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Weiterentwicklungen der gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie – Wheeler, McConville und Salonia

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Werfen wir nun einen Blick darauf, wie die ursprünglichen explizit und implizit formulierten Entwicklungstheorien im Gestaltansatz weiterentwickelt wurden. Hier lassen sich zwei Strömungen feststellen. Einige Autoren machen es sich zur Aufgabe, eine gestalttherapeutische Entwicklungstheorie im engeren Sinne zu beschreiben. Sie beziehen sich hierbei auf die Theorien der Vordenker und Begründer des Gestaltansatzes. Andere Autoren suchen Anleihe bei anderen Theorieschulen und versuchen diese in den Gestaltansatz zu integrieren bzw. den Gestaltansatz diesen Theorien anzupassen. In dieser Arbeit wird der Untersuchungsradius aus ökonomischen Gründen auf gestalttherapeutische Weiterentwicklungen im engeren Sinne begrenzt.8 Drei Autoren aus dem USamerikanischen und italienischen Sprachraum setzen in ihren Entwicklungstheorien direkt bei den Begründern und Vorläufern des Gestaltansatzes an.

Mark McConville und Gordon Wheeler beziehen sich in ihren Büchern über die Entwicklung im Kindes- und Jugendalter »The Heart of Development« (2001, 2002) auf das Lewinsche Konzept des sich entwickelnden Feldes.

In Anlehnung an Lewin, Koffka und die Begründer der Gestalttherapie formuliert Gordon Wheeler zwei Axiome, auf denen seine Entwicklungstheorie aufbaut:

1. Das Selbst ist im Feld

Anstelle des »kleinen Mannes in der Maschine« komme dem Selbst die Funktion zu, Erfahrungen an der Kontaktgrenze zu organisieren. Das Selbst ist dabei immer Teil des Feldes (vgl. Wheeler 2002, S. 46).

2. Das Selbst ist Akteur

Es gibt, so Wheeler, keine Wahrnehmung und Erfahrung ohne Bewertung und ohne höhere Organisation. Dem Selbst komme die Funktion zu, sinnvolle Ganzheiten zu bilden (vgl. Wheeler 2002). Wir können nicht »nicht Gestaltwahrnehmen«.

»Development, from this perspective, is the elaboration of successively more complex, more highly organized wholes of meaning.« (Wheeler 2002, S. 49)

Der Entwicklungsmotor, sinnvolle Gestalten, Ganzheiten, zu konstruieren, ist uns laut Wheeler genetisch mitgegeben. Entwicklungsprozesse werden in einem interpersonellen und intersubjektiven Feld organisiert. Die Feldperspektive führe dazu, dass Entwicklung immer Entwicklung des ganzen Feldes heißt. Die Umwelt, integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses des Kindes, muss sich demnach über die Zeit ebenso weiterentwickeln wie das Kind selbst (vgl. Wheeler 2002).

Wheeler fordert von der Gestaltperspektive, vorhandene Theorien mit den oben beschriebenen Axiomen zu kontextualisieren. Herkömmliche individualistische Theorien können von der Gestalttheorie profitieren und durch die Feldperspektive erweitert werden. Bestehende systemische Theorien, deren Fokus auf dem Feld liegen, können von der Theorie des funktionalen Selbst profitieren, das die Erfahrungen im Feld organisiert (vgl. Wheeler 2002).

In seinem Buch beschreibt Wheeler vier generelle Themen der Entwicklung unter der Feldperspektive und ihre Bedeutung für die Entwicklung über die Lebensspanne: Intersubjektivität und Intimität, Support und Shame, Gender und Identität, Voice und Narrative (vgl. Wheeler 2002, S. 59 ff.). Alle haben eine eigene Entwicklungslinie und unterstützen sich interagierend gegenseitig.9

Mark McConville verweist ebenso wie Wheeler auf die Wurzeln der Gestalttherapie. Er leitet seine Entwicklungstheorie des Jugendalters aus der Lewinschen Feldperspektive ab (McConville 2001).

Die meisten Theorien, so McConville, untersuchen Teile des Ganzen, während Lewin den Lebensraum als Feld und Subjekt der Entwicklung untersucht. Dieses Feld steht niemals still, es ist immer in Bewegung, in Veränderung begriffen, und daher ist die Feldtheorie implizit eine Entwicklungstheorie.

»In other words, because the psychological field is dynamic and evolving, a field approach to human behavior is by definition an implicit model of development.« (McConville 2001, S. 30)

Die Kernannahme ist, dass das Kind sich auf dem Weg in das Jugendalter aus der Eingebettetheit der Kindheit herauslöst (embedding-disembedding). Im weiteren Verlauf differenziert sich die Lebenswelt des Jugendlichen in Richtung eines reorganisierten integrierten Feldes. Was bei Lewin die zunehmende Organisation des Lebensraumes genannt wird, das wird in der gestalttherapeutischen Sprache zunehmende und reifere Kontaktfähigkeit genannt (vgl. McConville 2001). Die Entwicklungstheorie von McConville distanziert sich mit Lewin von Stufen- und Stadienmodellen. Entwicklung wird als Prozess eines sich rekursiv entfaltenden Feldes gesehen.

»This is development conceived as process rather than defined by content, defined by evolving organization rather than by developmental ›milestones‹.« (McConville 2001, S. 41)

Ebenso wird der Entwicklungsmotor im Feld verortet. McConville verweist auf Malcolm Parlett, der sich mit einer zeitgemäßen Feldtheorie für die Gestalttherapie auseinandersetzt.

»If personal and situational are not divided but seen together as one realm, then changes in one part of the field will automatically lead to changes in other parts of the field as well. New conditions foster developmental shifts.« (Parlett 1997 zit. in McConville 2001, S. 47 f.)

Neue Situationen und veränderte Feldbedingungen verlangen vom Individuum kreative Anpassung und fördern dadurch Entwicklungsschritte.

Auch der italienische Gestalttherapeut Giovanni Salonia beruft sich in seinem 1990 verfassten Artikel »Vom Wir zum Ich-Du. Ein Beitrag zu einer Entwicklungstheorie des Kontakts« auf Kernannahmen des Gestalttansatzes. Er verweist zwar in seiner Arbeit auch auf andere Entwicklungstheorien, allerdings steht die gestalttherapeutische Theorie des Kontakts im Zentrum, um das sich Entwicklungsmodelle von M. Mahler, D. Stern und K. Wilber gruppieren. Das theoretische Konzept des Kontakts und der Kontaktunterbrechungen wird von Salonia als Entwicklungsmodell konzipiert (Salonia 1990). Die Schritte zur vollen Kontaktfähigkeit werden als Entwicklungsschritte beschrieben und die Kontaktunterbrechungen Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflexion und Egotismus sollen »in der kindlichen Entwicklung nicht als Kontakt-Unterbrechungen, sondern als Phasen im Entwicklungs-Prozeß zur Reifung und Vorbereitung auf die Kontaktfähigkeit angesehen werden« (Salonia 1990, S. 45). Kontaktunterbrechungen haben demnach in ihrer Entwicklung eine feste Abfolge und Funktionalität. Ihre entwicklungspsychologische Erklärung liefere außerdem einen Beitrag zu einer entwicklungspsychologisch begründeten Psychopathologie (vgl. Salonia 1990).

Salonia beschreibt in seinem Artikel sechs Phasen des Kontakts, die das Kind durchlaufen muss, um voll kontaktfähig zu werden.

»Erst im Erleben des Kontakts taucht die Bewußtheit des Selbst auf. Das bedeutet, daß das Kind zuerst das ›Wir‹ erlernt, dann das ›Du‹, dann das ›Ich sorge für mich selbst‹ und schließlich das ›Ich bin‹.« (Salonia 1990, S. 47)

Die Beziehung zur Mutter ist laut Salonia der Hintergrund und Entwicklungsmotor, durch den das Kind Kontaktfähigkeit erlernt. Gesunder Kontakt ist dadurch gekennzeichnet, dass die drei Phasen des Kontakts, De-Strukturierung, Re-Strukturierung und Assimilation, unaufhörlich aufeinander folgen. Ist die Erregung zu hoch, kann der Kontakt bewusst oder unbewusst angehalten werden oder auf Phasen regredieren, in denen es zu Entwicklungsverzögerungen oder -störungen gekommen ist (vgl. Salonia 1990).

»So werden Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflexion und Egotismus zu ›Widerstandformen gegen den Kontakt‹.« (Salonia 1990, S. 52)

Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen

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