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3. Trennung von Theorie und Praxis des Anstands

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In der gewohnheitsmäßigen Heuchelei kommt sich aber auch das mindere Subjekt, der „kleine Mann“, ziemlich frei, weil enorm schlau und gerissen vor; obgleich es sich zu Schleimereien gegenüber höhergestellten Leuten und zu allerlei Verstellungskünsten erniedrigt, meint es doch nur seinem Materialismus zu folgen. Darüber vergisst es gerne die Untauglichkeit des Mittels – so dass aus dem Munde eines Normalverbrauchers manches Lächerliche zu vernehmen ist. Wenn ein solcher sein Anliegen mit Hilfe des obligatorischen „wir“ durchsetzen will, hört sich das eben anders an als beim Chef. Da hält sich dann auch mancher in den Bereichen schadlos, wo er etwas zu melden hat, und traktiert die Kleinen, deren Wohlverhalten er beansprucht, gerne mit dem gewichtigen Wort „Ich will doch nur dein Bestes“. Und wird einer daran erinnert, dass er sich an die Maßstäbe, die er ständig vertritt, selbst nicht hält, fällt ihm sogar der Begriff von dem Getue ein: in der „Theorie“ sei das ihm Abverlangte schon recht, in der „Praxis“ jedoch – so spielt er auf seinen wirklichen wie erhofften Vorteil an – ginge es schlecht. Die so ausgesprochene Trennung zwischen befürworteten Grundsätzen und dem gemeinen Leben, das einen an ihrer Einhaltung hindert, ist in der bürgerlichen Gesellschaft alles andere als ein Geheimnis – auffallen tut einer höchstens, wenn sie ihm misslingt: Freud’sche Versprecher und Schlimmeres sind üblich, wenn die Selbstkontrolle auf dem Felde öffentlicher Verstellung nicht klappt.

Die Psychologie des bürgerlichen Individuums

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