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Fallbeispiel: Axiom 4
ОглавлениеAuf die Frage des Beraters nach dem Befinden des Klienten heute in der Beratung antwortet dieser mit einem gequälten Lächeln bei gleichzeitig gesenktem Blick zum Boden: »Mir geht es hier gut.« Der Berater hat diese wahrgenommene Differenz zwischen digitaler und analoger Botschaft angesprochen und konnte vom Klienten erfahren, dass er sich heute in der Sitzung gar nicht wohl fühle, weil ein belastendes Thema angesprochen wurde. Im Verlauf der Sitzung stellt der Klient für sich fest: »Im Kontakt zu anderen Menschen versuche ich meistens, negative Gefühle aus Angst vor Ablehnung zu unterdrücken.«
5. Axiom: »Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht« (Watzlawick et al. 1980, 70). Das letzte Axiom beschreibt die mögliche Ausgestaltung von Beziehungen, die entweder gleich oder ungleich sein können. Während bei einer symmetrischen Beziehung beide Partner in ihrer Interaktion sich ›auf Augenhöhe‹ begegnen und ebenbürtig sind, ist hingegen die komplementäre Interaktion dadurch gekennzeichnet, dass eine der Personen eine untergeordnete Stellung einnimmt. Die Unterschiedlichkeit zwischen den Interaktionspartnern darf nicht in eine negative Richtung missinterpretiert werden, sondern beruht oft auf Rollenunterschieden, wie z. B. das Verhältnis von Mutter und Kind oder die Beziehung zwischen Chef und Mitarbeiter. Auch die Beziehung zwischen dem Klienten und der Beraterin beruht nicht auf Gleichheit, sondern auf Unterschiedlichkeit: Nicht die Beraterin benötigt Hilfe, sondern der Klient. Die Reflexion dieses ungleichen Beziehungsverhältnisses kann der Beraterin besonders in solchen Situationen hilfreich sein, in denen der Klient die Grenzen der Beraterin überschreitet und wegen vorhandener sozialer Defizite die Beratungsbeziehung in Richtung Freundschaft ausweiten möchte. Der Aufbau einer komplementären Beziehungsgestaltung wird in der Beratung und Psychotherapie als sine qua non gesehen. Komplementär wird dabei im Sinne von motivbefriedigend gesehen, indem der Berater das zentrale Motiv (Anerkennung, Wichtigkeit, Verlässlichkeit, Solidarität, Autonomie oder Grenzen) des Klienten befriedigt, das der Klient in den Beratungsprozess hereinträgt (vgl. Sachse 2016).