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1. Die Psychologie leugnet den freien Willen und damit Unterwerfung als Prinzip des bürgerlichen Seelenlebens

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Der hier gegebene Begriff des bürgerlichen Ich unterscheidet sich erheblich von den Konstrukten der Psychologie, die einige Mühe darauf verwendet, den freien Willen zu leugnen. Und dies bewerkstelligt sie stets über einen Beweis, der ein Subjekt der Entscheidung, das sich seiner Zwecke und Absichten bewusst ist, voraussetzt, um anschließend die Voraussetzungen der Entscheidung als die maßgeblichen „Faktoren“ anzuführen und den bewussten Vollzug der Handlung zu bestreiten. Freud bestimmt zunächst Fehlleistungen als „Gegeneinanderwirken zweier verschiedener Absichten“ – und ist damit so unzufrieden, dass er seinen Lesern bzw. Hörern die Macht des „Un-Bewussten“ als Grund für die von ihm behandelten Phänomene präsentiert. Am Beispiel des Traumes, wo der Verstand des Menschen nun wahrlich nicht sehr wach ist, also auch nicht mit Empfindungen, Gefühlen urteilend umgegangen wird, keine Unterscheidung zwischen Ich und Objektivität stattfindet, wo alle im wachem Zustand gemachten Erfahrungen in wild assoziierten Bildern vom Schlafenden „erinnert“ werden – am Traum entwickelt FREUD das Muster eines nach der Logik des tätigen und berechnenden Verstandes wirkenden Un- und Unterbewusstsein. Und außer der Fortentwicklung dieser Fehler zur Instanzenlehre, in der die „moralischen Beschränkungen“ (die wirklichen Beschränkungen treten schon gleich in ihrer versubjektivierten Gestalt auf!) zum jeder Menschenseele zugehörigen Über-Ich naturalisiert werden, von dem aus und mit dem das Betragen diverser Sexualitätsunholde „erklärt“ wird, gelingt dem großen Analytiker noch der Wurf mit den beiden Prinzipien „Lust“ und „Realität“. Seine diesbezüglichen Argumente hätten Freud leicht auf den richtigen Weg bringen können, dass die Verfassung der „kranken“ wie „gesunden“ Subjekte, die ihm über den Weg liefen, etwas ganz anderes darstellt als einen Krieg zwischen drei Instanzen und zwei Prinzipien. In der heutigen Psychologie ist man – obwohl keineswegs Anhänger von Freud, weil zu moralkritisch – da bequemer. Die Leugnung des freien Willens sieht da so aus:

„... aus dem bisher Ausgeführten ergibt sich, dass das Wollen aus einer Wahlsituation hervorgeht (!). Die Frage, ob der Wille des Menschen frei sei, ist daher psychologisch exakt formuliert die Frage, ob der Mensch in einer gegebenen Wahlsituation jede beliebige (!) Verhaltensmöglichkeit wählen könne; oder, noch genauer (!), die Frage: kann sich der Mensch in einer gegebenen Situation für jede (!) Wahlmöglichkeit (!) entscheiden? Könnte er es, so wäre er frei; kann er es nicht, so ist er nicht frei. Einen anderen Sinn kann das Wort „Freiheit“, psychologisch betrachtet, kaum haben.

Bei dieser präzisen Formulierung ist die Antwort einfach. Sie lautet: nein; der Mensch kann in einer gegebenen Wahlsituation nicht jede beliebige Verhaltensmöglichkeit wählen. Die Triebe, Interessen und Gefühle, die in ihm in dieser Situation auftreten, bestimmen ihn, eine bestimmte Verhaltensmöglichkeit allen anderen vorzuziehen und sich für sie zu entscheiden. Hätte er sich aber nicht für eine andere entscheiden können? Nur dann, wenn in ihm andere Motive aufgetreten (!) wären.“

An solchen Glanzleistungen moderner Wissenschaft stößt sich heutzutage niemand mehr, obgleich feststeht, dass für dieses Statement weder Kenntnisse über die bloß formellen Bestimmungen von Trieb, Gefühl, Bewusstsein, Interesse und Willen nötig sind (als bestimmten theoretischen und praktischen Stellungen der Subjektivität zur Welt und zu sich), noch der Inhalt von Gefühlen etc. irgendeine Wichtigkeit besitzt. Das Beweisziel wird direkt angesteuert, so dass das schiere Vorhandensein von Trieben und Gefühlen als Widerlegung der „Entscheidungsfreiheit“ genügt. Die „Ohnmacht“ des Subjekts, das rational seine Entscheidungen trifft, folgt ganz einfach daraus, dass es auch gefühlsmäßig oder interessiert mit der Welt umgeht. Dabei könnte auch ein Psychologe an einem durchaus üblichen Satz wie „Das habe ich gefühlsmäßig getan“ bemerken, dass da ein mit Bewusstsein handelnder Mensch sich dazu entschlossen hat, sich eben von seinem Gefühl leiten zu lassen, und kleine wie größere Studien für überflüssig befand, also sich keineswegs als passives Opfer seiner Seelenregungen präsentiert. Wer letzteres behauptet, kann sich freilich auch nicht mehr den Inhalten der diversen Gefühle und Interessen zuwenden – er würde ja glatt feststellen, dass da vom Verstand zustande gebrachte (richtige wie falsche) Urteile zur Gewohnheit geworden sind und sich in unmittelbarer Form, ohne die neuerliche Anstrengung des Gedankens betätigen, weswegen Gefühle auch oft einer verständigen Berechnung entgegenstehen, und einer vernünftigen Analyse schon gleich. Dafür schlägt die Psychologie dieses Resultat der bürgerlichen Anpassungstechnik – „Mein Herz sagt ja, doch mein Verstand sagt nein“ – der „Menschennatur“ zu, und erklärt die Widersprüche, die ein moralisches Bewusstsein dem Handeln der Leute, ihrem praktizierten Geisteszustand einprägt, lässig zum festen Bestandteil der Subjektivität schlechthin. Vom Denken weiß die bürgerliche Psychologie folgerichtig nur seine geringe Bedeutung zu konstatieren, natürlich nicht ohne Hinweis auf seine Relativierung durch dem Denken vorgelagerte und viel wichtigere Beweggründe des Subjekts. Statt die moralisch berechnende Tätigkeit des Verstandes, die das spezifisch bürgerliche falsche Bewusstsein ausmacht, zu bestimmen, ersinnt man das Problem, wem beim Individuum, das entscheidet, das „Übergewicht“ zuzuerkennen sei; das Denken selbst erscheint für diese Wissenschaft lediglich in Gestalt „seiner“ Funktion als Hilfsmittel für den ökonomischen Umgang des Individuums mit sich selbst, als Technik der Anpassung, die willkommen ist, aber auch nicht übermäßig viel ausrichten kann:

„Das Denken leistet nur Hilfsdienste; es stellt die vorhandenen Möglichkeiten und ihre Vorteile und Nachteile fest. Das Ergebnis dieser Feststellungen wird gewöhnlich so formuliert, als ob es selbst für die Entscheidung maßgebend wäre: es ist gescheiter, wenn ich so tue – das bedeutet nur: ich erreiche meine Ziele sicherer, rascher, mit geringerem Kraftaufwand, mit weniger Lästigkeiten und unangenehmen Risiken, wenn ich so handle. Das Ziel ist dabei immer schon bestimmt; und die Entscheidung wird von den Trieben und Interessen oder von vorausgegangenen Entschlüssen herbeigeführt, nicht vom Denken, das nur Klarheit über die Möglichkeiten zur Zielerreichung schafft.“

In dieser „Einsicht“ bewährt sich die Psychologie als gern gesehenes Pendant zum Idealismus vom „animal rationale“; sie gefällt sich in einigen Dutzend Theorien der Subjektivität, in denen deren Tätigkeit als Wirkung von allerlei Fähigkeiten zur Darstellung gelangt. Diese Fähigkeiten beinhalten je nach Schule einen funktionalen Umgang mit äußeren Zwängen und Voraussetzungen und/oder inneren Dispositionen. Bei den Behavioristen reduziert sich die tätige Intelligenz auf „Problemlösungsverhalten“ der dümmsten Sorte, wobei die Welt aus „Stimuli“ und der Mensch aus „Verhalten“ besteht, das er verstärkt haben möchte. Das Freudsche „Ich“ kämpft ebenfalls mit externen wie internen Ansprüchen, und die „seelische Persönlichkeit“ liefert ein nicht minder falsches Bild des sich relativierenden freien Willens als der „Organimus“ von Skinner:

„Ein Sprichwort warnt davor, gleichzeitig zwei Herren zu dienen. Das arme Ich hat es noch schwerer, es dient drei gestrengen Herren, ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang miteinander zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, wenn das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert. Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das Es.“

Die zweifelhafte Leistung der psychologischen Disziplin – dies sollte hier im Vorgriff auf die folgenden §§ festgehalten werden – besteht darin, dass sie aus dem falschen Bewusstsein und den ihm zugehörigen Techniken der Selbstkontrolle, wie sie das bürgerliche Individuum auszeichnen, ein Menschenbild konstruiert; dass sie beides nicht erklärt, sondern in Modellen der Individualität und ihres „Verhaltens“ zum Grund und Inhalt all dessen macht, was bürgerliche Subjekte den lieben langen Tag so anstellen.

Die Psychologie des bürgerlichen Individuums

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