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Nicolai Gruninger Wachstum, Reifung und Entwicklung Auf den Spuren einer gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie Einleitung

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Johann Wolfgang von Goethe lässt Mephisto seinen Schüler in der Studierstube belehren: »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum.« Dem widerspricht Kurt Lewin zwei Jahrhunderte später, wenn er sagt, dass nichts so praktisch sei, wie eine gute Theorie (vgl. Lewin 1951).

Ein aktueller Diskurs über die gestalttherapeutische Entwicklungstheorie zwischen John Morss und Bruce Kenofer zeigt auf, wie wenig integriert die Pole Theorie und Praxis in der Gestalttherapie sein können. Morss spricht sich klar gegen eine Entwicklungstheorie der Gestalttherapie aus (vgl. Morss 2002). Jeder Fokus in Richtung Vergangenheit oder Zukunft lenke von der Gegenwartserfahrung des Klienten und des Therapeuten ab. Gestalttherapeuten1 müssten auf das Hier und Jetzt fokussieren. Morss bezieht sich in seiner Argumentation auf die paradoxe Theorie der Veränderung von Arnold R. Beisser (1970), der zufolge man erst der werden muss, der man ist. Erst dann gibt es Möglichkeit zur Veränderung. Kenofer widerspricht ihm vehement (vgl. Kenofer 2010). Ein Gestaltprinzip sei es, dass offene Gestalten aus der Vergangenheit nach Schließung in der Gegenwart drängen. Die Patienten sind eingebettet in die Vergangenheit, die ihr Verhalten in der Gegenwart beeinflusst. Um die Figur der Gegenwart zu verstehen, müsse man den Hintergrund der Vergangenheit berücksichtigen, auch wenn wir auf die Figur fokussieren. Damit sei eine Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie implizit enthalten. Die vorhandenen Konzepte sind jedoch so vage, dass es eine explizit ausformulierte Theorie der Entwicklung brauche (vgl. Kenofer 2010, Wheeler 2010). Wheeler verortet die Ursache für das Fehlen einer konsistenten Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie in dem Fokus der Begründer auf Spontaneität und Kreativität:

»Und vielleicht war es diese hohe Wertschätzung von Spontaneität und offener Kreativität, die Goodman wie auch die Perls’ mit einer grundsätzlichen Abneigung gegen eine Kodifizierung dieser allgemeinen philosophischen Ideen erfüllte, gegen etwas, das nur entfernt an ein formales System erinnerte oder an ein schematisiertes lineares Modell von verschiedenen Stadien, wie so viele andere es uns durch das ganze Jahrhundert hindurch an Entwicklungsmodellen seit Freud angeboten haben.« (Wheeler 2010, S. 13)

Es stellt sich die Frage, welche impliziten und expliziten Motive und Theorien von der Entwicklung des Menschen im Gestaltansatz enthalten sind. Welche Ansätze von Entwicklungstheorien lassen sich bei den Begründern der Gestalttherapie entdecken? Um den Kontrast zu schärfen, werde ich diese in einem zweiten Schritt mit der modernen allgemeinen Entwicklungspsychologie vergleichen. Die durchgängige Frage dieser Untersuchung wird also sein, welche entwicklungstheoretischen Motive und Theorien der Gestaltansatz enthält, wie diese weiterentwickelt wurden und wie sie im Vergleich zu aktuellen allgemeinen Entwicklungspsychologie positioniert sind.

Zu Beginn werden fünf Leitsätze der modernen Entwicklungspsychologie formuliert. Es folgt eine Standortbestimmung der gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie. Im dritten Teil werden dann die entwicklungstheoretischen Motive des Gestaltansatzes den Leitsätzen der modernen Entwicklungspsychologie gegenübergestellt.

Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen

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