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Fallbeispiel: Sender und Empfänger
ОглавлениеDie 16-jährige Marita wird gegen ihren Willen von ihren Eltern zur Erziehungsberatung gebracht. Im Beratungszimmer nimmt sie Platz, dreht aber der Beraterin den Rücken zu und sagt auch auf freundlich vorgebrachte Fragen nichts. Hier wird besonders deutlich, dass das Axiom »Man kann nicht nicht kommunizieren« zutrifft, denn: Die Beraterin empfängt den Appell »Lass mich bloß in Ruhe«, die Beziehungsaussage »Mit dir will ich nichts zu tun haben« und die Selbstoffenbarung »Ich lass’ mich doch von meinen Eltern nicht zwingen!« Hieraus kann die Beraterin ableiten, dass es wenig sinnvoll ist, Marita weiter zu drängen. Sie entschließt sich, auf die von ihr wahrgenommene Selbstoffenbarung zu reagieren und sagt »Na das kann ich mir vorstellen, dass du sauer auf deine Eltern bist, wenn die dich hier hin zwingen und dass du dir das nicht gefallen lassen willst. Da würde ich wahrscheinlich auch nichts sagen wollen.« Durch diese Äußerung der Beraterin fühlt sich Marita von ihr in ihrer Selbstaussage verstanden. Gleichzeitig merkt sie, dass auch ihr Appell ankommt (die Beraterin fragt sie nicht und drängt sie nicht) und dass die Beraterin die Beziehungsaussage akzeptiert und verstehen kann. Sie entspannt sich etwas und dreht sich um, sodass sie die Beraterin mal in Augenschein nehmen kann … »Die sieht gar nicht so blöd aus«, denkt sie. Und dann wagt sie einen Vorstoß, um zu schauen, wie die Beraterin reagiert. Sie sagt »Und glauben Sie mal ja nicht, dass das das erste Mal wäre, dass die Eltern einfach ignorieren, was ich will.«
Abb. 3.1: Interpersonales Kreismodell von Leary (1957); außen: Kommunikationsstile nach Schulz von Thun (2005b, 15) (eigene Darstellung) Siehe Online-Material 3.a
Viele Beschwerden, die Klienten in die psychosoziale Beratung führen, sind interpersoneller Natur (Horowitz 1994, Horowitz et al. 1984) und können sich auch auf die Interaktion zwischen Beraterin und Klient auswirken. Für die Einschätzung des Verhaltens des Klienten dem Berater gegenüber hat sich das interpersonale Kreismodell von Leary (1957) bewährt, das durch zwei Dimensionen gebildet wird: ›Zuneigung‹ (Extreme: Zuneigung vs. Abneigung) und ›Dominanz‹ (Extreme: Dominanz vs. Unterwerfung). Die Bezeichnung der Achsen erfolgt der Tradition nach von A bis P beginnend bei zwölf Uhr mit PA, BC, DE usw. ( Abb. 3.1). Bei einem dominanten Klienten z. B. wird der Berater andere Schwerpunkte in der Gestaltung der professionellen Beziehung setzen als bei einem Klienten, der durch extrem unterwürfiges Verhalten auffällt. Darüber hinaus hilft das Kreismodell auch dem Berater, mögliche eigene Gegenreaktionen (Gegenübertragung) abzufedern, die ohne professionelle Reflexion in eine ›Beziehungsfalle‹ führen könnten. Noch deutlicher kann der Berater mögliche ›Beziehungsfallen‹ erkennen, wenn in das Kreismodell von Leary (1957) noch zusätzlich die acht Kommunikationsstile projiziert werden, die Schulz von Thun (2005b) idealtypisch vorgestellt hat. Man kann sich leicht vorstellen, dass der Kontakt zu einem ›aggressiv-entwertenden‹ Klienten andere Reaktionen beim Berater hervorruft, als wenn er einen Klienten mit einem ›bedürftig-abhängigen‹ Kommunikationsstil vor sich hat.