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Der Familienratstag
ОглавлениеDie Jugendamtsmitarbeiterin, die Kinder, Frau Özgür und ihr Mann und ein guter Freund von Ali kommen zusammen. »Er soll so ein bisschen die Moderatorenrolle übernehmen. Der macht das wirklich gut!«, erklärt Frau Özgür. Außerdem ist der Imam der Moschee mit dabei. »Er kennt mich und Herrn Özgür wie auch die Kinder, seitdem wir klein waren!«, sagt die Mutter.
Herr Özgür bringt Tee und Kaffee mit. Es herrscht eine angespannte Stimmung. Die Koordinatorin eröffnet die Runde und weist auf die einzige Grundregel des Familienrats hin, die gerade in dieser Familie sehr wichtig ist: »Es wird nicht über Vergangenes geredet.« Das bedeutet nicht, dass man nicht von vergangenen Ereignissen auf Zukünftiges schließen könne, aber die Regel ist wichtig, um sich nicht in alte Konflikte zu verstricken. Die Teilnehmenden sind still und warten. Die Koordinatorin muss sie direkt ansprechen. Es scheint ein merkwürdiger Unwille in der Luft zu hängen, das Gespräch zu beginnen. Die Jugendamtsmitarbeiterin nutzt eine stille Pause, um ihre Sorge mitzuteilen. »Liebe Familie Özgür, es freut mich wirklich, dass Sie sich bereit erklärt haben, hier heute zusammenzukommen. Das spricht für Sie und Ihren Willen, eine Regelung für Ihre Kinder zu finden! Ich habe grundsätzlich keine Sorge. Jedoch hoffe ich, dass Sie die heutige Chance nutzen, um Ihre Kommunikation untereinander neu auszurichten und eine Lösung zu finden, um in Bezug auf Ihre Kinder sich angemessen austauschen zu können. Sie haben als Familie schon so viel erreicht. Und Herr Özgür, ich habe Sie immer als sorgenden Vater erlebt, so wie Sie, Frau Özgür, als sorgende Mutter. Ich bin gespannt, auf was Sie sich heute einigen können.«
Die Familie schließt mit ihren Sorgen an, die die Koordinatorin auf dem aufgehängten Flipchartpapier festhält. Auch die Kinder trauen sich, ihre Sorge mitzuteilen. »Wenn wir bei dir sind, Papa, dann müssen wir immer so still am Esstisch sein. Und ihr streitet euch so oft mit Ali, wegen seiner Kleidung. Da will ich dann immer nach Hause«, erzählt Yunus. Weder er noch sein jüngerer Bruder spielen wie sonst auf ihrem Handy.
Der Imam kommt zu Wort und führt nach einem Bittgebet grundlegende religiöse Ansichten von Familiengemeinschaft und Freiheiten der Familienmitglieder aus: »Familie ist ein hohes Gut im Islam, genauso wie die freie Entfaltung des Einzelnen. Die Familie gilt als Grundstein der Gesellschaft, gleichzeitig bleibt die Würde des Menschen als oberstes Scharia-Prinzip davon unberührt. Was heute passiert, war schon tief in der religiösen Lebenspraxis unseres Propheten Muhamad – Friede und Segen seien auf ihm – verankert. In jeglicher Krisensituation galt schon immer die Anwendung des grundlegenden Schura-Prinzips: Alle Menschen, die zur Lösung des Problems beitragen, werden in die Entscheidungsfindung miteinbezogen. Ihr seid eine liebende Familie und ich wünsche mir für euch, dass ihr euer Problem lösen könnt.«
Die erste Phase – die Informationsphase – ist abgeschlossen und die Koordinatorin bittet die Mitarbeiterin des Jugendamtes und den Imam zu gehen. »Wenn Sie nicht weiterkommen, ich bin draußen im Foyer und warte. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen!«, verabschiedet sich die Koordinatorin von der Familie. Die Familie benötigt anderthalb Stunden und dann stellt der Vater den Plan der Familie und der Koordination noch einmal zusammenfassend vor.8
Es gibt genaue Absprachen zu den einzelnen Kommunikationswegen. Beide Partner versuchen, in einem angemessenen Ton miteinander zu sprechen. Ali darf sich so anziehen, wie er möchte, ohne dass der Vater oder seine neue Frau darüber mit ihm diskutieren. Vor allem geht es um die Gesprächsabläufe zwischen den Ehepartnern. »Also, wenn jemand von uns irgendwie sauer auf den anderen ist, gibt es ein Redeverbot, das über drei Tage dauert. Außerdem wird mich meine Ex-Frau über alle wichtigen Dinge auf dem Laufenden halten. Gerade, was die Schule betrifft. Dafür haben wir uns darauf geeinigt, dass ich maximal einmal in der Woche anrufe. Außerdem werde ich aufhören, das Jugendamt zu kontaktieren.«
Es klingt vielversprechend. Beim Abschied wendet sich die Mutter noch einmal an die Koordinatorin. Der Vater und seine Lebensgefährtin sind schon losgefahren, um ihren Zug nach Hause zu bekommen. Die Kinder warten draußen vor der Tür. Nach drei Monaten telefoniert die Koordinatorin zwecks Evaluation mit dem zuständigen Jugendamt der Familie, um festzustellen, dass der Familienrat die Beantragung des alleinigen Sorgerechts von Frau Özgür abwenden konnte.
Nach drei Monaten telefoniert die Koordinatorin zwecks Evaluation mit dem zuständigen Jugendamt der Familie, um festzustellen, dass der Familienrat die Beantragung des alleinigen Sorgerechts von Frau Özgür abwenden konnte.