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4 Baumwurzeln und Leitungen
ОглавлениеDer Themenkomplex „Interaktionen zwischen Bäumen und Leitungen“ wurde zuletzt durch Fachkollegen in Schweden und in anschließender Kooperation mit Instituten und Hochschulen in Deutschland intensiv aufgearbeitet (z. B. ROLF & STÅL 1994; STÅL 1998; STRECKENBACH 2009; ÖSTBERG et al. 2012). Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten war die Aufklärung der Frage, warum und wie Wurzeln in Leitungen einwachsen. Lange Zeit wurde angenommen, dass diese nur durch undichte Rohrverbindungen einwachsen, weil (Ab-)Wasser aus ihnen austritt und sie Wurzeln keinen ausreichenden Widerstand mehr entgegenbringen.
Diese bis dahin ungeprüfte Hypothese wurde zu dem Zeitpunkt bereits deshalb äußerst kritisch gesehen, weil moderne Rohrverbindungen dicht (und damit nach DIN 4060 wurzelfest) sind und dennoch nachweislich Wurzeln in diese einwachsen. Allerdings nicht zugleich in jede erdverlegte Rohrverbindung, ob intakt oder nicht, was einen zwingenden Zusammenhang zwischen einer Undichtigkeit und dem Einwachsen von Wurzeln ausschließt.
Es konnte gezeigt werden, dass die Eigenschaften von Leitungsgräben und Rohrbettungen den Wuchs von Wurzeln in Richtung der Leitungen begünstigen können und dass der von den Dichtungen der Steckverbindungen ausgehende Anpressdruck von den haarfeinen und weichen jungen Wurzeln ohne Probleme überwunden werden kann. Ein Großteil der Forschungs- ergebnisse floss daraufhin in die Überarbeitung des „Merkblattes über Baumstandorte und unterirdische Ver- und Entsorgungsanlagen“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen ein (FGSV 1989).
Abbildung 6: Die Bodenoberfläche gibt zumeist sehr direkt Auskunft über im Wurzelraum vorhandene Störungen.
Ein wesentlicher Gedanke dieses Regelwerks war von Beginn an, die unterschiedlichen im Straßenraum tätigen Gewerke zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu ermutigen. So enthält das ursprüngliche Merkblatt unter anderem den Vorschlag zur Einrichtung von Koordinierungsstellen. Über diese sollten alle Parteien bereits bei der Planung von Baumpflanzungen die Möglichkeit bekommen, ihre jeweiligen Belange darzulegen. Das Merkblatt fand jedoch kaum Beachtung, obwohl es zum ersten Mal Konflikte und die daran Beteiligten explizit ansprach und zugleich einvernehmliche Lösungsansätze aufzeigte.
Das aktualisierte Merkblatt erschien 2013 als Gemeinschaftsausgabe der FGSV, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass sich darin nun drei der wichtigsten Verbände für die im unterirdischen Straßenraum tätigen Gewerke gemeinsam für die Belange von Straßenbäumen einsetzen (Abbildung 7).
Abbildung 7: Ein Bild, das es bei konsequenter Anwendung der durch den Straßen-, Tief- und Leitungsbau vorgegebenen Normen und Regelwerke nicht mehr geben sollte.
Wichtig ist auch zu erwähnen, dass der Abstand einer Leitung über 2,5 m vom Baum diese nicht vor potenziellen Beschädigungen durch Wurzeln schützt. Dieses Maß galt seit jeher vor allem als Mindestabstand, der aus Gründen des Baumschutzes eingehalten werden sollte. Daher ist ein solcher Abstand auch nicht mehr als Leitungsschutzmaßnahme aufgeführt. In einem 2016 erschienenen Beiblatt wurde jedoch erneut ein Mindestabstand als Leitungsschutzmaßnahme für Bäume definiert, die sich in der Nähe zu Gasleitungen befinden (DVGW 2016). Dies ist äußerst bedauerlich und, zumindest aus baumfachlicher Sicht, nicht nachvollziehbar.
Hingegen vollständig nachvollziehbar ist, dass Interaktionen zwischen Baumwurzeln und Gasleitungen äußerst unerwünscht sind. Die Herausgeber des Beiblattes führen aber beispielsweise an, dass in der Praxis gar keine nennenswerten Schäden durch entwurzelte Bäume an Gasleitungen bekannt sind. Daher steht dieses Beispiel anschaulich für die oben angesprochene Dynamik, nach der einmal im Konsens miteinander festgelegte Absprachen regelmäßig einseitig zurückgenommen und dann wiederholt mühevoll gemeinsam bearbeitet werden müssen.
Ungeachtet dessen besteht zu diesem Themenkomplex ein noch immer beachtlicher Forschungsbedarf, da die bislang vorliegenden Untersuchungen vor allem Fragen nach der Praxis zur effektiven Verhinderung solcher Interaktionen nicht beantworten. Dies ist insbesondere in Altbaumbeständen eine immer wiederkehrende Problematik, für die es keine allgemeingültige Lösung geben kann, für die aber in ihrer Praxistauglichkeit und Effektivität noch näher zu untersuchende Lösungsansätze bestehen (vgl. ALVEM & BENNERSCHEIDT 2009; STRECKENBACH 2013; FLL 2019).