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2.1 Beratungsphasen

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Kanfer et al. (2012) legen aufbauend auf den Vorarbeiten von Kanfer (z. B. Kanfer & Grimm, 1980) ein psychotherapeutisches Prozessmodell vor, welches von Schmelzer und Trips (1996) und Schmelzer (2000) sowie Borg-Laufs (2004) auch auf den Beratungskontext und von Borg-Laufs und Hungerige (2010) auf die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien übertragen wurde. Es handelt sich dabei um ein Modell, welches den Beratungsprozess insgesamt in sieben aufeinander folgende Beratungsphasen unterteilt, die jeweils die Bedeutung unterschiedlicher Zielsetzungen und Interventionsschwerpunkte zu verschiedenen Zeitpunkten herausstellen. Selbstverständlich kann ein solches Modell Beratungsprozesse nicht vollständig abbilden. Es geht vielmehr darum, eine praktische Orientierungshilfe zu bieten. Die Phasen des Beratungsprozesses werden in Abbildung 2.2 dargestellt ( Abb. 2.2).


Abb. 2.2: Das Modell der Selbstmanagementtherapie nach Kanfer et al. (eigene Darstellung)

Phase 1 Beziehungsaufbau: Der Schwerpunkt der beraterischen Bemühungen muss zu Beginn des Beratungsprozesses darauf liegen, dass die Klienten und Klientinnen Vertrauen zum Berater bzw. zur Beraterin fassen und ihn oder sie als professionellen Helfer zur Selbsthilfe akzeptieren und nicht etwa als »Freund der Familie« oder »Kummerkasten« betrachten. Gleichzeitig werden Setting, Vorgehen und organisatorische Fragen geklärt und bereits erste problembezogene Informationen gesammelt.

Phase 2 Aufbau von Änderungsmotivation: Aufbauend auf der beraterischen Beziehung muss im nächsten Schritt die häufig zu beobachtende Mutlosigkeit und Resignation der Ratsuchenden verringert werden und ihnen die Hoffnung auf positive Veränderungen vermittelt werden. Gleichzeitig muss dies so erfolgen, dass die Klienten und Klientinnen erkennen können, dass diese Veränderungen nur durch eigene Anstrengungen zu erreichen sind. Mit ersten Ansätzen einer Zielklärung wird versucht, eine »Zugmotivation« (im Gegensatz zu der durch Leidensdruck entstehenden »Druckmotivation«) herzustellen.

Phase 3 Diagnostik: Erst wenn eine geeignete professionelle Arbeitsbeziehung hergestellt wurde und eine hinreichende Änderungsmotivation realisiert werden konnte, werden die Ratsuchenden so offen und konstruktiv mitarbeiten, dass sie auch tabuisierte und peinliche Inhalte offen aussprechen. Obschon von Beginn des beraterischen Prozesses an auch Informationen gesammelt werden, kann diese Informationssammlung erst nach erfolgreichem Beziehungs- und Motivationsaufbau erfolgreich (vorläufig) abgeschlossen werden.

Phase 4 Zielvereinbarung: Auch über Ziele wird vermutlich schon direkt zu Beginn des beraterischen Prozesses gesprochen. Eine abschließende Festlegung der Ziele kann aber erst dann erfolgen, wenn neben erfolgreichem Beziehungs- und Motivationsaufbau auch die relevanten Informationen vorliegen, aus denen hervorgeht, welche Ziele angesichts der Lebenssituation und der persönlichen Lage der Klientin oder des Klienten realistisch sind.

Phase 5 Planung, Auswahl und Durchführung spezieller Methoden: Vor dem Hintergrund aller vorhandenen diagnostischen Informationen und der erfolgten Zielklärung sind nun spezifische beraterische Strategien und Interventionen auszuwählen und durchzuführen. Je nach den zu verfolgenden Zielen, der Lebenssituation und den persönlichen Voraussetzungen werden unterschiedliche Methoden einzusetzen sein. Wann immer möglich, sollte aus den Erkenntnissen der Beratungs- oder Psychotherapieforschung abgeleitet werden, welches methodische Vorgehen im vorliegenden Fall am ehesten erfolgversprechend zu sein scheint.

Phase 6 Evaluation: Wenn die Zielklärung erfolgt ist, wird mit der Evaluation begonnen. Vorher ist dies nicht möglich, denn ohne klar operationalisierte Ziele ist keine sinnvolle Ergebnisevaluation möglich. Diese Überprüfung der erreichten Fortschritte im Hinblick auf die vereinbarten Ziele sollte während des gesamten beraterischen Prozesses erfolgen, aber der Schwerpunkt der Evaluation mit der abschließenden Bewertung, ob etwa die Beratung beendet oder weitergeführt werden soll oder ob die Hinführung zu einer anderen Hilfeform (z. B. Jugendhilfe oder Psychotherapie) sinnvoll ist, kann ja erst dann erfolgen, wenn die beraterischen Interventionen durchgeführt wurden (Phase 5).

Phase 7 Erfolgsoptimierung und Abschluss: Im Vordergrund der Beratung muss am Ende der Alltagstransfer und die Stabilisierung der bisher erlangten Fortschritte stehen. Schwerpunktmäßig muss also darauf geachtet werden, dass die Klienten möglichst weitgehend die Fähigkeit erworben haben, in der Beratung Gelerntes auch im Alltag selbstständig umsetzen und ggf. auch mit Rückschlägen umgehen zu können (Rückfallprophylaxe). Darüber hinaus muss möglicherweise ein besonderes Augenmerk daraufgelegt werden, die beraterische Beziehung vorsichtig aufzulösen ( Tab. 2.1).

Bei dem 7-Phasen-Modell handelt es sich einerseits um ein aufeinander aufbauendes, andererseits aber auch um ein rekursives Modell. Das bedeutet zunächst, dass die einzelnen Beratungsphasen (im Idealfall) aufeinander folgen: Die Grundlage für alles beraterische Handeln ist die professionelle Beziehung (Phase 1); erst wenn diese etabliert ist, kann die Motivationsarbeit im Vordergrund stehen (Phase 2). Wenn die Beziehung stimmt und die Klientinnen motiviert sind, kann eine angemessene Diagnostik erfolgen (Phase 3), die wiederum Grundlage für die Zielklärung ist (Phase 4). Nur wenn die Beziehung stimmt, die Klientinnen motiviert sind, eine angemessene Diagnostik durchgeführt wurde und die Ziele der Beratung zwischen Klienten und Beratern geklärt sind, verspricht die Durchführung spezifischer Interventionen auch erfolgreich zu sein (Phase 5). Deren Beitrag zu einer Verbesserung der Problematik des Klienten muss dann überprüft werden (Phase 6). Sofern sich tatsächlich Erfolge eingestellt haben, kann an einer Stabilisierung und dem Abschluss der Beratung gearbeitet werden (Phase 7). Mit anderen Worten: Die Reihenfolge der Beratungsphasen ist durchaus zwingend, andere Reihenfolgen scheinen wenig sinnvoll zu sein. Dennoch – oder gerade deswegen – ist das Modell auch rekursiv. Zu jedem Zeitpunkt der Beratung kann es sinnvoll oder sogar notwendig sein, zu einer früheren Beratungsphase zurückzukehren. Wenn ein Berater oder eine Beraterin etwa in Phase 5 die für die vorliegende Problemkonstellation nach dem augenblicklichen Stand der Forschung optimal passende Intervention ausgewählt hat und diese kompetent und legis arte durchführt, es aber trotzdem nicht zu den zu erwartenden Fortschritten kommt, so muss er überprüfen, ob die Ziele der vorausgegangenen Beratungsphasen immer noch als verwirklicht gelten können: Ist die Beratungsbeziehung noch angemessen oder hat sie sich wieder verschlechtert? Ist der Klient immer noch hinreichend änderungsmotiviert oder hat seine Motivation einen Dämpfer erhalten? War die Diagnostik angemessen oder wurden wichtige Informationen übersehen? Sind Zielkonflikte übersehen worden? Häufig wird sich bei einer hinsichtlich des Erfolges stagnierenden Beratung zeigen, dass an einer der genannten Stellen Probleme aufgetreten sind, welche der Grund dafür sind, dass trotz geeigneter Interventionen kein weiterer Fortschritt zu erzielen ist. In diesem Fall kann und muss der Berater bzw. die Beraterin zu derjenigen Beratungsphase zurückkehren, deren Ziele aktuell nicht mehr verwirklicht sind und z. B. erneut die beraterische Beziehung oder die Motivation des Klienten in den Mittelpunkt der Bemühungen stellen, weitere diagnostische Informationen einholen oder erneut die Ziele gemeinsam mit dem Klienten klären. Erst danach wird es sinnvoll sein, sich wieder der Interventionsdurchführung zuzuwenden.

Tab. 2.1: Beispiel: Beratung eines 15 Jahre alten Jugendlichen mit sozialer Ängstlichkeit durch eine Schulsozialarbeiterin


PhaseSchulsozialarbeiterin (Ausschnitte aus einer Audioaufzeichnung)

Eigene Darstellung

Wie schon erwähnt, kann ein solches Modell nur als Orientierungsrahmen gelten. Es dürfte deutlich sein, dass die einzelnen Phasen des Selbstmanagementmodells nicht klar voneinander abgrenzbar sind. So muss natürlich die Beraterin-Klient-Beziehung während der ganzen Zeit beachtet werden, die Evaluation wird ebenfalls nicht nur in einer Therapiephase durchgeführt und während des ganzen Beratungsprozesses, nicht erst in Phase 7, sollte die Beratung alltagsorientiert erfolgen. Das Phasenmodell impliziert allerdings, dass zu verschiedenen Zeitpunkten des Änderungsprozesses unterschiedliche Schwerpunkte verfolgt werden.

In der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien ist dieses Modell ebenfalls hervorragend geeignet, um den beraterischen Prozess, etwa in der Erziehungsberatung, zu strukturieren. Allerdings müssen neben den entwicklungsbezogenen Besonderheiten der Vorgehensweise (etwa: unterschiedlicher Beziehungsaufbau mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen) noch weitere Spezifika bei der Arbeit mit Familien beachtet werden. Insbesondere ergeben sich beachtliche Unterschiede im Vergleich zur Arbeit mit einzelnen Klientinnen und Klienten dadurch, dass eine größere Anzahl von Personen an der Beratung beteiligt ist. Zusätzlich zu Berater/Beraterin und Klient/Klientin kommt noch das Familiensystem hinzu (insbesondere Eltern, ggf. aber auch Geschwister und andere Verwandte, etwa die Großeltern). Häufig sind auch noch weitere Systeme (Schule, Kindertageseinrichtung, Jugendhilfeeinrichtung) zu berücksichtigen. In der Regel ist es notwendig, dass auch diese zusätzlichen Beteiligten sich verändern. Daraus ergibt sich, dass der hier beschriebene Beratungsprozess in der Erziehungs- oder Familienberatung ggf. mit verschiedenen Personen durchlaufen werden muss, denn auch mit den Eltern (und möglicherweise auch mit anderen Beteiligten) muss die Beziehung stimmen, Änderungsmotivation aufgebaut werden (was häufig gerade bei den Eltern als schwierig erlebt wird, vgl. Borg-Laufs 1996), Diagnostik betrieben werden, Ziele geklärt werden usw. Der beraterische Prozess ist also durch die Beteiligung verschiedener »Subsysteme« (Kind/Jugendlicher, Eltern/Familie, beteiligte Institutionen) erheblich komplexer. Hierzu trägt vor allem auch bei, dass die parallel zu durchlaufenden Beratungsprozesse mit den unterschiedlichen Personen nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen (Borg-Laufs & Hungerige 2010). So ist z. B. der Beziehungsaufbau zu einem Kind oder Jugendlichen nicht unabhängig vom Beziehungsaufbau zu den Eltern: Wenn zu diesen keine gute Beziehung etabliert werden kann, werden sie möglicherweise ihr Kind negativ beeinflussen. Scheint die Beziehung hingegen »zu gut« zu sein, so könnte das Kind zu dem Eindruck gelangen, dass der Berater oder die Beraterin der/die Verbündete der Eltern ist, was wiederum die Beziehung zum Kind bzw. Jugendlichen negativ beeinflusst. Ebenso ist vorstellbar, dass die Beziehung zum Kind sehr gut ist und dies die Eltern zunächst negativ gegen den Berater oder die Beraterin einnimmt, da sie ihn oder sie als Konkurrent/Konkurrentin in der Beziehung zu ihrem Kind erleben. Auch in den folgenden Beratungsphasen gibt es diese Wechselwirkungen: Wenn es etwa nicht gelingt, die Eltern zu Veränderungen zu motivieren, so wird das Kind möglicherweise reaktant reagieren, da es sich nicht als einziges Familienmitglied verändern will (und damit möglicherweise zeigt, dass es sich vorher problematisch verhalten hat, während die anderen, die sich nicht ändern müssen, vorher alles richtiggemacht haben).

Auch bei der Zielklärung spielen die unterschiedlichen Voreinstellungen, Befürchtungen, Erwartungen und Ausgangslagen der beteiligten Systeme eine große Rolle. Die Ziele der verschiedenen Beratungsbeteiligten müssen kompatibel miteinander sein (vgl. Michels & Borg-Laufs 2007). Schwieriger ist etwa, wenn Eltern und Kind bzw. Jugendliche/r Ziele verfolgen, die nicht gleichzeitig realisierbar sind. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Eltern eines Jugendlichen wünschen, dieser möge mehr mit der Familie unternehmen und sich integrieren, der Jugendliche selbst sich aber stärker von der Familie lösen will. Hier sind Zielkonflikte vorhanden, die im Rahmen der Beratung bearbeitet werden müssen.

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