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Der Familienrat als handlungsmethodisches Paradigma zur Würdigung und Nutzbarmachung von Familien- und Netzwerkbeziehungen

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Der Familienrat ist kein Entscheidungsfindungsprozess, an dem Betroffene beteiligt werden. Der Familienrat beteiligt Fachkräfte. Die Wirkmächtigkeit der Familie ist bei der Lösungssuche vollwertig gegeben und wird nicht durch Expertenratschläge verzerrt. Der Familienrat im Sinne des neuseeländischen Verfahrens versteht sich nicht als ein weiteres Instrument von vielen, sondern als zentrale Norm professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit des Landes. Die Bewältigung der Krise bleibt in der Verantwortung der Beteiligten und liegt damit nicht in der Gestaltungshoheit der Fachkräfte. Der eigentliche Familienrat gliedert sich in drei Phasen – Informationsphase, exklusive Familienzeit und Aushandlungsphase, die hier nur kurz skizziert wurden (genauere methodische Ausführungen in Roth u. Früchtel 2017 und Früchtel, Budde u. Cyprian 2013). In Deutschland findet der Familienrat in Jugendhilfe und Jugendgerichtshilfe Anwendung. In Europa ist der Familienrat in Großbritannien, Irland, Schweden, Norwegen und den Niederlanden verbreitet, wird aber auch in Belgien, Polen, Russland, Österreich und in der Schweiz genutzt. Als gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren existiert der Familienrat neben Neuseeland auch in Irland und einigen Provinzen Kanadas und Australiens. Eine rechtliche Verankerung auf der Ebene von Verwaltungsvorschriften findet sich zudem in Österreich (im Jugendstrafrecht), Großbritannien und Norwegen. In den beiden zuletzt genannten Ländern wird der Familienrat auch in der Gesundheitshilfe, Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie, Altenhilfe und in Schulen als Hilfeplanungs-, Unterstützungs-, Mediations- oder Entscheidungsverfahren eingesetzt. Der Familienrat im Sinne des neuseeländischen Verfahrens versteht sich nicht als ein weiteres Instrument von vielen, sondern als Prämisse für professionelles Handeln. So eröffnet sich ein neuer Handlungsspielraum professioneller Expertise, die hier näher betrachtet wird.

Die Haltung professioneller Fachkräfte und die Erkenntnis, dass Familien am ehesten Pläne umsetzen, die sie selbst entwickelt haben oder an denen sie aktiv beteiligt waren, zeichnen das Verfahren wesentlich aus. Praktizierende Sozialarbeitende wie auch Bürgerkoordinatoren9 berichten davon, dass die Familie und das Netzwerk zügig ihre Rollenzuschreibungen während des Familienrats begreifen, jedoch vereinzelt Experten schwer von Lösungsvorschlägen loslassen können. Ist das jedoch erst einmal überwunden und die Konzentration der Fachkräfte auf die Informationsphase fokussiert, eröffnet sich eine professionelle Dimension, die im Kontext sozialarbeiterischen Handelns nicht nur ungewohnt erscheint, sondern grundlegende Wirkmechanismen pädagogischen und auch therapeutischen Handelns freisetzt. Die Radikalität, der Familie die Hoheit im Entscheidungsfindungsprozess und zur Gestaltung der Hilfeplanung zu übergeben, impliziert die Konzentration der Fachkräfte auf ihr eigentliches Handwerk: Welche konkreten technischen Schritte liegen tatsächlich und greifbar in den Händen von Fachkräften, um ihre Adressaten zu erreichen? Welche Informationen, welches Wissen zeichnet Professionalität in diesem Kontext aus, dass die Familie für ihre exklusive Findungszeit ohne Anwesenheit von Experten sein kann?

So versteht sich der Auftrag der Koordination vor allem im Vollzug der Netzwerkarbeit, die sich an einem Paradigma orientiert, das die professionelle Praxis immer auch im Kontext der Beziehungen aller Beteiligten miteinander gestaltet (siehe hierzu vertiefend: Früchtel, Strassner u. Schwarzloos 2016). Jedes Gespräch im Rahmen der Vorbereitungsphase mit den Adressaten konzentriert sich darauf, wer aus dem eigenen Netzwerk dabei sein muss, womöglich aufgespürt oder sichtbarer gemacht werden muss und welche Rolle er/sie übernehmen kann (z. B. eine Moderation während der exklusiven Familienzeit).

Der Fokus professioneller Aufmerksamkeit konzentriert sich hier also vor allem auf die Findung und Förderung von vorhandenen Ressourcen, wobei die Gestaltung geeigneter systemweltlicher Hilfen im Rahmen des Familienrats von der Familie bestimmt wird. Der erste unmittelbare Indikator für professionelles Handeln zeichnet sich somit in der Haltung gegenüber den Hilfe suchenden Adressaten aus, den Menschen als Individuum zu begreifen, das in sein soziales Umfeld eingebettet und in seinem Erleben und Handeln darauf bezogen ist. Es ist anzuerkennen, dass ein entsprechendes Menschenbild die Grundlage für Interventionen ist, die die Adressaten von Hilfen erleben. Wird davon ausgegangen, dass der Mensch lediglich an sich selbst und in seinem individualistischen Wesen etwas verändern muss, um seine Krise zu bewältigen, werden auch die Methoden professionellen Handelns hiernach ausgerichtet.10 Geht man davon aus, dass der Mensch in vielfältigen Beziehungen zu seinem Umfeld nicht nur lebt, sondern auch in Krisen gerät, liegt die Annahme nahe, dass relationale Interventionen aus eben diesen Krisen auch wieder heraushelfen.

Dem Verfahren eines Familienrats liegt die Überzeugung zugrunde, dass ohne die Berücksichtigung der Netzwerke von Individuen, ohne Berücksichtigung ihrer Lebenswelt, nicht langfristig und nachhaltig geholfen werden kann. Jede Krise und die im Rahmen eines Familienrats getroffenen Entscheidungen sind immer auch Ausdruck eines sozialen Ereignisses, in dem vieles sichtbar und veränderbar wird. So wird im Bewusstsein dieser Chance die Geschicklichkeit der Koordination beim Verfügbarmachen von Informationen und Wissen, die dem Familienrat und damit der betroffenen Familie zugänglich ist, zum zweiten zentralen Aspekt professionellen Handelns im Verfahren. Welches Wissen (und nicht Ratschläge) muss ich als Koordination in Gestalt weiterer Expertinnen der Familiengruppe zur Seite stellen, womit der geeignete Hilfeplan angereichert werden kann?

Die Kraft des Miteinander

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