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WESHALB ROYER?
ОглавлениеRoyers Weg zur Darwin-Übersetzerin war alles andere als geradlinig.14 Sie kam 1830 in Nantes zur Welt. Ihr Vater war Offizier und unterstützte die französische Monarchie. Royers Mutter stammte ebenfalls aus einer Offiziersfamilie. 1832 flohen die Royers in die Schweiz, da der Vater für seine Unterstützung der antirevolutionären Kräfte zum Tod verurteilt worden war. Die Familie liess sich für drei Jahre am Genfersee nieder. 1835 kehrte sie nach Paris zurück. Der Vater wurde vor Gericht begnadigt. Später zog die Familie in die Provinz, wo die junge Clémence ein katholisches Internat besuchte. Die Erfahrung scheint traumatisch gewesen zu sein. Royer bezeichnete sie später als intellektuelle «Vergewaltigung», was ihre späteren scharfen antireligiösen Attacken erklärt.15 Die Emanzipation von der katholischen Indoktrination erfolgte schrittweise. Während der 1848er-Revolution lebte Royer wieder in Paris, was ihren Wandel zur Republikanerin eingeleitet habe. Sie machte eine Ausbildung zur Lehrerin. Zwischen 1853 und 1855 unterrichtete sie in Grossbritannien Französisch und Musik. Zugleich lernte sie Englisch, was ihr später als Darwin-Übersetzerin zugute kommen sollte. Kaum nach Paris zurückgekehrt, erlebte Royer jedoch, wie die neue, konservative französische Regierung Gesetze gegen die Mädchen- und Lehrerinnenbildung erliess. Royer sah ihre Berufsaussichten schwinden. «Wie eine zweite Jeanne d’Arc, […] jedoch nur mit einer Schreibfeder bewaffnet, verliess ich Frankreich, der katholischen Kirche den Krieg erklärend», schrieb sie Jahre später im Rückblick auf ihr Leben.16 Sie liess sich ab Sommer 1856 zunächst im protestantischen Lausanne nieder, zog wenig später jedoch in das etwa zehn Kilometer weiter östlich gelegene Dorf Cully.
In einem kleinen Bauernhaus mietete sie ein acht Quadratmeter grosses Zimmer. In dieser Kammer, hoch über dem Genfersee gelegen, begann schliesslich «die heroische Phase meines Lebens», hielt sie rückblickend fest: «Mein Leben erfuhr eine schicksalhafte Wendung. Ermöglicht wurde sie durch meine Begegnung mit der Bibliothek in Lausanne.»17
Abb. 3: Cully heute: In diesem Bauernhaus lebte Royer zwischen 1856 und 1859. Die Plakette unter dem Fenster ihrer damaligen Kammer wurde 1912 von der Waadtländer Freidenkervereinigung zu Royers zehntem Todestag angebracht. Auf ihr heisst es: «In Erinnerung an Clémence Royer 1856. Hier erwachte ihr Genie.»