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Fallbeispiel: Axiom 1
ОглавлениеDie Beraterin erfährt von Frau Müller (85 Jahre alt), dass sie sich in dem Altenheim mittlerweile gut eingelebt habe. Nach dem Schlaganfall wäre es ihr auch nicht mehr möglich gewesen, ihren Haushalt alleine zu bewältigen. »Meine Wohnung konnte ich nur über 51 Stufen erreichen, die habe ich auch vor meiner Krankheit kaum noch geschafft.« Ihr gefalle es besonders gut, dass ihr Zimmer hell sei und nebenan eine nette Nachbarin eingezogen sei. Als die Beraterin fragte, wie der Kontakt zu ihren beiden Kindern sei, konnte Frau Müller nichts mehr sagen und starrte wie versteinert aus dem Fenster. Die Beraterin spürte durch das Schweigen von Frau Müller sofort, dass sie bei ihr ein großes Problem angesprochen hatte und hier besonders sensibel sein musste.
2. Axiom: »Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist« (Watzlawick et al. 1980, 56). Dieses Axiom schärft die Wahrnehmung des Beraters bzw. der Beraterin in der psychosozialen Beratungssituation dafür, zwei Seiten einer Kommunikation im Klientengespräch deutlich zu unterscheiden und diese nicht zu verwechseln. Die eine Seite bezieht sich auf das, was der Klient sagt, also auf den Inhaltsaspekt, und die andere Seite beleuchtet, wie die Klientin etwas sagt und somit, welche Beziehung sie damit zum Ausdruck bringen möchte. Mit diesem Axiom liefern Watzlawick et al. (1980) den Beraterinnen und Beratern ein wichtiges Instrument, mit dem erkannt werden kann, ob der Aufbau einer professionellen Beratungsbeziehung gelungen ist. Z. B. kann ein Klient, der im Beratungsgespräch mit akribischer und übertriebener Genauigkeit jedes Detail seines Lebenslaufes schildert, damit auf der Beziehungsebene zum Ausdruck bringen, dass er über die dahinterliegenden Gefühle und persönlichen Gedanken noch nicht sprechen möchte. Damit bestimmt der Klient auf einer Metaebene den Verlauf der Exploration des Beraters, der im Gespräch über den Lebenslauf eigentlich intendierte, mehr über die psychische Verfassung des Klienten zu erfahren. In Umkehrung der semantischen Paradoxie von John Cage könnte man auch sagen: »Ich sage alles, und damit nichts.« Allerdings werden auch alle Aussagen der Beraterin von dem Klienten auf der Beziehungsebene übersetzt. Wenn etwa der Berater wegen seines übervollen Terminkalenders inhaltlich sagt: »Ich gebe Ihnen den nächsten Termin in drei Wochen«, könnte der Klient das auf der Beziehungsebene so übersetzen: »Der Berater gibt mir deshalb so einen späten Termin, weil er mich und meine Probleme nicht ernst nimmt.« Schließlich lässt sich aus dem 2. Axiom auch noch einmal die besondere Wichtigkeit des Wirkfaktors »Gestaltung einer professionellen Beziehung« ( Kap. 1.4) ableiten: Wenn die Beziehung zwischen Beraterin und Klient in der psychosozialen Beratung nicht tragend ist, dann kann der Berater das auf der Inhaltsebene (in Form von besonders guten Techniken und Methoden) nicht kompensieren. In der psychosozialen Beratung kann der Einsatz von Techniken gar nicht von der Beziehung getrennt werden, da die professionelle Beziehung sich durch Anwendungen von Gesprächstechniken entwickelt und die Technik erst durch die Einbettung in der Beziehung zur Anwendung kommen kann (Hoffmann 2018). Insofern ist die Kommunikation in der Beratung durch die Interaktion zwischen den Inhalten der Beratung (Techniken und Methoden) und der Berater-Klient-Beziehung geprägt.