den Schulbau der Gegenwart zunehmend. Sie schafft neue Modelle, in denen vor allem die innere Aufteilung der Klassenräume und ihre Bezüge zueinander mit der Organisation des Unterrichts eng verbunden werden.43 Wesentlich dafür ist die Erkenntnis, dass sich der Schul(innen)raum vom reinen Lernraum zu einem vielseitigen Lebens- und Erfahrungsraum hin entwickelt, in dem durch Kompetenzen, Partizipation und Kooperationen wesentliche Bildungsanforderungen vorbereitet bzw. bereits umgesetzt werden.44 Dieser bedeutende Aspekt liegt jedoch, da andernorts thematisiert, außerhalb unserer Betrachtung.
In einer weiteren Auslegung des Begriffs ‘Transparenz‘ lässt sich an die Durchführung von Prozessen denken, die die Errichtung des Schulgebäudes als Bauwerk realisieren. Schulen werden heute in Bayern mit einem europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb45 an qualifizierte Planer nach einem Bewertungssystem vergeben und unter Einbindung des Sachaufwandsträgers, der Schulleitung und der Schulverwaltung bei den Regierungen ausgeplant. Für die Einbeziehung von Eltern- und Schülervertretern, von außerhalb ihrer politischen Vertreter stehender Mitglieder der betreffenden Gemeinde oder die Beauftragung von externen Schulbauberatern gibt es jedoch keine Verpflichtung. Das ist bemerkenswert, denn Beispiele aus dem Ausland legen den Schluss nahe, dass eine Partizipation der beteiligten Bürger*innen u. a. zu einer stärkeren Bindung und Mitbeteiligung am späteren Geschehen in der Schule führt.46 Die Bildungswissenschaftlerin Beate Weyland (Freie Universität Bozen) etwa richtet am Beginn eines Planungsprozesses ein sog. Bürgerbüro ein, das die Einwohnerschaft eines Ortes mittels spezieller Trainings zur Mitbeteiligung und -gestaltung einbindet. Im Vordergrund steht die Erkenntnis, dass die Schulfamilie in und mit ihrem Schulgebäude in einem vielseitigen System von Beziehungen steht.47 Zu einer Öffnung des vorbereitenden Prozesses und seiner Transparenz kann man außerdem Maßnahmen zählen, mit denen, gemeinsam mit den Nutzern, die organisatorischen Anforderungen an Schulbauten ermittelt werden. Gemeinsam mit der Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Dinsleder ermittelt der Architekt und Pädagoge Andreas Hammon in sog. Reallabors so einen ‘Lernraum der Zukunft‘. Schüler entwickeln hier in Zeichnungen und Modellen etwa das Mobiliar ihrer künftigen Schule.48 Der Architekt Jan Weber-Ebnet beteiligt Jugendliche am Entwicklungsprozess von Projekten im Stadtraum, dabei geht es auch um Schulen.49
Schule schließlich ist weiter eine Rezeption der Demokratie im Kleinen. Gut 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen des reformpädagogischen Schlüsselwerks Demokratie und Erziehung von John Dewey (1916), in dem die Schule als ein Abbild der Gesellschaft verstanden wird, sowie ein Jahrzehnt nach der Ratifizierung der sog. UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland (2009) befinden wir uns gerade mal an der Schwelle zu ersten eigenen Erfahrungen in der Umsetzung der Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft, also auch der Menschen mit Einschränkung („Inklusion“), in die sog. Regelschule. Während diese Anforderung im europäischen Ausland50 und auch in Bayern längst zu einem beachteten Thema geworden ist, ja man vom gesellschaftlichen Nutzen der Inklusion für die demokratische Gesellschaft sprechen kann (Christina Hansen, ehem. Schenz),51 ließ hierzulande eine angemessene politische Rezeption lange auf sich warten. Die Übertragung der kooperativen Anforderungen der demokratischen Gesellschaft ist auch eines der Forschungsgebiete von Wolfgang Schönig.52 Die moderne Architekturtheorie stellt dagegen den allgemein engen Zusammenhang zwischen Demokratie und Architektur heraus. Das betrifft nicht nur die unmittelbar modernen demokratischen Institutionen gewidmeten Bauten. Auch die griechische Polis, die spätmittelalterlichen reichsstädtischen Rathäuser oder die sog. Revolutionsarchitektur des Visionärs Boullée (1728-1799), dem Entwickler der Architecture parlante53– sie alle besitzen demokratische Konnotationen, sind gewissermaßen ‘politische Architektur'.54 Ein phänomenologischer Aspekt ist dabei die visuelle Idee der Transparenz, wie sie sich etwa in der Verwendung großflächiger Glasflächen in der klassischen Moderne der 1920er Jahre abbildet. Die Kunsthistorikerin Karin Wilhelm weist auf den vielbeachteten Beitrag des späteren Senators für Wissenschaft und Kunst in Westberlin, Adolf Arndt, anlässlich der Eröffnung der Berliner Bauwochen 1960 hin, in dem dieser einen Zusammenhang herstellte zwischen dem inneren Prinzip der Öffentlichkeit der Demokratie und der äußeren wie inneren Durchsichtigkeit und ‘Zugänglichkeit‘ ihrer öffentlichen Bauwerke.55 Diese Öffnung wird im Verständnis der Öffentlichkeit auch heute als baulich manifestierter Ausdruck von Demokratie verstanden.56 Es ist jedoch noch nicht hinreichend beachtet worden, dass gerade Schulgebäude Realisierungen demokratischer Architektur und daher von identitätsstiftender Bedeutung für die politische Gestaltung der Zukunft sind.
Dennoch unterliegt die beabsichtigte Erweiterung der Konzepte (und damit die Öffnung der Räume) sichtbaren Limitierungen. Der frühere Präsident des Instituts für Europäische Bildung und ehemalige Würzburger Ordinarius für Pädagogik, Winfried Böhm, macht den engen raumgebundenen Zusammenhang von pädagogischen Konzepten und den dafür begrenzten räumlichen Möglichkeiten klar. Offene Situationen im Schulbau seien zwar ein vielseitiges Desiderat, doch habe sich in der Geschichte des Bildungsbaus bisher niemals die Agora oder die Piazza als Gegenentwurf zum altgewohnten, in Architektur manifestierten (und längsrechteckigen) Schulraum etablieren können.57
Anders als im Schulhaus früherer Zeiten,58 bes. auch bei der (i. d. R. repräsentativen) Architektur von Bildungsbauten wie etwa Universitäten, Bibliotheken oder Sportstätten wird die stereotype Verwendung von typologischen Schulbaumustern indes v. a. insofern praktiziert, als sich Raumkonzepte etwa addierend pragmatischer umsetzen lassen. Die für die Förderung notwendigen Richtlinien orientieren sich, mehr als es angesichts der dynamischen Situation zu vermuten wäre, vorwiegend an Flächengrößen.59 Jedoch tragen pädagogische Konzepte und die Auseinandersetzung mit den individuellen Anforderungen einer Bereicherung zu, so dass Schulbau zunehmend wieder in einen von didaktischen und auch methodischen Erwägungen geprägten, architektonischen Diskurs eintritt. Darin werden heute weniger ästhetisch-gestalterische Aspekte betrachtet, sondern zunehmend Konzeptionen einer anwendungsorientierten Pädagogik. Für eine effiziente Verbindung beider Fachgebiete, der Pädagogik und der Architektur, kommen, zunächst noch in Einzelfällen, sog. Schulbauberater zum Einsatz. Nach Versuchen der Ausbildung geeigneter Kandidaten durch die Montag-Stiftungen (ab 2014/15) nahm ab 2017/18 PULS+ als multiprofessionelles Pilot-Projekt im gesamten deutschsprachigen Raum60 seine Arbeit auf, um Fachleute aus Architektur, Pädagogik und Bauverwaltung in einem EU-Projekt zur Begleitung von Schulbauprozessen zu qualifizieren. In Bayern bieten auch die Fortbildungsveranstaltungen der Bayerischen Architektenkammer ein geeignetes Forum.61 Die Situation des Schulbaus bildet sich zudem nun häufiger in einer Debatte ab, deren Verlauf auch in Publikationen, Fachtagungen und -exkursionen kommuniziert wird.62 Auch das Internet bietet hier einen umfangreichen Einblick.