Читать книгу Psychosoziale Beratung - Группа авторов - Страница 74

3.2.2 Basisfertigkeiten der Gesprächsführung mit einem System von Klienten

Оглавление

Die bisher dargestellten Methoden und Haltungen sind zwar hauptsächlich in der Arbeit mit Einzelklienten entstanden, sie lassen sich jedoch ohne weiteres bei Gesprächen mit Paaren, Familien oder Teilsystemen der Familie (z. B. Eltern und Kind) nutzen. In der Praxis psychosozialer Beratung haben Gespräche gemeinsam mit dem signifikanten Bezugssystem der Klientinnen und Klienten den Vorteil, dass der einzelne Klient, der oft lediglich Symptomträger eines Systems ist, im Netz seiner Beziehungen gesehen werden kann. Bei Gesprächen mit dem ganzen Beziehungssystem besteht auch nicht so schnell die Gefahr, dass die Symptomentstehung dem Indexklienten (als die Person des Systems, die Symptomträger ist bzw. auf die das Problem attribuiert wird) alleine zugeschrieben wird, sondern sie eröffnen den Blick für eine zirkuläre Sichtweise, bei der entsprechend dem 3. Axiom von Watzlawick et al. (1980) über die Interpunktion von Ereignisfolgen die Interaktion und Kommunikation zwischen den Teilnehmern des Systems für die Entstehung und Aufrechterhaltung des Symptoms stärker in den Blick genommen werden können. Diese Sichtweise kann zu einer enormen Entlastung des Indexklienten führen, weil das Problem nicht unweigerlich ihm anhaftet, sondern auch ein Indikator für eine Störung im Gesamtsystem sein kann. Bei diesen (systemischen) Gesprächen gelten zwar auch die oben bereits erläuterten Grundlagen menschlicher Kommunikation und Gesprächsführung, jedoch gestaltet sich die Kommunikation weitaus komplexer und bringt die Beraterin in eine ähnliche Situation wie einen Jongleur, der mehrere Teller gleichzeitig in der Luft halten muss. Für die Optimierung dieser Aufgabe sind im systemischen Ansatz eine Reihe von grundlegenden Konzepten und Methoden entwickelt worden, die sich daran orientieren, dass sich mehrere Personen gleichzeitig in Beratung befinden (von Schlippe & Schweitzer 2013). Selbstverständlich ist eine systemische Sichtweise auch in einem Setting möglich, bei dem lediglich der Einzelklient zu den Gesprächen kommt, allerdings kann der systemische Ansatz seine Effektivität besonders bei Gesprächen mit einem Klientensystem entfalten (von Schlippe & Schweitzer 2013).

Von Anfang an besteht die Aufgabe der Beraterin/des Beraters, aktiv zu allen anwesenden Systemmitgliedern eine kooperative Beziehung zu gestalten, denn nicht nur der Indexklient muss mit ins ›Beratungsboot‹ genommen werden. Bei diesem ›Joining‹ (engl.: verbinden) werden die Voraussetzungen für eine tragfähige Beziehung zu jedem Teilnehmer des Systems aufgebaut, indem der Berater/die Beraterin sich inhaltlich, sprachlich und gefühlsmäßig auf die Bedürfnisse des Einzelnen einstellt und so den Gesprächsteilnehmern Sicherheit vermittelt (Schwing 2014a). Der Blick der Beraterin oder des Beraters richtet sich aktiv auf alle im Raum anwesenden Personen, nimmt zu ihnen durch persönliche Ansprache Kontakt auf und signalisiert damit, dass jedes Systemmitglied willkommen und wichtig ist (Schwing & Fryszer 2012). Gleichzeitig achtet der Berater nicht nur auf die Beziehung, die das System zu ihm aufnimmt, sondern auch auf die Beziehung der Ratsuchenden untereinander. Die Klienten und Klientinnen haben dabei gleichzeitig die Möglichkeit, sich auf die gesamte Beratungssituation einzustellen.

Bei allem Wohlwollen Einzelnen gegenüber darf sich der Berater jedoch nicht auf die Seite eines Einzelnen ziehen lassen, da Rivalitäten und Spannungen zwischen den Systemangehörigen eher die Regel als die Ausnahme sind. Stattdessen lässt er sich von den Prinzipien der Neutralität und Allparteilichkeit leiten, indem er allen Systemteilnehmern zuhört, sich in sie hereinfühlt und die Anliegen und Erwartungen der Anwesenden würdigt (Schwing 2014a). In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, wenn der Berater eine innere Haltung des »Nichtwissens« einnimmt, um mit Neugier die Standpunkte zum Problem und mögliche Lösungsansätze der Anwesenden zu explorieren (vgl. Hanswille 2015). In klassischen Ansätzen der Ehe- und Familientherapie bezog sich die Neutralität lediglich auf die innere Haltung des Beraters, alle Teilnehmer gleichwertig zu behandeln bei gleichzeitiger Distanz zu den Einzelnen mit ihren jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen. Die systemische Perspektive erweitert die neutrale Haltung auch gegenüber den Problemen, sodass Beraterinnen und Berater von der Funktion entlastet werden, die Probleme unter allen Umständen lösen zu müssen. Da Beratung aber durch ihre institutionelle Eingebundenheit oft mit definierten Veränderungsaufträgen einhergeht (z. B. Wohl des Kindes in der Jugendhilfe), kann die neutrale Haltung in der Praxis nicht immer umgesetzt werden. Boszormenyi-Nagy und Spark (1981) haben deshalb den inhärent hohen Anspruch der Neutralität mit dem Begriff der ›Allparteilichkeit‹ etwas abgeschwächt, nach dem die Beraterin zumindest die verschiedenen Wirklichkeitskonstruktionen der Gesprächsteilnehmer beachten und würdigen kann. Allerdings schließt Neutralität nicht aus, dass der Berater seine Meinung sagen darf, solange er diese nicht doktrinär vertritt. Darüber hinaus gibt es auch Situationen in der Beratung, in denen eine neutrale Haltung bewusst aufgegeben werden muss, wie das z. B. bei Gewalt in der Familie der Fall ist.

Neben ›Joining‹, ›Neutralität‹ und ›Allparteilichkeit‹ wird aus systemischer Perspektive die Gestaltung einer professionellen Beratungsbeziehung bei der Arbeit mit Systemen durch eine innere Haltung gefördert, die das System als Kunden sieht, der als ›Kundiger‹ für die Lösung der Probleme viel Erfahrung und Wissen mitbringt. Die Aufgabe des Beraters besteht nun darin, diesen Wissensschatz zu heben, damit das System in eine Situation (zurück-)gebracht wird, in der es den Beteiligten wieder besser geht. Das Verknüpfen der Äußerungen der Teilnehmer würdigt nicht nur jeden Einzelnen, sondern kann auch zu einer neuen Sichtweise im System führen, die eingeschliffene Wirklichkeitskonstruktionen und die damit verbundenen Probleme zur Auflösung führt.

Schließlich gibt sich systemische Beratung aus konstruktivistischer Perspektive den Klienten gegenüber als äußerst bescheiden: Auf welcher Stufe sich die Ratsuchenden auch befinden, intervenieren kann die Beratung nicht unmittelbar, sie kann allenfalls im Sinne einer Verstörung einen Anstoß für neue Erfahrungen geben. Das Klientensystem ist also selbst der Experte für sich und sein Leben, der Berater steht im Beratungsprozess ›nur‹ als interessierter Dritter dem System wohlwollend bei und unterstützt es, neue Ressourcen zu erschließen oder vorhandene Ressourcen zu nutzen.

Psychosoziale Beratung

Подняться наверх