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Sterns Theorie zur Frühentwicklung des Selbst: Das Selbstempfinden (Sense of Self) als organisierendes Prinzip der Entwicklung (1983/85)

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In der gestalttherapeutischen Arbeit wird u. a. das Konzept des »inneren Kindes«1 verwendet, wobei mittels Dialogen, Imaginationen und anderen kreativen Mitteln innerpsychische Repräsentationen frühkindlich angelegter Empfindungen, Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und Selbstwertgefühlen im Erwachsenenalter zugänglich werden. Das »innere Kind« (als Symbol eben dieser Anteile der Psyche, in denen all dies Vergangene verankert ist) kann in verschiedenen Altersstufen und verschieden konkret wahrgenommen werden, was in der Folge erlebens- und verhaltenssteuernd wirkt.

Dass diese Bearbeitungsmöglichkeit so wirkungsvoll ist, unterstützt die Annahme, dass es

»über die gesamte Lebensspanne hinweg grundlegende entwicklungsmäßige Kontinuitäten und sich entfaltende Veränderungen in einem Selbst gibt und dass diese verschiedenen Selbst-Empfindungen von Geburt an bis zum Tod gleichzeitig und miteinander existieren« (Pauls 1994, 6).

Daniel Stern (geb. 1934), amerikanischer Professor für Psychiatrie und einer der führenden Spezialisten der Säuglingsforschung, erstellte in den frühen 80er-Jahren eine Entwicklungstheorie, in der er frühe Selbst-Organisationen, die zeitlich und strukturell dem »inneren Kind« entsprechen, konzeptualisierte.

Er stellte das Selbstempfinden (Sense of Self) ins Zentrum seiner Theorie, weil für ihn damit auch der präverbale Erlebensbereich einbezogen ist und weil Störungen des Selbstempfindens klinisch von besonderer Bedeutung sind. Das Selbstempfinden ist für Stern also der zentrale Bezugspunkt und das organisierende Prinzip, aus dem heraus der Säugling sich selbst und seine Umwelt erfährt und ordnet. (Das Selbst kann hier wie in der Gestalttherapie als das Gesamte all unseres Erfahrens und Erlebens in und mit der Welt aufgefasst werden.)

Stern beschreibt vier Entwicklungsbereiche, die einander nicht ablösen, sondern überlagern.

1. Zwischen Geburt und 2. Monat

Das auftauchende Selbstempfinden (»sense of an emergent self«) – Säuglinge stellen Verbindungen zwischen verschiedenen Ereignissen her, zum Teil durch angeborene Fähigkeiten, zum Teil durch Lernen. Ein erstes Gefühl von Regelmäßigkeit und Ordnung (»emergent organization«) wird erlebt.

2. Zwischen 2.-3. und 7.-9. Monat

Das Kernselbstempfinden – Säuglinge machen die Erfahrung, dass sie und der Andere (menschliches Objekt) physisch getrennt sind (»self versus other«). Zwei Wesen, die miteinander in Beziehung treten können, ohne zu verschmelzen (also gegenteilig zur psychoanalytischen Deutung von Symbiose und Verschmelzung). Die gefühlten Grenzen zwischen Selbst und Objekt bleiben im Normalfall intakt und gehen nicht verloren.

3. Zwischen 7.-9. und 15.-18. Monat

Das subjektive Selbstempfinden (»sense of a subjective self«) – Kleinkinder merken, dass es andere »Minds« (Ansichten, Meinungen) gibt als ihre eigenen. Beim Säugling entsteht die Vermutung, dass er ein Wesen mit einer Psyche ist und dass psychische Zustände des Subjekts (wie Aff ekte, Absichten, Aufmerksamkeit) und solche des Objekts »teilbar« sind, das heißt mitgeteilt und ausgetauscht werden können. Demnach sind Psychen getrennt, überschneiden sich aber, indem sie Erfahrungen gemeinsam haben oder miteinander kommunizieren (»theory of interfaceable seperate minds«).

4. Zwischen 15. und 18. Monat

Beginn des verbalen Selbstempfinden. – Dieser Bereich wird als nie abgeschlossen gesehen. Kinder entdecken, dass sie persönliches Wissen und Erfahrungen haben und entdecken, dass sie mithilfe von Symbolen kommunizieren können. Es gibt also nicht nur mehr Gefühle und gemeinsame subjektive Zustände, sondern gemeinsames und symbolisch kommuniziertes Wissen zu diesen Gefühlen und Zuständen.

All diese »Unter-Selbste« haben ihre eigenen Erlebnisweisen, »sie interagieren mit dem übergreifenden, bewussten Selbst des Erwachsenen und müssen in unseren lebenslangen Weg der Transformationen integriert werden« (Pauls 1994, 6).

Wie weiter oben erwähnt, spricht Stern nicht von Phasen, die einander ablösen, sondern von Bereichen, die sich überlagern und im späteren Leben ständig gegenwärtig und wirksam sind – nicht bewusst, aber potenziell bewusstseinsfähig. Es gibt eine regelhafte zeitliche Aufeinanderfolge im Auftauchen – aber es werden im Erwachsenenleben die einzelnen dieser erfahrenen Schemata verschieden vorherrschend sein:

»Miteinander verbunden, aber unterschieden«. Jedes Schema wird immer mehr entfaltet und ausgearbeitet – differenziert und integriert, oder mehr gestört (vgl. Pauls 1994).

Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen

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